© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Der Staatsbankrott droht
USA: Ohne radikale Sparmaßnahmen ist das Verschuldungsproblem nicht zu lösen / Halten die Republikaner ihre Sparversprechen?
Patrick J. Buchanan

Als Präsident Bush im September 2002 die Invasion des Irak plante, warnte der Vorsitzende seines Wirtschaftsrats, Lawrence Lindsey, öffentlich, daß sich die Kosten für einen solchen Krieg auf 100 bis 200 Milliarden Dollar belaufen könnten. Lindsey hatte die Sünde der Ehrlichkeit begangen und bekam dafür den geballten Zorn der entsetzten Bush-Krieger zu spüren.

„Blödsinn“, erklärte Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Die Kosten würden um die 60 Milliarden liegen, sagte Mitch Daniels von der Haushaltsbehörde. Wir können den Krieg mit irakischem Öl finanzieren, behauptete Rumsfelds Stellvertreter Paul Wolfowitz, der 2005 dann Weltbankpräsident wurde.

Lindsey war seinerzeit noch vor Jahresende weg vom Fenster – er versuchte sein Glück nun „mit dem Zauber des Marktes“, um mir Ronald Reagan zu sprechen. Die Kosten des Irak-Kriegs haben allerdings mittlerweile sogar die Billionengrenze überschritten.

Lindsey ist somit jemand, auf den man hören sollte. Derzeit warnt er, daß Präsident Barack Obama und seine Leute die Defizite, die die USA im Laufe dieses Jahrzehnts anhäufen werden, massiv unterschätzen. Und zwar aus folgenden Gründen: Der Zinssatz, zu dem die US-Notenbank Geld leiht, lag in den vergangenen zwei Jahrzehnten bei durchschnittlich 5,7 Prozent. Obama stellt seine Berechnungen jedoch auf der Basis von lediglich 2,5 Prozent an.

Eine Rückkehr zu normalen Zinssätzen würde laut Lindsey das kumulative Haushaltsdefizit bis 2020 um 4,9 Billionen Dollar erhöhen, mehr als doppelt soviel wie die zwei Billionen, die Vizepräsident Joe Biden mit seiner Schuldengrenze einzusparen hofft.

Zum zweiten erhofft Obama sich in den nächsten drei Jahren Wachstumsraten von vier, 4,5 und 4,1 Prozent. Realistisch ist während der Phase der Erholung von einer Rezession mit einem Wachstum von 2,5 Prozent zu rechnen. Dadurch, so Lindsey, erhöht sich das zu erwartende Defizit um 700 Milliarden bis 2014 und um vier Billionen bis 2020.

Insgesamt kämen also bei einer Rückkehr zu einer normalen Wachstumsrate und normalen Zinnsätzen bis 2020 neue Defizite in Höhe von neun Billionen Dollar auf die USA zu. Neue Steuern für Millionäre und Milliardäre, die in Firmenflugzeugen um den Globus jetten, würden nicht einmal 0,1 Prozent dieser Defizite begleichen. „Einzig und allein langfristige Kürzungen im Anspruchsbereich können die Defizit- und Schuldenprobleme des Landes auch nur ansatzweise beheben“, so Lindsey. So logisch und vernünftig sich seine Schlußfolgerungen anhören, so unmöglich erscheint ihre politische Durchsetzung, solange beide Parteien entschlossen sind, weder das Rentensystem (Social Security) noch die Gesundheitsfürsorge im Alter (Medicare) anzurühren. Das macht Lindseys Schlußsätze um so eindringlicher: „Unter den Bedingungen der gegenwärtigen Regierungspolitik und der gegenwärtigen Wirtschaftsprojektionen sollten die Anleger sich weitaus größere Sorgen um ihre Renditen in zehn Jahren machen als um kurzfristige Aufschübe der Zinszahlungen im August.“

Seiner Überzeugung nach besteht angesichts der prognostizierten Defizite eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Wertverlusts der US-Schuldverschreibungen aufgrund von Inflation oder gar Zahlungsunfähigkeit. Für den Fall, daß die Schuldengrenze von 14,3 Billionen Dollar (JF 27/11) im August nicht angehoben wird, drohen die Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s bereits mit einer Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit.

Ist die Zahlungsunfähigkeit damit unabwendbar? Ein chinesischer Ökonom wirft den USA bereits jetzt vor, zahlungsunfähig zu sein, nachdem die Währungspolitik der Notenbank, die Welt mit frisch gedruckten Dollar zu überfluten, im Laufe des vergangenen Jahres zu einem Kursverlust von zehn Prozent gegenüber anderen Währungen geführt hat.

China, bei dem die USA mit einer Billion Dollar in der Kreide stehen, hat zusehen müssen, wie die Kaufkraft dieser Schuldverschreibungen in den Keller gestürzt ist. Verständlicherweise hegt man in Peking die Furcht, daß die USA diese Schulden weit unter Wert zurückzahlen werden, wenn überhaupt.

Wie sollte sich die republikanische Fraktion im Repräsentantenhaus verhalten? Vor allem muß sie ihren Grundsätzen und Überzeugungen treu bleiben. Die Ursache für diese Haushalts- und Schuldenkrise liegt in der Explosion der Staatsausgaben unter Barack Obama. Regierungen beider Parteien haben dazu beigetragen, daß die Staatskosten heute einen größeren Anteil an der US-Wirtschaft haben als je zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber die Republikanische Partei hat sich 2010 dazu verpflichtet, diesen Spuk zu beenden. Dieses Versprechen, dem sie ihren Triumph bei den letzten Kongreßwahlen zu verdanken hat, muß sie nun einlösen.

Schon alleine deshalb, weil sie es ihrem Land schuldig ist, dessen Bevölkerung die Nase voll hat von Politikern, die das eine sagen und etwas ganz anderes tun. Zweitens deswegen, weil unsere Finanzkrise ebenso wie die in Europa nicht durch zu geringe Steuereinnahmen, sondern durch zu hohe Staatsausgaben entstanden ist. Und drittens, weil es keine glaubwürdige wirtschaftswissenschaftliche Schule gibt, die behaupten würde, daß Steuererhöhungen im Produktionssektor der Königsweg zu mehr Wohlstand seien, wenn jeder sechste Amerikaner im arbeitsfähigen Alter unterbeschäftigt oder arbeitslos ist.

Unter Obamas Präsidentschaft wartet das Land seit nunmehr zwei Jahren vergeblich darauf, daß die Regierung den Karren aus dem Dreck zieht. Weder Obamas 787-Milliarden-Konjunkturpaket, seine bisherigen drei Haushaltsabschlüsse mit Defiziten in Höhe von zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts noch Ben Bernankes Aufkäufe von faulen Papieren und 600 Milliarden an Staatsschulden haben das erhoffte Wunder bewirkt.

Wenn die Republikaner nun Steuer­erhöhungen zustimmen, die gegen ihre Prinzipien, ihre Wahlversprechen und die Grundlagen ihrer fiskal- und wirtschaftspolitischen Philosophie verstoßen, begehen sie politischen Selbstmord. Freilich würde sich dann zugleich die Frage stellen, wozu wir überhaupt eine Republikanische Partei brauchen.

 

Patrick J. Buchanan war unter Ronald Reagan White House Director of Communications und später mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift „The American Conservative“.

Foto: Aktivist der konservativen Tea Party protestiert gegen Steuerpolitik: Zahlungsunfähigkeit unabwendbar?

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