© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

Totschlagargument „eugenische Vergangenheit“
Präimplantationsdiagnostik: Der Theologe Johannes Fischer fordert ein Ende der NS-Bewältigung in der Biopolitik
Wolfgang Hauser

Die schier endlos währende biopolitische Debatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID, JF 12/11) scheint mit der Entscheidung des Bundestags vom 7. Juli, dieses Verfahren mit Einschränkungen zuzulassen, beendet. Für künftige Auseinandersetzungen über Chancen und Risiken medizin-naturwissenschaftlicher Forschung hält dieser Ausgang jedoch eine so überraschende wie langfristig erfolgreiche Pointe parat.

Bildete doch für die überparteiliche, von den Grünen bis zur CSU reichende Koalition der PID-Gegner, für die ebenso ein Totalverbot fordernde katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Mehrheit der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter ihrer Vorsitzenden, der Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), die „Verstrickung“ vieler Mediziner in die nationalsozialistische, das Leben Behinderter zur Disposition stellende „eugenische“ Bevölkerungspolitik ein Herzstück ihrer Argumentation.

Die PID-„Selektion“ künstlich erzeugter, voraussichtlich mit Erbkrankheiten belasteter Keimlinge steht hier auf einer Stufe mit der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ zwischen 1934 und 1941. Darüber hinaus glaubte man, wie jüngst der katholische Sozialwissenschaftler Manfred Spieker (siehe JF 28/11) formulierte, an den entsolidarisierenden Effekt der PID.

Ärzte, die genetisch belastete Embryonen aussortieren, leisten demnach ihren Beitrag, um wieder wie vor 1945 ein behindertenfeindliches Klima zu schaffen. Unmittelbar vor der Bundestagsentscheidung wies der in Zürich lehrende Theologe Johannes Fischer, Vater eines früh verstorbenen Kindes mit Down-Syndrom, dieses nicht nur in der deutschen Biopolitik zur Routine gewordene argumentum ad hitlerum mit Vehemenz zurück (im EKD-Organ Zeitzeichen, 6/11). Für Fischer ist diese Abart der politisch funktionalisierten NS-Bewältigung ein krasser Fall von „Moral Correctness“, die PID-Befürworter „unter Druck setzt und es ihnen verbietet, ehrlich mit den eigenen Gefühlen sein zu dürfen“. Wer sich vom „Totschlagargument“ der „eugenischen Vergangenheit“ indes nicht beeindrucken lasse, könne leicht einsehen, daß in der PID-Praxis gar keine „Lebenswerturteile“ gefällt und per „Selektion“ vollstreckt würden.

Denn Eltern stellen nie, anders als die Rassenhygieniker von 1933, den Lebenswert einer „Art von Menschen“ in Abrede, sondern verantworten das Leben ihres zukünftigen Kindes, dem sie Leid ersparen wollen. Damit ruft der liberale Theologe Fischer auf einem zentralen Feld der Gesellschaftspolitik nicht weniger aus als das Ende der Vergangenheitsbewältigung.

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