© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

Gefressene Väter
Silke Mende über die Gründungsgrünen
Volker König

Die Bewahrung der Natur gegen den technischen Fortschritt war ein großes konservatives Thema“ schrieb Peter Glotz 1989 in seinem Buch „Die deutsche Rechte“ und ergänzte, die Konservativen hätten sich mit der Ökologie „einen wichtigen Teil ihrer Kronjuwelen klauen lassen“. Dreißig Jahre nach ihrer Gründung sind die Grünen als Partei fest im deutschen politischen System verankert, sie stehen eindeutig links von der Mitte und sie gelten als „die Ökopartei“. Aber passen Ökologie und linke Weltsicht wirklich so problemlos zusammen?

„Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ lautet der Titel einer „Geschichte der Gründungsgrünen“, die nun von Silke Mende vorgelegt wurde. Der Titel ist ein Zitat von Herbert Gruhl, einem der prominentesten Gründerväter der Grünen. Gruhl, der von 1969 bis 1978 für die CDU/CSU als deren umweltpolitischer Sprecher im Bundestag saß, war beileibe kein Linker, sondern ein dezidierter Konservativer. Als Autor des Umweltklassikers „Ein Planet wird geplündert“ von 1975 gehörte er neben Petra Kelly, Gert Bastian, Carl Amery und Rudi Dutschke zu den prominenten Persönlichkeiten im Umfeld der grünen Parteigründung.

Die genannten Politiker waren in Herkunft und Gesinnung äußerst heterogen – und nicht anders war die Basis der Grünen, in der sich konservative Bauern und linksintellektuelle Studenten, biedere Naturschützer und subkulturelle Linkschaoten gleichermaßen einfanden. Diesem sowohl weltanschaulich wie soziokulturell interessanten Zweckbündnis, das sich 1979/80 formierte, widmet die junge Historikerin Silke Mende ihre Dissertation, die nun als über 500 Seiten starkes Buch vorliegt.

Neben authentischen Konservativen tummelte sich unter den „Gründungsgrünen“ ein wahres Sammelsurium an weltanschaulich höchst unterschiedlichen Protagonisten der neuen Partei. Auf der rechten Seite waren dies Nationalneutralisten, völkisch orientierte Lebensschützer und „Gemeinschaftsdenker“ wie August Haußleiter und Baldur Springmann. Hinzu gesellten sich Anthroposophen, Esoteriker und Querdenker von Joseph Beuys bis Rudolf Bahro. Auf der linken Seite geisterten dogmatische Anhänger der K-Gruppen ebenso umher wie Vertreter der „Neuen Linken“, des SDS oder der Frankfurter Sponti-Szene. Gerade letzteren ging es weniger um Inhalte als um die Chance, bei einer neuen, erfolgversprechenden Bewegung als Trittbrettfahrer aufzuspringen. Ökologisch beleckt waren die wenigsten Linken, wie es Daniel Cohn-Bendit freimütig einräumte: „Sicherlich haben viele von uns vor zehn Jahren noch anders gedacht als heute. Damals schwafelte ich auch noch von der friedlichen Nutzung der Atomenergie und von dem Segen der Vollautomation.“

Hier zeigt sich eine interessante Sollbruchstelle der Grünen, nämlich die Unvereinbarkeit von Marxismus und Ökologie. Während die Linken ihrem Ziehvater Marx verpflichtet waren, der vom „Idiotismus des Landlebens“ schwadronierte, orientierten sich die konservativen Umweltschützer am Primat der Bewahrung des Lebens vor materialistischen Zuwachsraten oder fortschrittstrunkenem Zukunftskult.

Die Unterschiede manifestierten sich aber auch im Habitus: „Zur symbolischen Politik bei den frühen Grünen sind schließlich die eher unorthodoxen Verhaltensweisen zu zählen, welche die ersten grünen Schritte in die Parlamente begleiteten. Von Medien und etablierten Volksvertretern wurden sie teils mit Abneigung, teils mit kurioser Neugier betrachtet. Dazu gehörte eine eigene grüne Kleiderordnung – Jeans und Strickpulli hielten Einzug in den Plenarsaal – ebenso wie das vielzitierte Stricken während der Parlamentsdebatten.“ Dies fiel auch dem FAZ-Redakteur Friedrich Karl Fromme auf: Grüne Parteitage „waren chaotische Versammlungen, deren Bild geprägt wurde von bunten Erscheinungen, Männern mit kahlgeschorenen Köpfen oder wilder Barttracht, in klobigen Stiefeln und schlotternden handgestrickten Pullovern, Frauen in langen Reform-Gewändern. (...) Dazwischen ging Gruhl herum in seinem grauen Anzug.“

Wie die Geschichte ausging, ist bekannt. Das linke Milieu setzte sich gegenüber den konservativen Gründervätern durch. Bereits auf dem Bundesparteitag 1980 in Dortmund geißelte Gruhl das grüne Programm; es sei von „alternativen Luftschlössern“ und „Klassenkampf-ideologien und materialistischen Forderungen“ bestimmt, woraus der Geist der APO atme, die einen noch schnelleren und konsequenteren Fortschritt erstrebe als die etablierten Altparteien.

Gruhl verließ 1981 die Partei. Ihm folgten – zeitlich versetzt – auch Springmann, Bahro und andere, denen es um das Primat der Ökologie ernst war. „Die Revolution frißt ihre Kinder – Die Grünen fressen ihre Väter“, schrieb Herbert Gruhl 1984 in einem Leserbrief in der FAZ. Die konservativen Ökologen sind heute ohne politische Heimat und Einfluß – und die zu einer linksliberalen Partei der Besserverdienenden gewordenen Grünen eilen von Wahlerfolg zu Wahlerfolg.

Silke Mende: „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn.“ Eine Geschichte der Gründungsgrünen. Oldenbourg Verlag, München 2011,     gebunden, 553 Seiten, Abbildungen, 64,80 Euro

Foto: Baldur Springmann (l.) und Herbert Gruhl auf dem Grünen-Kongreß, Karlsruhe 1980: Primat der Ökologie

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen