© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/11 08. Juli 2011

„D-Mark oder Nord-Euro“
Er forderte als einer der ersten die Rückkehr zur Mark und galt dafür als Spinner. Nun gibt die Krise Dirk Meyer recht, doch die Politik blockt. Die Lösung soll „Nordo“ heißen.
Moritz Schwarz

Herr Professor Meyer, Sie sind einer der wenigen Experten, der öffentlich die Wiedereinführung der D-Mark vorgeschlagen hat. Wie soll das gehen?

Meyer: Die Bundesbank könnte die Initiative ergreifen und sich die Autonomie über die Währung nach Artikel 88 Grundgesetz von der EZB zurückholen. Der Austritt aus dem Euro würde dabei am besten „über Nacht“ verkündet werden, vielleicht könnte man dafür auch einen griechischen Streikfeiertag nutzen.

Warum?

Meyer:  Um die Kapitalflucht möglichst einzudämmen, denn die Griechen, die noch Geld haben, würden natürlich versuchen, ihre Euros bei deutschen Banken zu deponieren, um sie dann in die neue stabile deutsche Währung umzutauschen.

Und schon hätten wir wieder D-Mark in der Hand, so einfach?

Meyer: Die Bankkonten könnten natürlich gleich umgestellt werden, aber realiter würde das neue Geld wohl etwa ein Jahr nur virtuell existieren, denn entsprechende Scheine und Münzen gibt es ja noch nicht. Das heißt, das alte Geld müßte gestempelt werden. So gäbe es dann vorläufig zwei Sorten von Euro-Scheinen, die – bis auf den Stempel – gleich aussehen, aber sehr unterschiedlich im Wert wären.

Klingt chaotisch.

Meyer: Die Verbraucher haben das damals ja nicht so mitbekommen, aber tatsächlich war die Einführung des Euro 2001 eine enorme logistische Leistung. Das müßte man jetzt sozusagen aus der hohlen Hand stemmen.

Schließlich hätten wir die Mark wieder – und alles wäre wie früher?

Meyer: Nein, eine Rückkehr zu den alten Preisen, zu den „goldenen Zeiten“, sollte es sie überhaupt je gegeben haben, würde es auch mit einer neuen Mark nicht geben.

Das heißt, der Teuro-Effekt von 2001 würde nicht aufgehoben werden?  

Meyer: Ob es diesen wirklich gab oder nicht, will ich jetzt nicht diskutieren, aber die Preise würden sich natürlich vom bestehenden Niveau aus weiterentwickeln. Allerdings, da die neue Währung eine erhebliche Aufwertung erführe, würden immerhin Importe wie Energie, Öl, Rohstoffe wohl um dreißig Prozent billiger werden. Deshalb senkt die Aufwertung die Inflationsrate. 

Wäre eine Aufwertung nicht Gift für die Exportnation Deutschland, wie die Gegner eines Euro-Ausstiegs warnen?

Meyer: Nein, denn den großen Effekt bringt der Binnenmarkt, nicht der Euro. Außerdem: Wenn man aufwertet, sind die Exportgüter andererseits auch mehr wert. Übrigens werden in deutsche Exportprodukte, wie etwa Autos, immer mehr im Ausland gefertigte Teile eingebaut. Inzwischen haben unsere Exportgüter dadurch einen Import-Anteil von vierzig bis achtzig Prozent! Die Aufwertung belastet damit nicht einmal mehr unsere gesamten Exporte, sondern nur deren deutschen Wertschöpfungsanteil, der mitunter sehr gering ist.    

Aber auszusteigen und Griechenland nicht zu retten, würde durch Rückkopplungseffekte schließlich auch uns treffen, warnt die Bundesregierung.

