© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Flucht aus dem Gulag
Von Sibirien nach Indien: „The Way Back – Der lange Weg“ von Peter Weir
Claus-M. Wolfschlag

The Way Back – Der lange Weg“ ist ein Film zum cineastisch selten beachteten Gulag-System. Das ist insofern bemerkenswert, als es sich um großes Hollywood-Kino handelt, also keine Arbeit aus einem kleinen Filmland mit äußerst begrenzter Wirkung.

Der Film des Australiers Peter Weir basiert auf dem 1956 autobiographisch angelegten Roman „Der lange Weg“ des Polen Slavomir Rawicz. Der 2004 verstorbene Autor schildert darin seine Flucht mit einer Gruppe von Sträflingen aus einem sowjetischen Gulag nach Indien. Es handelt sich um eine internationale Variante des Bauer-Klassikers „So weit die Füße tragen“, der 1959 fürs deutsche Fernsehen und 2001 als Kinostoff verfilmt worden war. Bei Weir ist es eine Gruppe von sechs Osteuropäern und einem US-Amerikaner, die 1940 aus einem sibirischen Arbeitslager ausbricht, sich durch schneebedeckte Wälder und über Berge, die mongolische Steppe, die Wüste Gobi, bis nach Tibet und Indien durchschlägt.

„The Way Back“ ist kein Sozialpsychogramm, wie etwa Costa-Gavras’ bewegendes Werk „Das Geständnis“ (1969) über die Schauprozesse oder Florian Henckel von Donnersmarcks „Das Leben der anderen“ (2005) über die DDR-Stasi. Peter Weir hat vor allem eine Abenteuergeschichte verfilmt. Politik spielt spätestens nach dem Verlassen des Gulags eine stark untergeordnete Rolle. Gezeigt wird vornehmlich der Überlebenskampf in unwirtlicher Landschaft, der Kampf der Flüchtenden mit Erschöpfung, Hunger und Angst vor Entdeckung.

Läßt sich Weir mit einzelnen Etappen dieser Flucht vielleicht etwas zu lange Zeit, so gerät das Ende zu schnell. Der zur Gruppe gehörende US-Amerikaner  (Ed Harris), dessen filmische Funktion vor allem praktische Gründe für den Hauptkinomarkt haben dürfte, verschwindet einfach in eine andere Richtung. Hauptfigur Janusz (Jim Sturgess) will nicht in Tibet überwintern und beschließt gegen den Rat von Einheimischen, furchtlos einfach den Himalaya zu überqueren, um nach Indien zu gelangen. Dann folgen im Eiltempo noch einige Geschichtsdaten zum Sowjetkommunismus. Und ein als alter Mann nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zurückkehrender Janusz, dessen Frau immer noch auf ihn zu warten scheint.

Dieses seltsam geraffte Ende dürfte geschichtspädagogisch motiviert sein aus der Annahme heraus, daß das gängige Kinopublikum nicht mit Grundkenntnissen über den Kommunismus gesegnet ist. Immerhin ist Weir aber insofern ehrlicher als Roman Polanski, der am Ende von „Der Pianist“ 2002 suggerierte, der polnische Held hätte nach dem Krieg sofort und ohne Probleme in einen fröhlichen Status quo ante zurückkehren können.

Liegen Weirs Stärken in den monumentalen Landschaftsaufnahmen, die die Geworfenheit der Helden verdeutlichen, so zeigt der Film Schwächen in der dünnen Charakterzeichnung seiner Helden: ein wortkarger Amerikaner, ein in teils peinliches Pathos abgleitendes Polenmädchen, ein blasser Held Janusz, von dem man wenig erfährt. Dann noch ein lettischer Mitflüchtling, der mehrmals betont, daß er wieder in seine Heimat zurückwolle, um erst gegen die Deutschen, dann gegen die Sowjets zu kämpfen. Indes ist das Baltikum 1940 sowjetisch besetzt, der Wille, zuerst gegen die Deutschen zu kämpfen, zumindest aus Sicht der Figur entweder unlogisch oder rein geschichtsphilosophisch gemeint. Diese eher blassen Figuren werden von Colin Farrell in der Rolle des russischen Schwerkriminellen Valka, der sich der Gruppe angeschlossen hat, blendend an die Wand gespielt. Warum allerdings dieser unberechenbare tätowierte Mann, der Brutalität mit Naivität und Hilfsbereitschaft paart, nach vielen Strapazen einfach an der sowjetischen Staatsgrenze wieder umkehrt, wird sein Geheimnis bleiben.

Bemerkenswert bei allen filmischen Schwächen bleibt, daß das bislang auffällig unterrepräsentierte Thema des Sowjetkommunismus nun vom großen internationalen Kino entdeckt wird. Außer einigen Kalter-Krieg-Thrillern gab es dort kaum Auseinandersetzungen mit der totalitären Struktur des Kommunismus. Weir geht schonungslos an die Thematik heran und macht im Vorspann eindeutig die Sowjetunion für den Ausbruch des Weltkrieges mitverantwortlich.

Tatsächlich ist die Zeit des Zweiten Weltkriegs nur sehr einseitig aufgearbeitet worden, viele Aspekte blieben unterrepräsentiert oder ganz unberücksichtigt: Kulakenvernichtung, Stalinsche Säuberungen, Schauprozesse, Gulag, Geheimpolizei, Vergewaltigungen durch Rotarmisten, Vertreibung, um nur einige Themen zu nennen. In „The Way Back“ geschieht das noch mit einem Protagonisten aus der ewigen „Opfernation“ Polen, also geschichtspolitisch korrekt. Und eine langsame Annäherung etwa an deutsche Opfererzählungen wird auch noch eine Weile politisch korrektes Beiwerk tragen müssen: abstruse Liebesgeschichten zu Sowjetoffizieren, „menschlich“ agierende alliierte Helden, strenge Hinweise auf deutsche Verbrechen und die üblichen abschreckenden NS-Stereotypen. Trotzdem: Peter Weir hat mit „The Way Back“ die Tür zu neuen Themengebieten weit aufgestoßen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen