© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

Kein Grund zur Entwarnung
Verfassungsschutzbericht: Nach einem leichten Rückgang im vergangenen Jahr stieg die Zahl linksextremer Straftaten zuletzt wieder an
Felix Krautkrämer

Mit Jahresberichten ist es so eine Sache: Kaum erschienen, sind sie im Grund genommen schon wieder veraltet. Vor diesem Problem stand auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), als er am vergangenen Freitag gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2010 vorstellte. Diesem zufolge gingen die extremistischen Straftaten von links und rechts deutlich zurück. Auch die politisch motivierten Gewalttaten nahmen ab. Trotzdem gibt es laut Friedrich keinen Grund zur Entwarnung. Denn die Zahlen für das laufende Jahr bieten wenig Anlaß zur Beruhigung. Es ist die linksextreme Szene, die dem Innenminister Sorgen bereitet. Die Zahl der von Linksextremisten begangenen Straftaten ist in den vergangenen Monaten rasant angestiegen. Vor allem Berlin leidet unter einer wahren Welle linker Gewalt. In nahezu jeder Nacht brennen Autos, Politiker von Rechtsparteien werden am hellichten Tag auf offener Straße zusammengeschlagen, Polizisten angegriffen, Scheiben von Banken und Immobilienbüros eingeworfen und Fassaden öffentlicher Gebäude beschmiert. Es gebe daher beim Linksextremismus leider keine Wende, betont Friedrich. Vielmehr handle es sich bei den rückläufigen Zahlen im vergangenen Jahr lediglich um eine „Delle“.

Das sieht auch Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) so. Nach einem Bericht der Neuen Osna-brücker Zeitung nahmen die linksextremistischen Straftaten deutschlandweit im ersten Quartal 2011 im Vergleich zum Vorjahr um 39 Prozent zu. Bei den linksextremen Gewalttaten war sogar ein Anstieg von 68 Prozent zu verzeichnen. Schünemann sah sich daher genötigt, eindringlich davor zu warnen, die Zahlen des aktuellen Verfassungsschutzberichts falsch zu interpretieren. Seiner Einschätzung nach stünde Deutschland „an der Schwelle zu einem neuen Links-terrorismus“.

Unterstützung erhielt er vom Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, der ein härteres Vorgehen gegen die linksextreme Szene forderte. „Der Staat muß mehr über die Strukturen und Vorgehensweisen extremistischer Kreise Bescheid wissen, um dann im richtigen Moment Straftaten zu verhindern“, sagte Wendt der Bild-Zeitung und sprach sich für einen verstärkten Einsatz von verdeckten Ermittlern aus. Linksextremisten und Autonome seien „ein Haufen von Lebensversagern, die ihre Unfähigkeit, eine bürgerliche Existenz zu gründen, zum revolutionären Kampf erheben“, kritisierte der Gewerkschaftschef.

Das bekommt nicht zuletzt die Polizei zu spüren: Laut dem Verfassungsschutzbericht nehmen Angriffe von Linksextremisten auf Polizisten zu. Vor allem bei Protesten gegen Demonstrationen von Rechtsextremisten käme es häufig zu „massiven Gewaltausschreitungen durch gewaltbereite Linksextremisten“, bei denen die eingesetzten Beamten angegriffen würden. Überhaupt sei festzustellen, daß bei Linksextremisten nicht nur die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt sinke, so die Verfassungsschützer, sondern auch die Qualität eine neue sei. Auch sei die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten mit etwa 6.800 Personen leicht gestiegen (2009: 6.600). Das linksextremistische Spektrum insgesamt umfaßt rund 32.200 Personen.

Linksextremisten begingen im vergangenen Jahr 3.747 Straftaten (2009: 4.734), davon 944 Gewalttaten (2009: 1.115), darunter vier versuchte Tötungsdelikte, 541 Körperverletzungen und 81 Brandstiftungen. Die meisten Gewalttaten wurden in Bayern registriert (172), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (152) und Sachsen (128). Im Verhältnis zur Einwohnerzahl führt dagegen Bremen mit 3,6 linksextremen Gewalttaten je 100.000 Einwohner vor Sachsen (3,0) und Berlin (2,3).

Die rechtsextreme Szene zählte im vergangenen Jahr rund 25.000 Personen, von denen 9.500 als gewaltbereit gelten. Auf das Konto von Rechtsextremisten gingen 15.905 Straftaten (2009: 18.750), darunter 762 Gewalttaten (2009: 891), unter die auch sechs Tötungsversuche, 638 Körperverletzungen und 29 Brandstiftungen fallen.

In über 80 Prozent aller Fälle handelte es sich bei den Straftaten um Propagandadelikte (11.384) oder um Volksverhetzung (1.433). Die meisten Gewalttaten wurden in NRW (149), Sachsen (98) und Niedersachsen (80) gezählt. Bezogen auf die Einwohnerzahl lag jedoch Sachsen-Anhalt mit 2,8 Taten je 100.000 Einwohner an der Spitze, gefolgt von Brandenburg (2,6) und Sachsen (2,3).

Laut Friedrich zeigten die Zahlen, daß es „zwar mehr gewaltbereite Personen in der rechten Szene“ gebe, die Straftaten, bei denen jedoch tatsächlich Gewalt angewandt wird, würden „mehrheitlich von Linksextremisten verübt“.

Foto: 1. Mai in Berlin: Angriffe von Linksextremisten auf Polizisten häufen sich

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