Meyer: Dieses Argument muß man ernst nehmen. Dennoch gibt es einiges dagegen zu sagen: Etwa, daß Griechenland ein sehr kleines Land ist, nur 2,1 Prozent des europäischen BIP werden dort erwirtschaftet. Und: Je länger wir mit dem Schuldenschnitt für die Griechen warten, desto größer wird die „Ansteckungsgefahr“, die von dort ausgeht. Und das muß grundsätzlich einmal gesagt werden: Das Griechenland-Problem ist ein Problem, das sich überhaupt erst aus der Währungsunion ergeben hat. Wenn es die Euro-Union nicht gegeben hätte, dann hätten wir heute das Problem der überbordenden Staatsverschuldung in Griechenland, Portugal oder Spanien so gar nicht.

Also ist die Wiedereinführung der D-Mark eine gute Idee.

Meyer: Im Grunde ja.

Aber ist sie auch realistisch?

Meyer: Ehrlich gesagt, wohl eher nicht.

Warum haben Sie sie dann vorgeschlagen?

Meyer: Weil ein Plan B für den Euro nicht existiert und das deutsche Verfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil 1993 diese Möglichkeit bereits benannt hat. Den Vorschlag habe ich ja bereits 1999 bei der Einführung des Euro als Buchungsgeld gemacht, denn schon damals war absehbar, daß das Experiment Euro wohl kaum gelingen würde. Aber die Zahl derer in der Fachwelt, die für einen Austritt aus dem Euro waren und sind, ist eben sehr gering. Lange Zeit galten wir Kritiker als Spinner.

Langsam wandelt sich das.

Meyer: Das stimmt, ich habe 1999 zum Beispiel meine Szenarien eines Austritts Deutschlands aufgrund ansteigender Inflation sowie alternativ den Austritt Italiens wegen Überschuldung als Beitrag an eine namhafte deutsche Fachzeitschrift geschickt, die ihn aber abgelehnt hat. 2009 habe ich den aktualisierten Artikel erneut dort eingereicht – diesmal wurde er akzeptiert und gedruckt.

Warum ist die Wiedereinführung der D-Mark dennoch weiter unwahrscheinlich?

Meyer: Vor allem aus politischen Gründen, denn die Wiedereinführung einer nationalen Währung würde gegen die europäische Idee verstoßen.

Wäre das so schlimm?

Meyer: Aus ökonomischer Sicht nicht, aber durchaus aus Sicht der europäischen Einigung.

Inzwischen favorisieren Sie gegenüber Ihrer eigenen Idee den von Hans-Olaf Henkel ins Spiel gebrachten Vorschlag eines Nord-Euro. Warum?

Meyer: Eben weil Henkels Nord-Euro besser als meine neue D-Mark den politischen Aspekt berücksichtigt.

Auf die Frage, warum er denn nicht eine neue D-Mark fordere, antwortete Hans-Olaf Henkel: Weil er dann nur wieder des „Nationalismus“ geziehen werden würde.

Meyer: Eben, tritt Deutschland aus dem Euro aus und kehrt zur Mark zurück, ist die Gefahr groß, daß es als Buhmann in Europa dasteht. Wenn wir aber im Zusammenspiel mit anderen Ländern – selbst wenn von uns die Initiative ausgeht – in einen Nord-Euro übertreten, sähe es anders aus.

Henkel meinte wohl eher, daß ihm dann in der innenpolitischen Diskussion Nationalismus vorgeworfen werden würde. Wenn sich Experten wie Sie oder Henkel aus Angst vor politischen Implikationen gar nicht mehr trauen, gewisse Lösungen vorzuschlagen, wie tolerant, rational und vertrauenswürdig ist die Debatte dann noch?

Meyer: Es ist sicher ein großer Fehler einer Gesellschaft, wenn sie gewisse Debatten nicht zuläßt. Allerdings: Politisch stehe ich selbst durchaus für das Ziel ein, ein gemeinsames Haus Europa schaffen zu wollen.

Warum haben Sie dann überhaupt eine neue D-Mark vorgeschlagen und nicht gleich den Nord-Euro?

Meyer: Ganz ehrlich? Weil mir diese Lösung weder 1999 noch 2009 eingefallen ist. Erst mit der Griechenlandhilfe im Mai 2010 nahm ich die Idee eines „Nordo“ und eines „Südo“ auf, die der britische Bankier Martin Taylor im März in einem Beitrag der Financial Times im Ansatz benannt hat. Herr Henkel, der zuvor ein Befürworter des Euro war, hat die Idee ja auch erst 2010 ins Spiel gebracht. Aber mit einem haben Sie recht: Die Debatte ist tatsächlich durch die Medien und die Politik eingeengt. Das verhindert, daß gewisse Alternativen denkbar sind. Aber, wer sein Projekt durchsetzen möchte, der muß nun mal die gesellschaftliche Lage berücksichtigen.

Wie unterscheiden sich D-Mark-Lösung und „Nordo/Südo“-Konzept?

Meyer: Deutschland verläßt den Euro nicht nur, sondern lädt gleichzeitig Länder, die gewisse Kriterien erfüllen, ein, an einer neuen Gemeinschaftswährung teilzunehmen, die dann Nordo, Nordische Mark oder eben Nord-Euro heißen könnte.

Politisch mag das so einfacher durchzusetzen sein, aber wäre es aus ökonomischer Sicht die richtige Entscheidung?

Meyer: Ob nationale Währung oder nordischer Währungsverbund, ökonomisch würde es wohl kaum einen Unterschied machen. Der deutsche Anteil an der Währung der im Euro versammelten Länder beträgt etwa dreißig Prozent, damit wäre Eigenständigkeit der neuen Währung, egal nach welchem Modell, sichergestellt. Unterm Strich sind also beide Lösungen etwa gleich gut. Das D-Mark-Modell hätte allerdings den Vorteil, daß wir dann die Unabhängigkeit der Zentralbank und die Geldpolitik alleine bestimmen könnten. Außerdem würden die Gewinne der Zentralbank, die durch das Herausgeben eigenen Geldes entstehen, und das sind ja durchaus erhebliche Beträge, vollständig dem Bundeshaushalt zufließen. Heute werden diese mit den anderen Euro-Ländern geteilt.

Also doch ein Plus für die D-Mark?

Meyer: Aus nationaler Sicht ja, aber letztlich nur ein kleines Plus.

Würden andere Staaten denn einem solchen Währungsverbund überhaupt beitreten wollen?

Meyer: Ich vermute die Niederlande wären sofort dabei, sicher auch Österreich, Finnland und vielleicht würden sogar die Dänen ihre Krone aufgeben, weil es hier für die Bedenken, die sie bezüglich des Euro hatten, keine Grundlage mehr gäbe.

Deutschland wäre der einzige Riese unter lauter Zwergen, wir würden den Ton angeben. Würden die anderen das akzeptieren?

Meyer: Da sehe ich kaum Probleme, weil genannte Staaten kaum von einander abweichende Interessen haben.

Wie stabil wäre ein solches Nordbündnis?

Meyer: Natürlich, auch hier gäbe es Konflikte. Je größer ein Währungsverbund ist, desto mehr verschiedene Interessen sind unter einen Hut zu bringen. Aber es kämen ja nur solche Länder rein, deren ökonomische Vitalität, Interessen und Mentalität sich entsprechen. Daher habe ich auch hier keine Bedenken.

Wer garantiert aber, daß das immer so bleibt? Irland galt in den neunziger Jahren als Tiger, heute ist es ein Krisenland.

Meyer: Im Moment kann ich bei den genannten Ländern eine solche Gefahr nicht sehen. Allerdings haben Sie recht, man muß grundsätzlich überlegen: Was passiert, wenn? Dafür müßte es Austrittsregularien geben, nach denen ein Land im Fall des Falles freiwillig oder gezwungenermaßen austritt.

Bei der D-Mark-Lösung könnte so ein Fall gar nicht erst eintreten.

Meyer: Ja.

Dennoch halten Sie am Nord-Euro fest?

Meyer: Sie werden mich nicht dazu bekommen, der D-Mark-Lösung zu attestieren, sie habe wirklich relevante Vorteile. Und ob das Geld nun D-Mark oder Nordo, für Nord-Euro, heißt – entscheidend ist, daß es auf einem stabilen Fundament steht, und das ist in beiden Fällen gegeben.

Euro-Kritiker Wilhelm Hankel sagt, auch ein Nordo habe keine Chance, da er eine Dominanz Deutschlands bedeute, die vor allem Frankreich nicht akzeptieren wird, da Paris das EU-Projekt nach 1945 ja gestartet habe, um eben diese zu verhindern.

Meyer: Da hat Hankel grundsätzlich recht. Deshalb müßte Deutschland auch sehr sensibel vorgehen und auf die Bedenken der Franzosen eingehen, um diese nicht vor den Kopf zu stoßen.

Ein Nordo bedeutet also einen deutsch dominierten Machtblock, während die Mark eine unter fünfzehn neuen alten nationalen Währungen wäre. Also ist die D-Mark doch die weniger „aggressive“ Lösung!

Meyer: Ich glaube, auch eine Nord-Währungsunion würde Deutschland durch respektable Partner einbinden und damit auf allgemeine Akzeptanz stoßen. Schließlich hat der französische Präsident selbst Frau Merkel mit dem Euro-Austritt Frankreichs gedroht. Leider ist sie hierauf nicht eingegangen.

Wann wird es zum Tag X, zum Ende des Euro, aus Ihrer Sicht kommen?

Meyer: Persönlich tippe ich: Innerhalb der nächsten drei Jahre. Aber das ist ein Tip, keine seriöse Prognose. Denn das hängt von so vielen Faktoren ab, daß es nicht kalkulierbar ist. Hätten etwa die Griechen letzte Woche dem Sparprogramm nicht zugestimmt, hätten wir heute vielleicht eine ganz andere Situation. Die große Frage ist auch, ob der deutsche Steuerzahler wirklich zum Einstieg in die Transferunion bereit ist? Falls ja, wird sich alles noch sehr viel länger, vielleicht zehn oder fünfzehn Jahre hinziehen, bevor wir dann allerdings einen Zusammenbruch erleben wie 1989 die Zentralverwaltungswirtschaften in Osteuropa – das ZK der EU, entschuldigen Sie – die zentrale Kommission der EU läßt grüßen. Aber gerade weil das Ende niemand genau voraussagen kann, müßte eine verantwortungsbewußte Politik jetzt geordnet aussteigen, statt später dann im Chaos.

 

Prof. Dr. Dirk Meyer forderte in Gastbeiträgen in der FAZ eine „Beendigung der (Währungs-)Union“, im Focus „besser aus dem Euro auszutreten“ und in der Neuen Zürcher Zeitung „Hilfeleistungen zwingend mit einem Ausscheiden aus der Euro-Zone zu verbinden“. Meyer lehrt Volkswirtschaft am Institut für Wirtschaftspolitik der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. In weiteren Beiträgen, etwa für die Welt kritisierte er: „Die Gefahr eines Staatsbankrotts wurde von einigen Ökonomen seit Jahren bereits gesehen. Diese Sichtweise war jedoch weder populär noch politisch opportun und blieb deshalb ohne Resonanz.“ Nun bedürfe es mindestens eines „Ausschlusses Griechenlands aus der Euro-Zone“. Im Berliner Tagesspiegel regte er gar die Gründung eines Süd-Euro an, eines „Austritts der Mittelmeeranrainer und die Bildung einer gemeinsamen mediterranen Währungsunion“. Denn „der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) institutionalisiert den Griff in die Taschen der nordischen Onkel und Tanten dauerhaft“, so Meyer in einem weiteren Beitrag für die NZZ. Geboren wurde er 1957 in Kiel.

Foto: Einziges D-Mark-Denkmal (in Borken/Hessen, eingeweiht 2008 zum sechzigsten Geburtstag der Mark): „Unsere Geldpolitik und die Unabhängigkeit der Zentralbank könnten wir wieder alleine bestimmen“

 

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