© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Die Bundeswehr und das Primat der Politik
Zivilversagen
Johannes Meyer

Auf der Titelseite des Magazins des Deutschen Bundeswehrverbandes sah man im Februar den Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus seinen ersten Jahresbericht in die Kameras halten. Seine Botschaft war dort mit „Führungsverhalten läßt zu wünschen übrig“ zusammengefaßt. Nur wenige werden diese Zeile auf die oberste Führung der Streitkräfte beziehen; nämlich auf die Politik. Die Bundeskanzlerin, der Verteidigungsminister und nicht zu vergessen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages bilden die oberste, das heißt die politische Führung der Bundeswehr, die ihren Führungsanspruch stets mit dem Prinzip des Primats der Politik und dem Schlagwort von der Parlamentsarmee betont.

Altbundeskanzler Helmut Schmidt untermauerte die Rolle des Parlaments einst mit der Behauptung, es bewahre die Bundeswehr davor, „mißbraucht“ zu werden. Gerade bei dem von ihm intendierten Bezug zur nationalsozialistischen Diktatur sollte jedoch betont werden, daß es hierbei um den Mißbrauch des Militärs durch Politiker geht. Beim Begriff des Primats der Politik wird oft mit diesem negativen Bezug zur Geschichte vor 1945 operiert, wobei auch dem heutigen Militär ein Frieden und Demokratie bedrohendes Selbstverständnis unterstellt wird. So verlas Angela Merkel bei der  Kommandeurstagung der Bundeswehr im Jahre 2008, daß „wir (...) in der Bundesrepublik Deutschland eine Wehrverfassung (haben), die das Primat der Politik gegenüber den Streitkräften eindeutig festlegt.“ Sie fügte folgendes hinzu: „Für die Bundeswehr gehört dieses Primat inzwischen zum Selbstverständnis, es ist eine Selbstverständlichkeit.“

Nimmt man diesen Satz ernst, müssen Angehörige der Bundeswehr das Primat der Politik zuvor in Zweifel gezogen oder sogar aktiv bekämpft haben. Oder es scheint in der politischen Führung der Bundesrepublik die Meinung zu herrschen, daß Äußerungen aus dem Militär, die den Ansichten der Politik widersprechen, bereits einen Verstoß gegen deren Primat bedeuten. Aktionen, wie die eines Claus Schenk Graf von Stauffenberg gegen die politische Führung Adolf Hitlers 1944 oder französischer Offiziere in der „Organisation Armée Secrète“ gegen Präsident Charles de Gaulle 1962, sind aus der Geschichte der Bundeswehr jedoch nicht bekannt.

Dafür wandelt bis heute ein anderes Gespenst durch die Diskussion, wenn es um das Verhältnis der Bundeswehr zu Staat und Gesellschaft geht: die Reichswehr. Dazu sei hier Gerd Schmückle zitiert, der ehemalige Wehrmachtsoffizier und Vier-Sterne-General der Bundeswehr. Er schildert in seinen Erinnerungen, wie man den Soldaten in der frühen Bundesrepublik entgegentrat: Man ängstigte sich, „die Geschichte der Reichswehr könne sich wiederholen. Mancher Politiker in Bonn (...) sehe im Geiste schon deutsche Obersten den Staatsstreich planen, Generale die Kabinette stürzen und Bundeskanzler mit Bajonetten stützen“.

Dieser Rückgriff auf die Reichswehr als Beispiel einer Gefährdung der Demokratie durch das Militär wurde zum Leitbild in westdeutscher Politik und Medien. Doch kaum jemand weiß heute noch, wer 1918/19 die junge Republik vor dem kommunistischen Umsturz schützte, wer 1923 die Umsturzversuche von links und rechts vereitelte und 1933 zumindest die Möglichkeit prüfte, die nationalsozialistische Machtübernahme mit Gewalt zu verhindern?

Statt dessen wurde ein unverbürgter Ausspruch des Chefs des Truppenamtes Hans von Seeckt in der Kapp-Putsch zur Befehlsverweigerung gegenüber dem Reichswehrminister stilisiert und das Bild von der Reichswehr als „Staat im Staate“ und Wegbereiterin des Nationalsozialismus konstruiert. Hier wirkte sich auch eine Geschichtswissenschaft aus, die dem Historiker Sönke Neitzel zufolge für keinen Berufsstand mehr Verachtung empfindet als den des Soldaten.

