© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Drei, zwei, eins, Abmahnung
Anwaltskanzleien entdecken Urheberrechtsverstöße als Geschäftsmodell / Versand als Massendrucksache
Patrick Schmidt

Wenn der Brief einer Anwaltskanzlei mit einer „Abmahnung wegen einer Urheberrechtsverletzung“ im Briefkasten liegt, dann stellen sich vielen Internetnutzern die Nackenhaare auf. Habe ich etwas Unrechtes getan, eine falsche Seite besucht, urheberrechtsgeschützte Musikdateien heruntergeladen? Waren es die Kinder oder der Partner?

Das Internet hat sich zu einem Minenfeld der besonderen Art entwickelt. Nicht nur die Betreiber der kürzlich abgeschalteten Netzseite kino.to haben in der rechtlichen Grauzone Millionen verdient – auch geschäftstüchtige Anwälte erwirtschaften in einer speziellen Nische ansehnliche Profite. Abmahnaktionen sind seit der Einführung von Breitbandverbindungen in Deutschland zu einem lukrativen Geschäft geworden. 575.800 Abmahnungen hat der Verein gegen den Abmahnwahn e.V. 2010 registriert. Gesamtvolumen: 412 Millionen Euro.

Mit der Möglichkeit, Musik, Filme, elektronische Bücher und Zeitschriften im weltweiten Netz zu verbreiten, kamen auch rechtliche Fragen auf, die bis heute nur unzureichend gelöst sind. Seit ganze Kinostreifen oder umfangreiche Musiksammlungen in Minutenschnelle auf einen Computer heruntergeladen werden, mit anderen getauscht oder vervielfältigt werden können, tauchen immer mehr rechtliche Lücken rund um das Thema „Urheberrecht und Internet“ auf.

In diese Lücke stoßen die „Abmahnanwälte“. Formal ist eine Abmahnung die Aufforderung einer Person an eine andere, Handlungen künftig zu unterlassen. Besondere Bedeutung erlangt die Abmahnung zum Beispiel im Arbeitsrecht und beim Urheberrecht. Letzteres ist das Recht auf Schutz von geistigem Eigentum. Eine Abmahnung ist meistens mit einem pauschalen Kostenbescheid der mahnenden Kanzlei verbunden. Die Anwälte machen mit eben diesem Geldbetrag Gewinn, kritisieren die Abmahnkritiker.

Das Gebaren von etwa vierzig auf Abmahnungen spezialisierten Anwaltskanzleien ist mehr als fragwürdig. So fragwürdig, daß sich mittlerweile Vereine und Parteien gegründet haben, wie etwa der bereits erwähnte Verein zur Hilfe und zur Unterstützung gegen den Abmahnwahn oder die Piratenpartei.

Weshalb die ganze Aufregung? Wer urheberrechtlich geschütztes Material wie Musik oder Filme anderen kostenfrei zur Verfügung stellt, der verstößt gegen die Rechte des Inhabers. Dieses Tauschen von Dateien ist ein Volkssport vieler Internetnutzer und ein Dorn im Auge vor allem der Musikindustrie, die fürchtet, daß ihr ein großes Geschäft entgeht. Bis zu vier Millionen Deutsche sollen täglich die Seite kino.to besucht haben, über die Tausende von Filmen kostenfrei geschaut werden konnten. Die Besucher dieser Seite haben vermutlich nichts zu befürchten, weil sie die Daten nur angeschaut, aber nicht angeboten haben.

Anders ist es bei Nutzern, die über Tauschbörsen wie Edonkey Daten mit Fremden tauschen. Sie müssen befürchten, eines Tages ertappt und abgemahnt zu werden. Der mit den Rechten eines Künstlers beauftragte Rechtsanwalt kann den Nutzer abmahnen. Daß dies oftmals auch ohne das Einverständnis des Künstlers geschieht und oft auch nur auf Verdacht, hat einige dieser Kanzleien in Verruf gebracht.

So werden einfach massenhaft Abmahnungen mit zum Teil horrenden Geldforderungen an ahnungslose Nutzer verschickt, die manchmal überhaupt keine illegalen Dateien geladen haben. Experten raten in jedem Fall dazu, sich mit den Vorwürfen genau auseinanderzusetzen. Durch hartnäckiges Ignorieren läßt sich das Problem nicht aus der Welt schaffen.

Nach dem Prinzip der Schrotflinte werden Massenabmahnungen versendet, in der Hoffnung, daß ein geringer Prozentsatz bezahlen wird. Die Forderungshöhe liegt in der Regel zwischen 350 und 1.500 Euro pro Fall. Antwortet der Empfänger auf solche Forderungen, wie etwa eine Nutzerin, die dem mahnenden Anwalt lediglich ihre Unschuld beteuern wollte, können weitere Kosten auf die vermeintlichen Delinquenten zukommen. Was das Vorgehen der „Abmahnanwälte“ fast kriminell macht, ist die Frage, woher sie die Daten über die vermeintlichen Nutzer beziehen. Diese werden oft durch „Drittanbieter“ illegal angeboten, welche sich in Tauschbörsen und Foren einklinken, um dann die Daten der Nutzer mitzuschneiden.

Daß es Kanzleien gibt, deren ausschließliche Tätigkeit im Bereich Abmahnung liegt, zeigt schon, daß hier mit einer Rechtslücke Profit gemacht wird. Daß sich diese Kanzleien zu diesem Zweck auch noch illegal die Daten von Tauschbörsen-Nutzern verschaffen, ist skandalös. Ein Gesetz zur Deckelung der Abmahnkosten wurde 2008 verabschiedet. Doch die Obergrenze von einhundert Euro wird von den Kanzleien fast immer umgangen. Hier besteht Nachbesserungsbedarf.

www.verein-gegen-den-abmahnwahn.de  www.abmahnwahn-dreipage.de

Foto: Volkssport Herunterladen: Nicht alles, was Internetnutzer in Tauschbörsen anklicken, gehört ihnen auch

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