© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Deutscher Wilder Westen
Ein Rancherkrieg im Wilden Westen als Nationalitätenkonflikt
Toni Roidl

Am 18. Februar 1875 ritten etwa vierzig maskierte Männer im texanischen Mason City ein. Mit vorgehaltenen Sechsschüssern stürmten sie das Gefängnis und zerrten fünf Mitglieder der Backus-Bande aus ihren Zellen. Sie schleppten die Viehdiebe auf die Straße und „legten ihnen Hanfkrawatten um“. Jeder in Mason County wußte, daß sich hinter den Masken deutschstämmige Cowboys und Rancher verbargen. Dieser Akt von Lynchjustiz war mehr als gängige Wildwest-Folklore – es war der Ausbruch eines Nationalitätenkonfliktes. Mehr als drei Viertel der Einwohner von Mason County waren deutschstämmig. Die ersten Auswanderer hatten sich Mitte der 1840er in Hamburg eingeschifft. Ihr Ziel war Indianola in der Matagorda-Bucht an der texanischen Golfküste.

Die erste Siedlerwelle ließ sich in Fredricksburg nieder, die zweite gründete „New Braunfels“ (wo man noch heute das „German Wurstfest“ feiert), die dritte wanderte bis ins Herz von Texas. Hier wurden „die blonden Wikinger zu perfekten Cowboys“, wie zeitgenössische Chronisten bemerkten. Die eingesessenen Texaner lobten auch den Kampfesmut der irrtümlich „dutchmen“ genannten Deutschen. Bewaffnete Auseinandersetzungen mit Indianern waren damals zahlreich. Trotz aller Skepsis gegen ihre kulturellen Gepflogenheiten, wenn es gegen die Comanchen ging, konnte man sich auf die Germans verlassen. Doch als der Sezessionskrieg ausbrach, erklärten sich die „Wikinger“ offiziell für neutral. Für die Südstaatler hieß neutral dasselbe wie unionsfreundlich. Und einem verhaßten Yankee sein Vieh zu stehlen, wurde nicht als Verbrechen betrachtet. Auch viele Geschworene bei Gericht, die eingefleischte Konföderierte waren, sahen in Rinderdieben eher Vollstrecker einer höheren Gerechtigkeit – sofern sie Deutsche bestahlen.

Der Austin Daily Statesman schreibt in seiner Ausgabe vom 18. November 1875: „Die meisten Diebstähle werden an Deutschen begangen. Obwohl die Amerikaner darin übereinstimmen, daß diesen Outlaws Einhalt zu gebieten sei, unternehmen sie nichts, ehe man ihnen auch Vieh stiehlt. Deshalb werden die Deutschen in ihrem Kampf gegen diese existenzbedrohende Geißel der Zivilisation allein gelassen.“

Es wäre auch keine Staatsmacht vorhanden gewesen, die sie hätte unterstützen können. Nachdem die Unionstruppen das Fort Mason 1869 aufgegeben hatten, waren die Einwohner des Countys für die Durchsetzung von Recht und Ordnung selbst verantwortlich. Da die Größenordnung der Rinderdiebstähle bald viele kleine Rancher tatsächlich an den Rand des Ruins brachte, nahmen die Deutschen das Gesetz eben in die eigene Hand – in üblicher Texas-Tradition: Erst schießen, dann fragen. Zwei heiße Jahre lang beherrschten deutsche Namen Zeitungen, Gerichtsakten und – Grabsteine: Anton Hoerster, Peter Bader, Fritz Kothmann, August Keller, Henry Pluenneke ...

Anführer der deutschen Rancher war Dan Hoerster, „ein Riese mit maisfarbenem Haar“. Ihr größter Feind war der Outlaw Scott Cooley. Schießereien waren bald an der Tagesordnung: Cooley und der Revolverheld Johnny Ringo dezimierten die deutschen Rancher; diese revanchierten sich mit Colt und Strick. Ende Februar fand man den 17jährigen Cowboy Allen Bolt von Kugeln durchlöchert an der Straße nach Mason. An seinem Rücken hing ein Zettel mit der Aufschrift: „Hier liegt ein Viehdieb!“ Insgesamt ließen mindestens zwölf Beteiligte ihr Leben.

Auch Hoerster wurde hinterrücks erschossen. Doch als Scott Cooley den deutschstämmigen Deputy Sheriff John Wohrle skalpierte, war das Maß voll! Der Gouverneur ermächtigte die Texas Rangers unter Major John Jones zum Eingreifen. Aber die Rangers maulten, weil sie mit den Outlaws sympathisierten, und auch die amerikanischen Rinderzüchter beschwerten sich beim Gouverneur über dessen angebliche Verletzung der „Neutralität“. Kurz darauf löste sich das Problem jedoch auf unerwartete Weise: Cooley kaufte im Nimitz-Saloon in Fredericksburg eine Flasche Whiskey. Das Arsen darin hätte ausgereicht, seine gesamte Bande zu vergiften. Nachdem ihn das Gift getötet hatte, zerstreuten sich seine Lohnschützen in alle Winde – verfolgt von den Rangers.

Wie in Texas damals allgemeiner Brauch, wurde in der Nacht vom 21. Januar 1877 das Gerichtsgebäude angezündet, um ein juristisches Nachspiel zu verhindern. Alle Akten über die als „Hoodoo-Krieg“ bekannt gewordene Fehde verbrannten. Beide Seiten begrüßten das Feuer und waren erleichtert darüber, daß so eine gerichtliche Fortsetzung verhindert wurde, von der man befürchtete, sie könne „schlafende Wölfe wecken“.

Noch am Tage des Todes von Dan Hoerster hatte Major Jones dem Gouverneur resigniert mitgeteilt: „Das nationale Vorurteil ist hier sehr bitter – Amerikaner gegen Deutsche und umgekehrt.“ Nach dem überraschenden Ende des Mason County War waren die nationalen Gegensätze anscheinend plötzlich vergessen. Die Revolvermänner wurden kaum verfolgt oder schnell begnadigt. Die meisten Störenfriede verließen die Gegend. So wie Johnny Ringo: Er ging ins berüchtigte Tombstone nach Arizona und legte sich mit einem Gegner an, dem er nicht gewachsen war – Wyatt Earp.

Foto: Deutsche Einwanderer auf dem Zuge nach Neu-Braunfels: Als Parteigänger der Yankees diskriminiert

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