© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

Europa droht der Konkurs
Finanzkrise: Nicht die Fondsmanager sind das Problem, sondern der Euro / Offener Appell an Helmut Schmidt
Wilhelm Hankel

Helmut Schmidt verriet seinen Zeit-Lesern, daß er die Menschen in drei Kategorien einteilt: Die erste seien jene 98 Prozent normalen Menschen, die als Jungs vielleicht mal Äpfel geklaut haben, aber dann doch anständige Kerle geworden sind. Die zweite Kategorie seien die mit einer kriminellen Ader, die vor Gericht und ins Gefängnis gehörten.

Die dritte Kategorie seien Investmentbanker und Fondsmanager: „Dabei ist das Wort Investmentbanker nur ein Synonym für den Typus Finanzmanager, der uns alle, fast die ganze Welt, in die Scheiße geritten hat und jetzt schon wieder dabei ist, alles genauso zu machen, wie er es bis zum Jahre 2007 gemacht hat“, schrieb ein zorniger Altkanzler.

Als verdienter Batteriechef und Oberleutnant der Wehrmacht weiß Schmidt allerdings auch, daß diese die Verleitung zum „Kameradendiebstahl“ ebenso unter Strafe stellte wie die Tat selbst. Und diese Verleitung zu schändlichem Handeln liegt im Fall der Euro-Krise vor – und Schmidt ist ja unbestritten einer der Urväter der Gemeinschaftswährung.

Die Währungsgarantie der Europäischen Währungsunion (EWU) lautet: Ein Euro ist immer ein Euro, gleich ob er aus Griechenland oder von den anderen Pleite-Kandidaten stammt, oder von disziplinierten Währungspartnern wie Deutschland, den Niederlanden, Finnland oder Österreich. Dies mußte zwangsläufig dazu führen, daß erstere ohne geringstes Zutun etwas wurden, was sie zuvor niemals waren: international kreditwürdige Länder. Die „beschissenen“ Fondsmanager haben sich auf diese Garantie verlassen und kräftig zugelangt, denn sie brachte, was sie brauchten: saftige Gewinne aus den sich von Griechenland bis Irland bildenden „Blasen“ aus boomendem Immobiliensektor, explodierenden Aktienkursen und ins Kraut schießenden Inflationsgewinnen zufriedener Investoren.

Nur wenige trauten dem Braten nicht und tauschten diese Gewinne aus „weichen“ Y-Euro (auf den Euro-Scheinen steht die Kennung Y für Griechenland oder anderer Buchstaben wie V oder S für Spanien bzw. Italien) rechtzeitig um in originär deutsche und solide X-Euro (dieses X steht für den deutschen Euro). Doch die Masse der „Spekulanten“ aus dem vertrauensseligen Norden der Euro-Zone blieb in den weichen Euro-Anlagen investiert: Nach Schätzungen der Finanzaufsicht dürften es allein bei den Riester-Renten knapp neun Prozent der „gesicherten“ Vermögensbestände sein, und deswegen gibt es nun beides: die Zahlungskrise der Schuldner und die drohenden Verluste bei Banken, Fonds und Versicherungen.

Doch die Frage ist, wer hat diese „Sch…“ angerührt? Es sind jene, die 500 Millionen Europäern am Beginn dieser fatalen Entwicklung eingeredet haben, mit dem Euro beschreite der alte Kontinent den Weg zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum – einem Wirtschaftraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einen größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“, so der O-Ton der Lissabon-Erklärung des EU-Rates vom März 2000. Doch wer sind die geistigen Verfasser und Vorbereiter dieses Manifestes? Es sind jene historischen Monumente wie Deutschlands Altkanzler Helmut Schmidt und sein „williger Vollstrecker“ Helmut Kohl. Und für dessen Parteifreundin und Amtsfortsetzerin Angela Merkel ist deren Vermächtnis trotz ihres merklichen Zögerns „alternativlos“.

Doch jetzt geht es nicht mehr um die europäische Lyrik (wenn auch in Fäkalsprache) altgedienter Politpensionäre. Allein im überschuldeten Teil der Euro-Zone stehen Hunderte von Milliarden öffentlicher und privater Schulden im Feuer – genaue und verläßliche Zahlen sind bis heute nicht auf dem Tisch. Aber immerhin soviel steht fest: Selbst der krisenerfahrene Internationale Währungsfonds (IWF) zögert mit weiteren Hilfen, weil er – leider zu Recht – an der „Kredittragfähigkeit“ (sprich: Seriosität) der Schuldner zweifelt, ein Votum, an dem auch die neue IWF-Chefin, Frankreichs Ex-Finanzministerin Christine Lagarde, bei aller Liebe zum EU-Vertragsbruch nicht vorbeigehen kann.

Auch ehemalige Bundesbankchefs und Ex-„Wirtschaftsweise“ die dazu raten, das Schuldenloch, in dem ein ganzer Kontinent zu versinken droht, mit einer „Global-Garantie“ zuzudecken, verraten mit solchen „Rettungsplänen“ nur, wie sehr sie mit ihrem Amt auch ihren Verstand und ihr Verantwortungsgefühl verloren haben. Denn diese Garantie stellt nicht die Kredittragfähigkeit der Schuldenstaaten wieder her, sondern zerstört die der Sanierer! Die Rettungskosten werden auf Steuerzahler, Sparer und Rentner in den noch leidlich intakten Euro-Ländern abgewälzt. Und wer kauft „Eurobonds“, hinter denen nur faule Kredite und die Verschlimmerung der Krise in den Schuldenländern stehen?

Europa kann sich nicht durch Reparaturen an seiner Schuldenmaschine – dem Euro – retten. Das kann einzig und allein die Wiederherstellung der Kredittragfähigkeit durch eine verläßlich-stabile, von allen Gläubigern akzeptierte Währung. Entweder die Schuldenländer stellen diese her, indem sie aus dem Euro-Verbund austreten, ihre neue Währung abwerten und so neu starten. Dann sind auch die Gläubiger für einen Schuldennachlaß zu haben – oder zu zwingen, wenn sie es nicht freiwillig tun.

Denn Merkels übersehene Alternative lautet: Mit eigener Währung kann jeder Pleitestaat seine Zahlungen an das Ausland ganz einstellen. Oder Deutschland besinnt sich auf seine wahre Verantwortung für Europa und stellt durch seinen Austritt aus der Euro-Zone diese Situation her. Einen solchen zukunftsorientierten Rat hätte man von einem Altbundeskanzler und Weltökonomen erwartet. Wenn ihn Weisheit und Verantwortung leiten, sollte Helmut Schmidt ihn jetzt geben.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war Leiter der Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Er klagt mit Fachkollegen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Griechenlandhilfe und den Euro-Rettungsschirm. www.dr-hankel.de

Foto: Vertrauenskrise der Anleger in der Euro-Zone: Europa kann sich nicht durch Reparaturen an seiner Schuldenmaschine – dem Euro – retten

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