© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Rudolf Heß exhumiert
Wagners Schweinestall
Doris Neujahr

Auf Drängen der Kirchengemeinde und gegen den ursprünglichen Willen der Familie ist das Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß auf dem Friedhof von Wunsiedel bei Nacht und Nebel aufgehoben worden. Der Nazi-Spuk, die Demonstrationen am Todestag von Heß, jubelte die Presse, seien zu Ende. Der Kolumnist der Bild-Zeitung Franz Josef Wagner triumphierte: „Ich bin glücklich, daß dieses Schwein nicht mehr auf einem Friedhof liegt – Ruhe in Frieden. Das ist vorbei.“ So klingt heutzutage der Konsens der Anständigen – die antifaschistische Staatsräson.

Im griechischen Drama „Antigone“ des Sophokles bereitet die Schwester dem toten Bruder, obwohl er das Gesetz des Staates verletzt hat, gegen den Befehl des Königs ein Grab. Das Ritual der Bestattung und seine Fortsetzung im Gedächtnis ist eine „soziale Urszene“ (Peter Furth).

Die zwischenmenschliche Solidarität, die sich darin ausdrückt, steht über der Loyalität zum Staat. Sie ist die Voraussetzung dafür, daß dessen Zweckrationalität nicht schleichend in die Barbarei führt. Aufgabe der Kirche wäre es also auch im Fall Rudolf Heß, diese Solidarität zu hüten und öffentlichem Druck gegebenenfalls zu widerstehen. Andernfalls wird sie zum Schweinestall mit Typen wie Franz Josef Wagner als böse Hirten!

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen