© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Deutliche Worte
Angeführt von Tom Buhrow (ARD) vollziehen deutsche Leitmedien einen Kurswechsel in Sachen Euro
Ronald Berthold

Ein Wind des Wandels weht durch den deutschen Blätterwald. Berichte zum Euro dürfen inzwischen gern auch ein bißchen kritisch sein. Immer mehr Sender und Blätter wenden sich den Realitäten zu und rühren am Tabu der Unantastbarkeit des gemeinsamen Geldes. Auch die Töne gegen die Empfänger einer Transferunion werden schärfer.

Den Anfang machte bereits vor mehr als einem Jahr Tagesthemen-Moderator Tom Buhrow. In einem bislang wenig beachteten, dafür aber um so fulminanteren Beitrag für die New York Times nahm der Fernseh-Frontmann im April 2010 Abschied vom idealistischen und naiven europäischen Gedanken. Es war ein Startschuß, den offenbar vor allem die Reporterkollegen hörten. Seitdem strahlt die ARD deutlich kritischere Berichte zur Währungsunion aus.

Deutsche Leitmedien mahnen zunehmend die Wahrnehmung deutscher Interessen an. So schreibt Buhrow über Deutschlands künftiges Verhältnis mit den anderen EU-Mitgliedstaaten: „Wir werden Freunde bleiben. Aber wir werden nicht mehr den Pin-Code unserer EC-Karte mit euch teilen.“

Hoppla, das sitzt. Buhrow äußert den Verdacht, Deutschland sei auf Dauer die Rolle des Zahlmeisters zugedacht: „Wir haben bei der EU stets den Löwenanteil bezahlt und unsere eigenen nationalen Interessen in die zweite Reihe gestellt.“

Der 52jährige läßt keinen Zweifel daran, daß es so nicht weitergehen könne. In der rechtsradikalen Ecke will er sich aber nicht wiederfinden: „Wir werden nicht nationalistischer, sondern realistischer.“ Interessant ist dennoch, daß Buhrow die Aufgabe von Realitätsverlust in Zusammenhang mit nationalen Interessen bringt und gleichzeitig die oft gehörte Instrumentalisierung des NS-Staats ablehnt: „Soll das das europäische Projekt sein – entweder Deutschland bezahlt die Rechnung oder unsere Vergangenheit wird gegen uns heraufbeschworen?“

Die deutlichen Worte des prominentesten ARD-Journalisten fielen auf fruchtbaren Boden. Im Morgenmagazin beendete Reporter Sven Lorig kürzlich einen Beitrag über Griechenland mit den Worten: „Immer noch mehr Geld reinzugeben, macht keinen Sinn.“

Zuvor griff der sonst politisch eher vorsichtige Journalist die Strukturen des EU-Staates massiv an. Gewerkschaften seien „korrupt“ und „ein Musterbeispiel für den Filz in der griechischen Gesellschaft“. Einen griechischen Schriftsteller läßt Lorig gar sagen: „Griechenland ist der letzte Staat des real existierenden Sozialismus – und der bricht gerade zusammen.“ Wer an öffentlich-rechtlichen Kuscheljournalismus gegenüber EU und Währungsunion gewöhnt ist, den lassen solche Sätze aufhorchen – in etwa so, als wenn einst in der Aktuellen Kamera Kritik an Erich Honecker geübt worden wäre.

Mit dem Spiegel ätzt ein weiteres Leitmedium: „Jetzt sind wir also die Euro-Nazis. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis es so weit kommen würde, dieser Fummel hängt immer griffbereit im internationalen Kostümfundus“, schreibt Jan Fleischhauer. Und der Ton wird auch im nicht gerade für Nationalismus bekannten Nachrichtenmagazin rauher: „Was ist passiert? Ist bei den Bundesbürgern die lang unterdrückte Eroberungswut durchgeschlagen? Haben die Deutschen sich im Gegenzug für ihre Hilfsbereitschaft ein paar griechische Inseln unter den Nagel gerissen? Nein, die Europäer, mit der Bundesregierung vorneweg, sind gerade dabei, noch einmal 110 Milliarden Euro lockerzumachen – zusätzlich zu den 110 Milliarden, die sie schon auf den Weg gebracht haben, um das Südland vor der Pleite zu bewahren.“ Offenbar hat der Euro geschafft, was ohne Währungsunion undenkbar wäre: Deutsche Journalisten verwahren sich gegen Kritik aus den Nachbarländern und gehen zum Konter über.

Zweimal mußte mancher wohl die Passage lesen, in der der Spiegel daran erinnert, daß „die Kanzlerin auf das Grundgesetz verpflichtet ist, wo aus gutem Grund nichts von europäischen Herzensangelegenheiten steht“. Starker Tobak für eine Leserschaft, die an jahrzehntelangen Büßerton gewöhnt ist.

Heute gehört er offenbar zu einer Stimme im immer vielseitiger werdenden Chor der deutschen EU-Berichterstatter. „Warum machen die Griechen uns zum Buhmann?“ fragt gleichzeitig empört die Bild-Zeitung und schreibt: „Deutschland zahlt und wird dafür beschimpft.“

All dies wird bei den Lesern und Zuschauern nicht unbedingt die Lust auf den Euro steigern. Und so wies Buhrow schon vor 14 Monaten den Weg zurück aus der Währungsunion. In der New York Times formuliert er es so: „Margaret Thatcher hat einst während EU-Etat-Verhandlungen geschrien: ‘Ich will mein Geld zurück!’ Stellen Sie sich vor, Deutschland hätte jemals so etwas gesagt! Thatcher sprach wenigstens von ihrem eigenen Geld — britischen EU-Beiträgen. Jetzt aber hören wir: ‘Ich will Geld!’ Punkt. Na schön, wenn Europa offenbar nur Geld bedeutet, dann könnten die Deutschen bald sagen: ‘Wir wollen unsere Mark zurück.’“

Foto: ARD-Moderator Tom Buhrow: „Wir werden nicht mehr den Pin-Code unserer EC-Karte mit euch teilen“

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