© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

„Ein großer Wurf“
Finanzpolitik: Der deutsche Mittelstand ist mit dem Steuerreformkonzept von Paul Kirchhof hochzufrieden
Klaus Peter Krause

Am Wochenende haben sich die drei Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Philipp Rösler (FDP) und Horst Seehofer (CSU) darauf verständigt, die Steuern ab 2013 „für mittlere und niedrige“ Einkommen zu senken. Dennoch streiten die FDP und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble weiter munter über das mögliche Volumen der Steuererleichterungen und ihre genaue Ausgestaltung.

Vernünftiger wäre, sie befaßten sich ernsthaft mit einer Steuerreform. Aber mit einer wirklichen. Eine solche Reform kann durchaus das sein, was Paul Kirchhof in seinem neuen Buch vorschlägt. Der „Reformentwurf zur Erneuerung des Steuerrechts“ ist nicht sein Werk allein; Juristen, Ökonomen, Germanisten und Beamte aus sechs Bundesländern haben, wie der Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Uni Heidelberg betont, daran mitgearbeitet. Aber mit seinem Namen und als Antreiber steht allein Kirchhof dafür ein. Das Werk vereinfacht das deutsche Steuerrecht radikal. Vorgesehen sind anstelle der 32 Bundessteuern nur noch vier: auf das Einkommen, die Erbschaft/Schenkung, den Umsatz und den Verbrauch. Aus rund 33.000 Paragraphen des gesamten deutschen Steuerrechts sollen nur noch 146 werden, und der Entwurf faßt diese Steuergesetze in einem einzigen „Bundessteuergesetzbuch“ (so auch der Buchtitel) zusammen.

Die Besteuerung der Einkommen ist nunmehr (anders als sein 2005 vom SPD-Wahlkämpfer Gerhard Schröder verunglimpfter früherer Entwurf) eingebettet in eine Gesamtsteuerreform. Ihr Kern: Alle Vergünstigungen, die das tatsächlich zu versteuernde Einkommen derzeit vermindern, werden gestrichen. Sie sind meist eine Folge der bisher hohen Steuersätze, denn der Bürger soll und darf nur nach seiner persönlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden.

Statt dessen wird der Höchststeuersatz für alle und für jede Art von Einkommen auf 25 Prozent festgesetzt. Gelten soll er also einheitlich für Arbeitseinkommen, Unternehmensgewinne und Kapitalerträge. Schon besteuerte Gewinne, die ausgeschüttet werden (wie Dividenden an Aktionäre), werden nicht wie bisher noch einmal belastet, diese Doppelbesteuerung entfällt.

Für Erbschaften und Schenkungen schlägt Kirchhof einen einheitlichen Satz von zehn Prozent vor. Unter Ehegatten sind sie steuerfrei. Für Kinder ist ein Freibetrag von 400.000 Euro vorgesehen, für alle anderen einer von 50.000, für Hausrat zusätzlich von 20.000. Einen einheitlichen Satz von 19 Prozent ohne Ausnahme empfiehlt Kirchhof auch für die Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer).

Von der Steuer frei bleiben sollen wie bisher Mieten und Pachten sowie künftig alle Gesundheitsleistungen. Die speziellen Verbrauchsteuern sollen auf Energie, Tabak und Alkohol beschränkt, alle übrigen Verbrauchsteuern abgeschafft, die bisherigen Verkehrssteuern in die Umsatzsteuer integriert werden. Die Gewerbesteuer entfällt; die Kommunen dürfen als Ersatz für den Einnahmeausfall einen Zuschlag auf die Einkommensteuer erheben.

Nach Kirchhof selbst gibt es Gruppen in allen Parteien, die für seinen Vorschlag offen sind. Doch gibt es auch politisch starke Gruppen, aus denen ihm reflexartige Ablehnung, Verdrießlichkeit und Zweifel entgegenschlagen. Der unternehmerische Mittelstand dagegen kann den Reformvorschlag nur begrüßen – und er tut es auch. Wenn er keine Gewerbesteuer mehr zu zahlen braucht, wenn die Doppelbesteuerung von Gewinnausschüttungen vermieden wird, das Besteuern rechtsformneutral geschieht, wenn man nicht mehr über Steuergestaltungsmanöver grübeln muß, wenn die Kosten für Steuerberatung sinken, wenn Familienunternehmer für Gewinne, die sie an sich ausschütten, nicht mehr ihren individuellen Einkommensteuersatz von bis zu 45 Prozent zahlen müssen, sondern nur noch den Einheitssatz von 25 Prozent, dann schlägt das alles deutlich entlastend zu Buche, dann entfällt viel Bürokratie, dann kann der Unternehmer unbehinderter und mit freierem Kopf seiner eigentlichen unternehmerischen Arbeit nachgehen.

Hinzu kommt, daß bei der Umsatzsteuer der Vorsteuerabzug bei Umsätzen zwischen Unternehmern entfällt und nur noch der Endkunde zahlen muß. Kirchhof hält diesen Abzug auf jeder Handelsstufe für zu kompliziert. Auch soll die Umsatzsteuer nicht schon beim Verschicken der Rechnung fällig werden, sondern erst dann, wenn der Kunde wirklich gezahlt hat – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und bei der Erbschaftssteuer ist eine Steuerstreckung über zehn Jahre vorgesehen, falls der Betrieb durch eine plötzliche Zahlung in die Pleite geraten würde.

Folglich hört man aus dem Mittelstand, das Reformkonzept sei einfach, gerecht, logisch, übersichtlich, genial, steuerzahlerfreundlich, kurzum: ein großer Wurf und für Deutschland „die Riesenchance, das Steuerchaos ein für allemal zu überwinden“. Ohnehin würde für die breite Masse der Einkommensteuerzahler die „kalte Progression“ im Steuertarif fortfallen, der gerade bei den unteren und mittleren Einkommen besonders steil ansteigt und als „Mittelstandsbauch“ berüchtigt ist. Es ist gerade diese fleißige Mittelschicht, die den Staat hauptsächlich finanziert und von ihm geradezu ausgebeutet wird.

 

Kirchhofs Bundessteuergesetzbuch

Seit zwölf Jahren arbeitet Paul Kirchhof an einer Reform des deutschen Steuerrechts – das der frühere Bundesverfassungsrichter im Grundsatz aber für überzeugend hält: „Die Steuer ist der Preis der Freiheit, weil sie die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit grundsätzlich in privater Hand beläßt, den Staat strukturell auf die Teilhabe am Erfolg privaten Wirtschaftens, auf die Steuern verweist“, so Kirchhof im Vorwort zu seinem „Bundessteuergesetzbuch“. Das Steuerrecht sei von Ausnahmen, Privilegien und Lenkungstatbeständen überwuchert, es teile „die Steuerlast nicht für jedermann unausweichlich – gleichheitsgerecht – zu, sondern schafft Regeln, denen der Steuerpflichtige gleichsam in einem Dauerschach mit dem Finanzamt auszuweichen sucht“. Das Gesetz verliere folglich an Autorität, warnt Kirchhof. Der Gesetzgeber versuche daher „durch ein Übermaß von Detailregelungen individualisierend gegenzusteuern und verfehlt dadurch gänzlich die Gleichheit vor dem Steuergesetz“.

Institut für Finanz- und Steuerrecht: www.bundessteuergesetzbuch.de

Paul Kirchhof: Bundessteuergesetzbuch. C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2011, 1.286 Seiten, gebunden, 139,95 Euro

Foto: Komplizierte Steuererklärungen: Kirchhof will die steuerlichen Belastungsgründe in für jedermann verständlicher deutscher Sprache regeln

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