© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/11 15. Juli 2011

Im Dienste der Weltrettung
Umwelt: Eine o­ffizielle Studie plädiert in der Diskussion um den Klimawandel für einen radikalen politischen und gesellschaftlichen Umbau
Thorsten Hinz

Was bringt es noch, den Parteienstaat zu kritisieren, den Bundestag, die Regierung? Drischt man nicht in Wahrheit auf Strohpuppen ein? Haben sie sich nicht längst in Kulissen verwandelt mit der Aufgabe, die wirklichen Machtstrukturen zu verbergen? Solche Fragen wirft die Broschüre „Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ auf, die der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung/Globale Umweltveränderungen vorgelegt hat.

An der Spitze der Autoren steht der Potsdamer Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, Merkels Klimaflüsterer, der auch EU-Kommissionspräsident Barroso berät. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie bereitete früher Phänomene wie die „89er“, die „Gefahr von Rechts“ und die „Multikulti“-Gesellschaft publizistisch auf, bis seine Spürnase die Klimafrage entdeckte; er gehört zu den Koautoren. Die Broschüre ist eine 30seitige „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“. Die Wissenschaftler wissen um ihre Nähe zur Macht und schlagen mit dem Argument der Klimarettung eine weltweite Neuordnung der politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse vor. Das sind Maßstäbe, in denen zuletzt Lenin, Trotzki, Stalin oder Roosevelt planten.

Der erste Satz beschwört „die aktuelle Demokratiebewegung in der arabischen Welt und den Fall der Berliner Mauer“ als Beispiele gesellschaftlicher Transformationen: Die Analogie ist ein semantischer Trick, der ungeprüft die positive Konnotation des Mauerfalls auf die arabische Revolte überträgt, von der längst nicht klar ist, ob sie nicht langfristig vielmehr einen religiösen in einen politischen Fundamentalismus transformiert.

Die Verfasser suggerieren, daß die ganze Welt unabhängig von kulturellen Unterschieden sich auf demselben Pfad des Fortschritts befindet. Diese Suggestion wird anschließend auf einen „globalen Wertewandel in Richtung Nachhaltigkeit“ übertragen. Das klingt unverfänglich, beinahe unpolitisch und gattungsmäßig-allgemein. Wen das Schlagwort „Nachhaltigkeit“ trotzdem nicht überzeugt, der wird anschließend mit der Behauptung konfrontiert, das Ende der Sowjetunion und der – vom Westen angeheizte – Bürgerkrieg in Libyen bewiesen „den Zusammenbruch von auf Extraktion von Öl und Gas gestützten Diktaturen“. Daher sei die „Transformation zur Klimaverträglichkeit (...) moralisch ebenso geboten wie die Abschaffung der Sklaverei und die Ächtung der Kinderarbeit.“

Wer das Dogma vom menschengemachten Klimawandel und die daraus abgeleiteten normativen Vorgaben zurückweist oder bezweifelt, der befindet sich mit Diktatoren, Sklavenhaltern und Kinderschindern auf derselben moralischen Ebene.

Der Marxismus-Leninismus legte die Menscheitsgeschichte auf eine Geschichte von Klassenkämpfen fest, die in der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft ihre Erlösung finden sollte. Der Wissenschaftliche Beirat verortet die Welterrettung in einer „nachhaltigen“ oder „postfossilen“ Gesellschaft“, die maximal zwei Grad Erderwärung zuläßt. Um dorthin zu gelangen, müßten die „Nationalstaaten ihre kurzfristigen Interessenskalküle zugunsten globaler Kooperationsmechanismen zurückstellen“. Erforderlich seien eine „Weltbürgergesellschaft“ und ein „starker (Öko-)Staat“, in dem sich eine „selbstorganisierte Zivilgesellschaft“ formiert, die an der „Überwindung tradierter Souveränitätsvorstellungen“ arbeitet. An deren Stelle sollen die „Normen, Regeln und Verfahren“ eines „globalen Gesellschaftsvertrags“ treten, die von „Global-Governance-Theoretiker, Völkerrechtlern, Kosmopoliten, Transnationalisten und Gerechtigkeitsphilosophen“ zu formuliert sind. Um diesen „zivilisatorischen Quantensprung“ zu erreichen, seien „zwischenstaatliche Allianzen von Klimapionieren“ nötig.

Nebenbei wird die Forderung erhoben, „Personen außerhalb der nationalen Staatsverbände im Sinne transnationaler Demokratie“ einzubeziehen. Der Klimaschutz soll in Deutschland als Staatsziel verbindlich festgeschrieben und Bundestag und Bundesrat um eine „Zukunftskammer“ ergänzt werden, in der – so ist zu vermuten – eine vermeintliche Einsichts- und Wissenselite Platz nimmt. Diese benutzt den Klimaschutz zur Begründung ihrer Selbstermächtigung. Der demokratische National- und Rechtsstaat würden außer Kraft gesetzt und eine Gesellschaft nach neuen, ideologischen Regeln geformt.

Diese Gefahr betrifft nicht nur Deutschland. Der Wissenschaftliche Beirat wurde vor 20 Jahren im Vorfeld der Tagung der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung gegründet, die im Juni 1992 in Rio abgehalten wurde. Damals wurde eine „Agenda 21“ beschlossen, ein Aktionsprogramm, das eine Neue Weltordnung beschreibt und von über 170 Staaten unterzeichnet wurde. Mit dem Ziel einer umweltverträglichen und nachhaltigen Entwicklung wurden damals Ratschläge für den Um- und Abbau der Nationalstaaten erteilt.

