© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

Wohlstandssicherung und Demographie in Deutschland
Mehrarbeit kommt
Jens Jessen

Das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) hat sich Gedanken darüber gemacht, wie die rasante Abnahme von Arbeitskräften in Deutschland in den nächsten 40 Jahren verkraftet werden kann. Die derzeitige Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren sinkt bis 2050 von 54 Millionen auf weniger als 42 Millionen.

Der IZA-Direktor für Arbeitsmarktpolitik, Hilmar Schneider, pocht auf eine langfristig nicht zu vermeidende Erhöhung der Arbeitszeit von derzeit durchschnittlich 1.419 Stunden um etwa 300 Stunden im Jahr. Schließlich müsse die Arbeit, die derzeit von 43 Millionen Arbeitnehmern erbracht wird, in vier Jahrzehnten von etwa 33 Millionen für das gleiche Geld geschultert werden.

Schneider will aus „Minijobbern“ Vollzeitkräfte machen, er spricht von Rente mit 67 und auch von mehr Zuwanderung: „Aber nichts bringt so viel wie eine Ausweitung der Arbeitszeit der erwerbsfähigen Menschen. Mit hundert Stunden mehr Arbeit im Jahr können wir den Verlust von sieben Millionen Arbeitskräften bis 2020 ausgleichen“, rechnete der Ökonom im Handelsblatt vor. Deshalb fordert er eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen (über fünf Millionen sind derzeit nicht berufstätig). Oliver Stettes (Institut der deutschen Wirtschaft/IW) glaubt an einen „massiven Beschäftigungsaufbau“ der über Sechzigjährigen.

Der EU-Sozialkommissar László Andor weist allerdings darauf hin, daß die deutschen Arbeitnehmer schon jetzt die meisten Überstunden machen. In keinem Land der Euro-Zone sei der Unterschied zwischen tariflicher und tatsächlicher Wochenarbeitszeit so groß wie in Deutschland. Tatsächlich arbeiteten die Beschäftigten 40,4 Stunden, obwohl der Tarif 37,7 Stunden in der Woche vorgebe. Das bedeutet sieben Prozent Mehrarbeit, die heute nötig sind, um den Fachkräftemangel auszugleichen.

Eine Analyse der Frauen-Beschäftigung zeigt eine Steigerung des Anteils der Teilzeitbeschäftigten von 1996 bis 2006 von 33,5 auf 45,4 Prozent. Hauptgründe für die Teilzeit seien Kinder oder Pflegebedürftige in der Familie. Aber 23 Prozent der Teilzeitbeschäftigten haben keine Vollzeitstelle gefunden.

In den neuen Ländern gehen sogar 65 Prozent der Frauen einer Teilzeitbeschäftigung nach, weil ihnen keine Vollzeittätigkeit angeboten wird. Auf der anderen Seite ist es immer noch schwer, eine qualifizierte Teilzeitarbeit in Deutschland zu finden.

Der Fachkräftemangel kann nicht beseitigt werden, weil ausreichende Teilzeitmöglichkeiten fehlen. Attraktive Arbeitsbedingungen wie flexible oder reduzierte Arbeitszeiten, bezahlbare Angebote für Kinderbetreuung und angemessene Löhne sind wichtige Voraussetzungen für die Besetzung offener Stellen. Die fehlende Umsetzung dieser Voraussetzungen kann das Beschäftigungskonzept des IZA vorzeitig scheitern lassen.

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