© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Sommer, Sonne, Strand und mehr
Prora auf Rügen: Auf Deutschlands größter Insel öffnet am 1. Juli die längste Jugendherberge der Welt ihre Türen
Christian Schwiesselmann

Die längste Jugendherberge der Welt steht auf Rügen. Dort, wo sich weißer Ostseestrand über mehrere Kilometer entlang der Prorer Wiek erstreckt, soll sie am 1. Juli ihre Türen öffnen. „Die Jugendherberge ist sicher nicht die größte Deutschlands, wohl aber die längste“, meint Kathrin Röder, Pressesprecherin des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern des Deutschen Jugendherbergswerkes. Auf 150 Metern Länge bietet sie Schlafplätze für 400 Jugendliche und junge Erwachsene. Die räumliche Ausdehnung der Herberge hängt vor allem mit dem gigantischen Baukörper zusammen, den die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ ab 1935 als „Bad der Zwanzigtausend“ in Prora aus dem Boden stampfen ließ.

Die Jugendherberge ist in Block 5 des 4,5 Kilometer langen Komplexes ungebracht. Der gehört dem Landkreis Rügen und wurde in Erbbaupacht an den Betreiber übertragen. Bei der Neugestaltung der Zwei-, Vier- und Sechsbettzimmer orientierte man sich am historischen Raumzuschnitt. Auf knappen zehn Quadratmetern in einem schlauchförmigen Zimmer sollte sich der „Volksgenosse“ damals von der Mühsal an der Deutschen Arbeitsfront erholen. Viel zu wenig – für heutige Ansprüche. Deshalb mußten einige Wände entfernt werden. „Damals wie heute haben aber alle Zimmer einen Blick zum Meer, während der Flur zur Landseite liegt“, erklärt Röder.

Dahinter stecken nicht zuletzt Vorgaben des Denkmalschutzes. Der Koloß von Rügen, der kriegsbedingt nie fertiggestellt wurde und mehrere Sprengversuche der Roten Armee überstand, gilt bis heute als erhaltenswertes Denkmal. Bei Gesamtkosten von 16,3 Millionen Euro hatten die Denkmalschützer ein gewichtiges Wort mitzureden, zumal Gelder vom Bund, der EU und vom Land flossen. Vom Resultat zeigte sich die SPD-Bundestagsabgeordnete Sonja Steffen nach einer Baustellenbegehung im April angetan: „Ein wahrer Lichtblick und ein Beweis dafür, daß in diesen grauen Betonblöcken durchaus Potential steckt.“

Bereits in den neunziger Jahren hatte hier Europas größte Jugendherberge eröffnet. Sie griff dabei auf die Übernachtungskapazitäten zurück, die von der Nationalen Volksarmee zurückgelassen wurden. Die DDR-Armee und ihr Vorläufer – die Kasernierte Volkspolizei – hatten den Gebäudekomplex in den 1950er Jahren in Beschlag genommen und als Kasernengelände weiträumig abgesperrt.

Zeitweilig waren bis zu 10.000 Soldaten auf dem dicht bewaldeten Militärobjekt stationiert. Heute zeugt davon ein NVA-Museum. Wie die verschiedenen Bildungs- und Dokumentationszentren, die sich nach der Wiedervereinigung in den Blöcken ansiedelten, profitiert es vom genius loci. Doch die NS-Monumentalarchitektur ist nicht nur eine lukrative Geschäftsgrundlage, sondern auch eine gewaltige Baulast.

Bund und Landkreis haben lange nach einer Lösung gesucht und mittlerweile alle Blöcke veräußert. Die meisten jugendlichen Gäste dürften sich darüber nicht den Kopf zerbrechen. Für 23,50 Euro pro Nacht können sie laut Inter­netseite der Herberge „zum Schwimmen, Bräunen, Surfen, Kicken, Kiten“ an den nahen Ostseestrand gehen. Nur ein paar Wanderstunden nördlich befindet sich der Nationalpark Jasmund mit seiner atemberaubenden Kulisse aus Kreidefelsen; im Süden warten das Jagdschloß Granitz und das noble Ostseebad Binz auf eine Besichtigung.

 www.prora.jugendherbergen-mv.de

Foto: Koloß von Rügen: Die Jugendherberge nimmt mit 150 Metern Länge nur einen kleinen Teil des gigantischen Gebäudekomplexes ein

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