© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

Er scheute die Öffentlichkeit
Nachruf: Aufstieg und Fall des Medienunternehmers Leo Kirch
Gernot Facius

Was wäre, wenn ...? In diesem Fall ist die Frage schnell beantwortet: Ohne Leo Kirchs gigantischen Filmstock wäre Deutschland wahrscheinlich länger Fernseh-Entwicklungsland geblieben. Erst füllte der 1952 zum Dr. rer. pol. promovierte Kirch die öffentlich-rechtlichen Kanäle mit seiner Ware, die er in den 1950ern mit geliehenem Geld eingekauft hatte, darunter Spielfilme wie „La Strada“ und „Marzellino, pane e vino“. Dann griff der Sohn eines unterfränkischen Klempners und Winzers nach dem Privatfernsehen. ARD und ZDF, Kirchs Hauptabnehmer seiner Hollywood-Pakete, standen bald nicht mehr wie zwei mächtige Bäume vereinzelt in der TV-Landschaft, um sie herum wuchs langsam ein kleiner Wald von privaten Anbietern.

Der „Herr der Filme“ dominierte Sat.1, das einmal großspurig als „Verlegerfernsehen“ an den Start gegangen war, zu seinem Reich gehörten ProSieben, Kabel eins, Premiere, Deutsches Sportfernsehen (DSF) etc. Thomas Gottschalk, Harald Schmidt und die Bundesliga machten Sat.1 groß.

In Nachrufen wurde der 1926 in Würzburg geborene und am Donnerstag voriger Woche im Alter von 84 Jahren in München verstorbene Leo Kirch zu Recht als einer der wichtigsten Medienunternehmer und Visionäre Nachkriegsdeutschlands gewürdigt. Das „Visionäre“ bekommt allerdings einen Riß, wenn man die Entwicklung des Privatfernsehens, des „dualen Systems“ insgesamt, genauer betrachtet.

Sie nahm ihren Ausgang parallel zur „geistig-moralischen Wende“ des Kirch-Freundes Helmut Kohl. Zwar war das öffentlich-rechtliche Monopol gebrochen; demokratiepolitisch eine gute Tat. Doch Sendervielfalt ist nicht gleich inhaltliche Vielfalt, erst recht nicht ein Qualitätsgarant. Da haben sich beide getäuscht: Kohl und Kirch. Vielleicht war Kirch selbst nicht ganz geheuer, was da auf die Schiene gesetzt worden war. Im vertrauten Kreise bedauerte er die Programmverflachung: „Die Welt wird ärmer und ärmer mit dieser Phantasielosigkeit.“ Das war es aber auch schon.

Axel Springer gestand einst, er leide „wie ein Hund“ unter manchen Hervorbringungen von Bild. Mit vergleichbaren Bekenntnissen hielt sich der Filmhändler, der „im Grunde ein Einzelgänger war“ (Ex-ZDF-Chef Dieter Stolte), zurück. Kirch war viel zu sehr ein mit allen Wassern der Branche, in der sich mehr Haie als Goldfische tummeln, gewaschener Unternehmer. Er ist nie wie ein Mogul, ein indischer Herrscher, öffentlich aufgetreten; er spann sein Netz aus Politikerbekanntschaften in stiller Kleinarbeit. „Kirch war überall, aber oft sah man ihn nicht“, urteilte treffend die Süddeutsche.

So festigte er seinen Ruf als Sagengestalt der Bewußtseinsindustrie. Ihn einen deutschen Berlusconi oder gar Murdoch zu nennen, wäre freilich ungerecht. Der Machtwille, auf das politische Tagesgeschäft Einfluß zu nehmen, ging dem Mann aus Franken ab – jedenfalls weitgehend, muß man einschränkend sagen. Ein Skandal aus dem Hochsommer 1995, als Kirch noch mit 40 Prozent an Springer beteiligt war, wurde in den Nachrufen so gut wie nicht erwähnt. Weil die Welt sich nicht über das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts entrüstete, sondern einen sachlichen, erklärenden Kommentar aus der Feder des ehemaligen Braunschweiger Oberlandesgerichtspräsidenten Rudolf Wassermann druckte, forderte der konservative Katholik Kirch den Kopf des Chefredakteurs Thomas Löffelholz, provozierte damit eine lebhafte Debatte über Pressefreiheit. Mit seiner Intervention drang Kirch nicht durch.

Im Frühjahr 2002, als sein Imperium zusammenbrach, ging auch die Springer-Beteiligung verloren. Zum Verhängnis geworden war dem Unternehmer mit der unbändigen Lust am Kredit-Risiko jedoch zu geringem Eigenkapital der (Irr-)Glaube, die Deutschen würden seine Idee des Bezahlfernsehens goutieren. Da konnte ihm dann auch sein politisches Netzwerk nicht mehr helfen.

Aber der von Krankheit geschlagene Kirch gab nach der Insolvenz nicht auf. Er blieb bis zuletzt im Mediengeschäft. Neun Jahre kämpfte er gegen die Deutsche Bank. Deren damaliger Chef Rolf Breuer habe ihn 2002 in die Pleite hineingeredet, trug er vor Gericht vor. „Erschossen hat mich der Rolf.“ Breuer hatte in einem Fernsehinterview die Kreditwürdigkeit des Filmhändlers angezweifelt. Heute spricht der Ex-Banker von dem Interview als einem „Unfall“. Nun hoffen die Männer, die Kirchs Lebenswerk fortführen, daß es zumindest zu einem Vergleich kommt. Dann hätte der tote Patriarch doch noch halbwegs gesiegt.

Was bleibt von Leo Kirch? Die Erinnerung an einen Großen der Wiederaufbaugeneration. An einen Medienpionier. An den größten TV-Produzenten von klassischer Musik, dem sich Dirigenten wie Herbert von Karajan und Carlos Kleiber anvertrauten. Und an den Mann, der in den neunziger Jahren eine 21teilige Serie von Spielfilmen über biblische Gestalten produzieren ließ – für eine dreistellige Millionensumme und gegen den Rat von Mitarbeitern; auch dies eine der wenig bekannten Seiten des Leo Kirch. Sein Joseph-Film wurde in der Dresdner Kreuzkirche erstmals vorgeführt. Dieser Ort war mit Bedacht gewählt worden: Als junger Wehrmachtssoldat war Leo Kirch im Februar 1945 an der brennenden Stadt vorbeigezogen.

Foto: Leo Kirch: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen“, zitierte der Filmhändler ein Bibelwort

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