Vor diesem Hintergrund ist erneut Schmückles Schilderung aufschlußreich, in der das Verständnis des Verteidigungsministers Theodor Blank von der Rolle des Militärs beleuchtet wird. Als Blank Planungen für eine Interessenvertretung der Soldaten bekannt wurden, verkündete er in einer Besprechung, daß er „allein für die Armee verantwortlich (sei). Niemand sonst. Wem das Soldatenleben nicht passe, der möge gehen – besser heute als morgen. Er brauche Offiziere, die Schwierigkeiten schweigend und gehorsam ertrügen.“ Von Minister Kai-Uwe von Hassel weiß Schmückle zu berichten, daß dieser während der Starfighterkrise bei der Berufung von Johannes Steinhoff zögerte, weil der General fachliche Bedingungen stellte, denn: „Einem General nachgeben, hieß in Deutschland: politische Schwäche zeigen.“ Ähnliche Aussagen kann man auch heute bei Bundestagsabgeordneten hören, wenn sie auf kritisch diskutierende Soldaten stoßen: „Ziehen Sie doch den Rock aus, wenn es Ihnen in der Bundeswehr nicht gefällt.“

Es wird deutlich, wo die Grenzen der Führungsphilosophie in der Bundeswehr („Innere Führung“) liegen. Politische Führer waren und sind nicht an sie gebunden. Eine Erkenntnis, die Offiziere im Verteidigungsministerium bis heute bestätigen. Als Beispiel sei Volker Rühe genannt, der sich durch sein Verhalten bis heute den Namen „Volker Rüpel“ gesichert hat. Der Geist des „unbedingten Gehorsams“ des Militärs gegenüber der Politik übt auch seinen Einfluß in Köpfen heutiger Politiker aus. Die Begriffskombination aus Primat der Politik und Loyalität dient dabei als Ersatz.  

Das wurde trotz Vergangenheitsbewältigung auch deshalb möglich, weil andere staatliche und gesellschaftliche Eliten geräuschloser in die junge Republik übertraten. Man war schließlich entnazifiziert worden und wurde bereits seit 1945 zunehmend wieder gebraucht. Als Schuldige blieben „die Nazis“ und das Militär übrig. So wurde den neuen Streitkräften schon bei der Aufstellung der Personalgutachterausschuß auferlegt, der ohne weitere Begründung Bewerber ablehnen konnte. Daß dieser Ausschuß durchaus einige Problemfälle bereits vor den Kasernentoren entschärfte, sei dabei unbestritten.

Doch ging man noch viel weiter mit dieser Sonderbehandlung, die sich bis heute in der Kommandostruktur der Bundeswehr auswirkt. Gewerkschaften, Beamte und Antimilitaristen aller Parteien setzten ihre Version deutscher Geschichte durch. Das Primat der Politik gegenüber dem Militär wurde dabei zum Primat des Zivilen – das heißt der Beamten und enthüllenden Journalisten – verfälscht. Militär blieb ein Synonym für Antidemokratie und in der weiteren Entwicklung sogar Nationalsozialismus. Kein Wunder also, wenn deutsche Militärs auch nach 1945 nicht dafür bekannt wurden, in öffentlichen Diskussionen eigene Meinungen zu vertreten.

Noch immer ist ein General als „politischer Beamter“ schnell entlassen – auch ohne Begründung. Und dies um so schneller, wenn eine zunehmende Zahl von Abgeordneten, Juristen und Journalisten ihre moralische Überlegenheit gegenüber Soldaten auslebt. Doch wie sieht es mit dem Verhältnis der Politiker zu den Soldaten aus, wenn Mißtrauen und Skandale in der öffentlichen Darstellung vorherrschend sind und nicht wenige Abgeordnete und Parteien im Bundestag mit einer bundeswehrfeindlichen Haltung Stimmen gewinnen?

Hier sei zunächst ein Schlaglicht auf den Wehrbeauftragten geworfen. Das wirkungsvollste Mittel seiner politischen Kontrolle der Bundeswehr ist die Regelung, daß jeder Soldat sich an ihn wenden kann, ohne zuvor die weitreichenden Rechte der dienstlichen Beschwerde genutzt zu haben. Kurzum: Man kann sich der direkten Konfrontation mit Vorgesetzten entziehen und mit wahren oder falschen Behauptungen Ermittlungen in Gang setzen. Damit wird natürlich das, was man Rückgrat oder heute gerne „Zivilcourage“ nennt, nicht unbedingt gefördert.