Die Transmissionsriemen bilden demnach die sogenannten NGOs, die Nichtregierungsorganisationen, die vordergründig basisdemokratisch agieren, aber längst mit staatlichen und supranationalen Machtzentren kooperieren, sie durchdringen und beeinflussen. Diese Aktivistengruppen, die vor allem durch Lautstärke und auffällige Medienpräsenz legitimiert sind, sind als Statthalter eines vorgeblichen Globalinteresses und der Organisationen der Vereinten Nationen vorgesehen. Sie sollen sich auf der kommunalen und regionalen Ebene etablieren und zugleich transnationale Netzwerke bilden und so die Nationalstaaten wirksam konterkarieren.

Den staatlichen Stellen wird aufgetragen, den Organisationen Daten über Verhaltensweisen und Verbrauchsgewohnheiten der Bürger zur Verfügung zu stellen, damit sie Verstöße gegen die von den Vereinten Nationen beschlossenen Programme kontrollieren können. Die Hauptinstrumente der globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik sind „Gesetze und Rechtsverordnungen“, an deren Umsetzung und Kontrolle die NGOs in „angemessener“ Weise zu beteiligen seien. Damit kämen sie in staatliche Machtpositionen, den jakobinischen Wohlfahrtsausschüssen vergleichbar. Derart etabliert, könnten sie die Drosselung von Konsum- und Produktionskapazitäten oder die Aufnahme von „Klimaflüchtlingen“ erzwingen. Ausdrücklich gefordert wird eine zwischenstaatliche Umverteilung durch „einen erheblichen Zustrom neuer und zusätzlicher Finanzmittel in die Entwicklungsländer“.

Um Widerstände gegen solche Forderungen dauerhaft zu brechen, wird eine langfristig angelegte Verhaltenssteuerung und -änderung angestrebt. Die einzelnen Staaten wie auch die Vereinten Nationen sollen „eine kooperative Beziehung zu den Medien, populären Theatergruppen sowie der Unterhaltungs- und Werbebranche pflegen“. Ziel ist die „Herbeiführung eines Bewußtseinswandels bei den Menschen, damit sie in der Lage sind, ihre Anliegen in bezug auf eine nachhaltige Entwicklung abzuschätzen und anzugehen.“

Die SPD-Politikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul stellte als rot-grüne Entwicklungshilfeministerin begeistert fest, daß die verschiedenen Umwelt- und Klimakonventionen die internationalen Spielregeln bereits geändert hätten. „Die Umweltkonventionen sind Vorreiter für ‘global gouvernance’ und eilen dem ökonomischen Betrieb weit voraus.“ Mit dem „Gesellschaftsvertrag“ setzt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung also nur die Vorgaben der globalen „Agenda 21“ um. Die Grünen, die zivilgesellschaftlich-jakobinischen Furor und vormundschaftliches Staatsverständnis in sich vereinen, sind die klassische Verkörperung der skizzierten Tendenzen und Visionen.

An der entscheidenden Tagung der Vereinten Nationen 1992 in Rio nahm übrigens Angela Merkel als Umweltministerin teil, die damals offenbar bleibende Eindrücke von der gegenwärtigen und künftigen Verteilung globaler Macht empfing. Auch das mag ihren Aufstieg und ihr Politikverständnis erklären. Auf dem Evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden bezeichnete sie die Vereinten Nationen als „sozusagen das legitimierte Dach der Welt, von dem aus Beschlüsse wirklich festgelegt und in Resolutionen verbindlich gemacht werden können“. Merkel profiliert sich als Agentin globaler Machtstrukturen.

 

Akzeptanz von Energieträgern in der EU

Solarenergie dafür: 80% ausgeglichen: 14%

Windenergie dafür: 71% ausgeglichen: 21%

Wasserkraft dafür: 65% ausgeglichen: 23% weiß nicht: 9%

Meeresenergie dafür: 60% ausgeglichen: 24% weiß nicht: 14%

Bioenergie dafür: 55% ausgeglichen: 27% dagegen: 8% weiß nicht: 10%

Erdgas dafür: 42% ausgeglichen: 47% dagegen: 7%

Erdöl dafür: 27% ausgeglichen: 52% dagegen: 17%

Kohle dafür: 26% ausgeglichen 49% dagegen: 20%

Kernenergie dafür: 20% ausgeglichen: 36% dagegen: 37% weiß nicht: 6%

Sonnenschein über Europa: 80 Prozent der EU-Bürger finden Solarenergie gut, nur 20 Prozent sind für Atomkraft. Aber weniger als die Hälfte der Befragten wäre bereit, für Energie aus erneuerbaren Quellen mehr zu bezahlen.

Angebliche Gleichung: Je weniger Macht die Staaten der Welt an supranationale Organisationen abgeben (Y-Achse), desto größer ist die Gefahr von Wirtschaftskrisen und stärkerer Klimaerwärmung (X-Achse).

Die Studie „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ des Wissenschaftlichen Beirates kann im Internet abgerufen werden. www.wbgu.de

Foto: Demonstration für die Energiewende in Berlin: „Herbeiführung eines Bewußtseinswandels bei den Menschen“

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