© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Fortgesetztes Denken in konkreten Ordnungen
Bernd Rüthers sieht Juristen weiter in der Tradition der Verdrängung / Beispiel des Rechtslehrers und Parteigängers der Nationalsozialisten Karl Larenz
Robert Mehring

Generationen von Juristen lernten mit seinen Lehrbüchern das Bürgerliche Gesetzbuch, Allgemeiner und Besonderer Teil, besser kennen als beim Repetitor. Ehrgeizlinge quälten sich sogar durch Karl Larenz’ (1903–1993) Methodenlehre. Doch viele Studenten, nach 1968 zumal, griffen zu den grünen Bänden im wohlig-gruseligen Gefühl, sich von einem Autor mit „brauner Vergangenheit“, vom „Carl Schmitt des Zivilrechts“, über die BGB-Systematik belehren zu lassen.

Daran, daß Larenz’ „führende Rolle bei der rassisch-völkischen Rechtserneuerung aufgedeckt“ wurde, hat der Konstanzer Arbeitsrechtler Bernd Rüthers mit seiner inzwischen in sechs Auflagen verbreiteten, 1968 erstmals veröffentlichten Monographie über „Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus“ einen Löwenanteil. Der Emeritus Rüthers muß sich daher besonders provoziert fühlen, wenn, wie jüngst durch den Larenz-Schüler Claus-Wilhelm Canaris, sein Bild des „Rassisten“ ins Wanken gerät, der dem „Unrechtsstaat“ die Instrumente für „unbegrenzte Aus- und Einlegungen“, für die „grundlegende Umdeutung des überkommenen Rechts“ im Sinne der NS-Weltanschauung und Rassenideologie lieferte.

So nimmt sich Rüthers denn Canaris erwartungsgemäß kräftig zur Brust (Juristen-Zeitung, 12-2011). Wer wie Canaris bestreite, daß Larenz „Rassist“ gewesen sei, wer gar insinuiere, er habe heimlich an der wissenschaftlichen Domestizierung des Nationalsozialismus gearbeitet, und wer daher in seine Texte Widerständiges, „gegenläufige Tendenzen“, hineinlese, pflege die „Tradition der Verdrängung“. Was sich keinesfalls als antiquarische Bedeutungslosigkeit abtun lasse, sondern heute politisch wie rechtspolitisch durchaus handfeste Wirkungen zeitige. Gebe es doch, behauptet Rüthers, ein fortgesetztes Denken in den von Larenz und seiner rechtswissenschaftlichen Alterskohorte kreierten „konkreten Ordnungen“. Das bundesdeutsche Arbeitskampfrecht oder die anhaltende Diskussion über Gesetzesverschärfungen im „Kampf gegen den Terror“ böten dafür Beispiele.

Nun ist vom 81jährigen Rüthers kaum mehr zu erwarten, daß er sich aus seinem dualistischen Schematismus „Rechtsstaat versus Unrechtsstaat“ befreit, der seine eigenen „Aus- und Einlegungen“ zur NS-Zeit befeuert. Hierzu gilt weiterhin Larenz’ 1980 im persönlichen Gespräch gemachter Einwand: „Von dem, was real vorging, haben Sie nichts verstanden.“ Trotzdem trifft der historisch so peinlich unmusikalische Rüthers in einem Punkt ins Schwarze, der zwar nichts mit Larenz’ Biographie vor 1945, aber viel mit seiner starken Resonanz als führender Methodenlehrer nach 1945 zu tun hat. Larenz und die kaum überschaubare Schar seiner Schüler und Enkel-Schüler auf zivilistischen Lehrstühlen, in Ministerien und an obersten Gerichten hätten die Illusion vom „richtigen Recht“ genährt, das wissenschaftlich „objektiv“ erkennbar sei.

Dieser Wissenschaftsbegriff ignoriert, daß in allen Rechtsnormen „notwendig subjektive, weltanschaulich begründete Vorverständnisse enthalten“ und ihnen „unvermeidlich“ Werturteile über die „Sinnhaftigkeit der mit ihnen verfolgten rechtspolitischen Ziele“ immanent sind. Welchen Nutzen der Juristenstand aus einer derart eingeforderten Sensibilität für die Relativität jeder Rechts- als zeitbedingter Wertordnung ziehen könnte, verrät Rüthers leider nicht. Daß sie ihn, vor vierzig Jahren beherzigt, von seiner Bewältigungsobsession geheilt hätte, ist indes sicher.

 www.mohr.de

Zivilrechts-Kommentar von Karl Larenz und Abzeichen des NS-Juristenbundes: Werturteile

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