Soldaten sollen durch Selbstvertrauen, Entschlußkraft und Tapferkeit unter Einsatz von Gesundheit und Leben schwierigste Situationen lösen können. Im täglichen Dienst der Bundeswehr werden sie jedoch als erstes darauf hingewiesen, wie man einen Vertreter des Bundestages gegen Kameraden instrumentalisiert, ohne ihnen zuvor auch nur ansatzweise die Gelegenheit gegeben zu haben, sich zu äußern. Vorherige offene Ansprache, Meldung an Vorgesetzte oder das Einreichen einer Beschwerde? Wozu, wenn man direkt den Beauftragten des Parlamentes für sich nutzen kann? Daß der Wehrbeauftragte und seine Mitarbeiter nur wenig Interesse daran haben, dies zu ändern, kann auch daran liegen, daß die Zahl der Eingaben zurückgehen könnte und damit sowohl die politische Bedeutung als auch Dienstpostendotierungen.

Unbestritten ist, daß die Wehrbeauftragten mit den fortlaufenden Auslandseinsätzen der Bundeswehr zunehmend Versäumnisse und Fehlverhalten in Politik und Gesellschaft benennen. Auch gegenüber jenem Parlament, das den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr völkerrechtswidrig abgesegnet hat, als es 1999 die deutsche Luftwaffe als Spitze der Nato-Luftangriffsverbände nach Serbien einfliegen ließ. Daß die Ausstellung des Luftwaffenmuseums zu 50 Jahren Bundesluftwaffe diesen Einsatz nahezu nicht erwähnt, ist mehr als nur bemerkenswert. Dagegen bekommt die Truppe in Afghanistan bis heute keine Feuerunterstützung durch deutsche Kampfflugzeuge und ist auch sonst stark eingeschränkt, ihre waffentechnische Überlegenheit und Gefechtsgrundsätze anzuwenden.

Entlarvende, ausfallende und skandalisierende Aussagen einzelner Abgeordneter und Journalisten lassen sich viele anführen, wie die Gebirgsjäger erst jüngst erfahren durften. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen Winfried Nachtwei gilt beispielsweise bei vielen Soldaten als kundiger Abgeordneter, der sich der Sicherheitspolitik ernsthaft widmet. Wie sehr auch dieser Mann in seiner Welt gefangen ist, wurde an seiner Stellungnahme zur Frage deutlich, ob der Einsatz in Afghanistan ein Krieg sei. Der Leutnant der Reserve argumentierte, daß in diesem Einsatz der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Gewaltanwendung gelten würde, was im Krieg nicht der Fall sei.

Ist diese falsche Behauptung nun ein Beweis für die völlige Ahnungslosigkeit dieses im Vergleich mit seinen Kollegen als sachkundig geltenden Abgeordneten? Oder bezeugt sie den Versuch, den letzten Rest grüner Glaubwürdigkeit zu retten, die doch seit dem rot-grünen Luftwaffeneinsatz gegen Serbien ohnehin verloren ist? Daß Nachtwei offenbar kein Einzelfall ist, bezeugte der ehemalige Wehrbeauftragte Willfried Penner (SPD) bereits 2005, als er es für notwendig hielt, seine Kollegen im Parlament darauf hinzuweisen, daß Einsatzbefehle für die Bundeswehr mit Töten, Verwunden und Zerstören zu tun haben. Dennoch vernimmt man bis heute Stimmen von Abgeordneten, die den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan nur dann billigen wollen, wenn „die da nicht schießen“.

Das Primat der Politik ist ein legales Prinzip, das jedoch nur dann Legitimation erhält, wenn eine glaubhafte und an der Realität ausgerichtete Politik dahintersteht, die der besonderen Verantwortung der Politiker gegenüber den Soldaten gerecht wird. Denn Tod und Verwundung sind in der Politik die realen Konsequenzen für die Soldaten. Hier beweist sich wahre historische Verantwortung.

 

Dr. Johannes Meyer, Oberstleutnant der Reserve, Jahrgang 1968, stand mehr als zwanzig Jahre in Diensten der Bundeswehr und ist heute als freier Historiker mit dem Schwerpunkt Militärgeschichte tätig.

Foto: Der Soldat als Hampelmann: Der „Staatsbürger in Uniform“ ist zum Befehlsempfänger der Berufspolitiker und militärischen Laien degeneriert

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