© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/11 22. Juli 2011

Auf dem Weg ins Unheil
Schuldenkrise: Die Euro-Rettungsversuche spiegeln einen politischen Wertverlust wider
Bernd-Thomas Ramb

Auf zur nächsten Krisensitzung! Immer häufiger fallen die spontanen Panikkonferenzen an, weil neue Hiobsbotschaften die laufenden Euro-Rettungsmanöver zunichte machen. Angeblich sind die frisch entstandenen Probleme so überraschend und unvorhersehbar, daß sie eine eilige Ergänzung der bisherigen Maßnahmen erfordern. Bestehende Regelungen erweisen sich damit als schludrig verfaßte Grundlage mit wenig Weitblick. Ein erster fundamentaler Wertverlust der Euro-Politik.

Nachhaltigkeit ist doch das moderne Zauberwort, das bei anderen politischen Aktionen an erster Stelle steht. Die Energiewende soll nachhaltig sein, die Umweltpolitik gilt als Inbegriff der Nachhaltigkeit. Die Integrations- oder Gesundheitspolitik sollen von dauerhaftem Bestand sein, die Folgen möglichst für viele weitere Generationen positiv absehbar. Ausgerechnet bei der Währungspolitik scheint dieses Postulat nicht einhaltbar, vor allem nicht wenn die Währung Euro heißt. Dabei war die Grundregel zur Schuldenbehandlung der Euro-Länder doch per EU-Vertrag fest verankert. Kein „Bail-out“, keine Bürgschaft oder Kaution für einen überschuldeten Staat.

Frei nach dem Motto „Was kümmert mich mein Gesetz von gestern“ haben die Euro-Währungsländer die Nachhaltigkeit ihrer eigenen Gebote aufgekündigt und eine Lotterie der Rechtsgrundlage in Gang gesetzt. Angeblich weil die Überschuldungsrealität in unvorhersehbarer Weise über den Euro hergefallen ist. Waren die Reaktionen der Märkte, der Ratingagenturen und vor allem der Bevölkerungen und der Wähler der betroffenen Staaten wirklich nicht vorhersehbar oder zumindest als Möglichkeit kalkulierbar? Vor allem aber, warum soll der Euro-Währungsvertrag nun verkehrt sein? Wäre der Vertrag eingehalten worden, wäre Griechenland heute offiziell bankrott. Eine solche Möglichkeit wurde mit der No-Bail-out-Klausel doch explizit berücksichtigt.

Mit ihrem hektischen Aktionismus haben die Euro-Retter nicht nur in puncto Rechtssicherheit auf der ganzen Linie versagt. Prinzipiell ist jede politische Hektik schädlich für die Wirtschaft eines Landes, eine hektische Währungspolitik ist jedoch die Höchstform des wirtschaftlichen Schadens. Dabei verstehen die politischen Akteure offensichtlich nicht, welche Währungskonsequenzen ihr Schuldenmanagement in Sachen Griechenland, Irland und Portugal nach sich zieht.

Ein zweiter fundamentaler Wertverlust der Euro-Politik ist das immer mangelhaftere Wissen um Geldzusammenhänge. Natürlich ahnen die Euro-Retter eine Verbindung zwischen der explodierenden Staatsverschuldung, die nicht nur Griechenland politisch-existentiell gefährdet, und dem Weiterbestehen der politischen Kunstwährung Euro. Sie durchschauen jedoch nicht, daß ihre Rettungsversuche den Untergang des Euro beschleunigen.

Das Scheitern des ersten Griechenlandrettungspaktes mit einem Gesamtverlust von 110 Milliarden Euro wird nicht als kostspielige Lehre verstanden, sondern mit einem zweiten, noch größeren Rettungsversuch beantwortet. Immerhin keimt die Ahnung auf, auch damit Griechenlands Altschuldenproblem nicht vollständig lösen zu können. Nun sollen zusätzlich die Gläubiger griechischer Staatsschuldentitel beteiligt werden und auf einen Teil ihrer Forderungen – dem Plan nach „freiwillig“ – verzichten. Die Europäische Zentralbank (EZB) wehrt sich zu Recht gegen solche Vorhaben, nicht nur weil sie als Aufkäufer griechischer Staatsanleihen selbst schwer geschädigt wäre.

Jede willkürliche Beschneidung vertraglich vereinbarter Forderungen bedeutet Vertragsbruch. Keiner wird jemals wieder griechische Staatspapiere kaufen, ohne dies in Erinnerung zu haben. Er wird entweder überhaupt keine Schuldverschreibungen mehr kaufen oder für das Risiko des Verlusts einen hohen Zinsaufschlag fordern. Jede Regierung, die heute einen Teilverzicht erpreßt, muß wissen, daß sie damit Gefahr läuft, künftig selbst und allein die neuen Schuldverschreibungen übernehmen zu müssen. Griechenland erhält in Zukunft nur noch Kredite von den Regierungen anderer Staaten oder zahlt auf dem freien Kreditmarkt sehr hohe Zinsen. Diese schlichte Logik der internationalen Finanzmärkte müßte doch jeder staatlichen Rettungsbehörde ins Auge springen.

Da aber tritt der dritte fundamentale Wertverlust der Euro-Politik in Erscheinung: die immer geringere Selbsterkenntnis des eigenen Versagens. Schuld an der Euro-Krise sind immer die anderen: die bösen Spekulanten, die bösen Hedgefonds, die bösen Derivatehändler, nicht zuletzt die bösen Ratingagenturen. Aber nie die überheblichen Euro-Politiker mit ihrer Anmaßung des Besserwissens und dem Machbarkeitswahn der willkürlichen Manipulation komplexer ökonomischer Zusammenhänge. Das Verhalten der angeblich Bösen spiegelt doch nichts anderes als die Einschätzung der internationalen Finanzmärkte wider. Kein nichtregierungsangehöriger Spekulant wird zum Spekulieren gezwungen, sie handeln auf eigenes Risiko. Hedgefonds teilen überlebensfähige und rettungslos verlorene Schuldentitel auf. Derivateprodukte werden von den Anlegern zur Absicherung der von ihnen eingegangenen Risiken gewünscht. Die Ratingagenturen schließlich fassen nichts anderes als die objektiv nachprüfbaren Faktoren zusammen.

Leider bestehen keine Ratings für die Beurteilung von Regierungsgremien und deren Leistungen. Die Einschätzung griechischer, irischer und portugiesischer Staatsanleihen als Ramschpapiere geht aber letztlich einher mit der Bewertung der entsprechenden Länder als Ramschstaaten. Dieser Disqualifikation kann sich auch die Euro-Gruppe als entscheidende Versagerorganisation der hilflosen Euro-Rettungsversuche nicht entziehen. Ihre Ramschpolitik wird nicht nur den Ramschstaaten nicht weiterhelfen, sie zieht auch die besseren mit ins Unheil.

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