© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Erkenne die Lage
Der letzte große Klassiker: Die „Sezession“ ist mit einem Themenheft zu Carl Schmitt erschienen
Eberhard Maier

Die Publikationsliste von Professor Klaus Ries weist Titel zur saarländischen Landes- und zur Jenaer Universitätsgeschichte um 1800 aus. Das muß Kompetenz genug sein, um sich auch in Sachen Carl Schmitt äußern zu dürfen. So enthüllte Ries per FAZ-Leserbrief (Ausgabe vom 10. Juni), was der CS-Forschung seit Jahrzehnten glatt entgangen ist: der Staatsrechtler sei „eigentlich“ nur „ein Antisemit schlimmster Sorte“, dem „viel zuviel Ehre“ angetan werde. Aber da jene „schrecklichen Dinge“, die dank der „Klarstellung“ Patrick Bahners’, der Schmitt in einer Besprechung von dessen „Tagebüchern“ als „Ehebrecher, Säufer, Antisemit“ einkastelte (FAZ vom 23. Mai), jetzt vor aller Augen stünden, würde der skandalös überbordenden Befassung mit diesem Unhold „ein Ende“ bereitet.

Zusammen mit Bahners’ gouvernantenhafter Rezension, die überdies den armen Wolfgang Schuller, den Editor der „Tagebücher“, als „Apologeten“ eines „Antisemiten“ rasiert, wandert Ries’ Gewimmere zwecks späterer Verwendung unverzüglich in die pralle Dokumentenmappe „Intellektuellendämmerung“. Man kann das spießige Zeug aber auch sofort und spezieller verwerten. Als symptomatische Belege für einen Wandel des Anti-Schmittismus. Der verhakte sich bis zum Erscheinen von Raphael Gross’ Dissertation „Carl Schmitt und die Juden“ (dazu Günter Maschke in: JF vom 20. Oktober 2000) in den „Dezisionisten“, „Zerstörer“ der Weimarer Republik, „NS-Kronjuristen“ oder Legitimationsbeschaffer hegemonialer „Großraum“-Pläne. Seit Gross’ Suada, die „die Judenfrage als Lebensthema“, als archimedischen Punkt des Schmitt-Kosmos entdeckte, rückte „Schmitt der Antisemit“ ins Rampenlicht jenes moralisierenden Wettstrickens, an dem teilzunehmen selbst Tröpfe wie Klaus Ries nicht überfordert.

Angesichts solcher Restrukturierungen der „Anti-Schmitt-Industrie“ (Maschke) verwundert, wie unbeachtet diese Dämonisierungen in dem Carl Schmitt gewidmeten aktuellen Themenheft der Sezession (42/2011) bleiben. Denn mit der Antisemitismus-Keule kommt doch offenkundig die Wunderwaffe zum Einsatz, die am ehesten verspricht, mit der Person auch ihre „Gegen-Lehre“ zu erledigen, über die Karlheinz Weißmann einleitend zutreffend urteilt, sie stelle alle zentralen Annahmen in Frage, „die bis heute den Lehrplan von Politologie und Volkspädagogik bestimmen“. Gerade deshalb wäre der offensive Umgang zu erwarten gewesen mit dem Wust jenes dumpf-ahistorischen „Antisemitismus“-Gefasels, das den Weltbürgerkrieg des 20. Jahrhunderts wahlweise psychiatrisch („Wahn“) oder strafrechtlich („Verbrechen“) minimalisiert und somit passend zur eigenen selbstverzwergenden Entpolitisierung nach 1945 auch das Judentum kurzerhand als historisches Subjekt eliminiert – auch eine Art Endlösung.

Die verpaßte Auseinandersetzung mit diesem gegen Schmitt sich austobenden, authentisch-subtilen Antisemitismus der Philosemiten ist zwar das schmerzlichste, zugleich jedoch das einzige Desiderat des Sezession-Heftes, in dessen Zentrum ein ausführliches Gespräch mit dem Schmitt-Exegeten Günter Maschke steht („Erkenne die Lage“).

Es gibt den Ton vor, der die übrigen Beiträge grundiert: Schmitts Fragen sind fruchtbarer als manche seiner Antworten. Erich Schwinges Bonmot über Carl Schmitt als der „Sphinx unter den modernen Staatsrechtlern“ lebt darin wieder auf. Obwohl Schmitt, wie Alain de Benoist unter Berufung auf den Staatsphilosophen Bernard Willms beharrt, selbstredend den Rang eines „letzten großen Klassikers“, Machiavelli oder Hobbes nicht nachstehend, beanspruchen darf, will Maschke ihn nicht auf den Sockel heben. Einen „scheinklaren Autor“ hat er ihn früher schon öfter genannt. Er habe die Lage „keineswegs“ immer erkannt, wisse auf vieles keine Antwort, heißt es jetzt. Seine Kritik des modernen, „gerechten“, totalisierenden Kreuzzug-Krieges etwa, der vergessen lasse, daß das Ziel des Krieges der Frieden ist, arbeite den restriktiven Sinn des gerechten Krieges im christlichen Mittelalter nicht scharf genug heraus.

Trotzdem empfiehlt Maschke vor allem den Völkerrechtler zur Lektüre. Der Literaturbericht „Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff“ (1937/38) sei sein bester, der Essay „Land und Meer“ (1942) sein schönster, das chef d’œuvre „Der Nomos der Erde“ (1944/50) sein bedeutendster Text. Eine Auswahl, die Alain de Benoist bestätigt, wenn er gerade dem Analytiker der internationalen Politik „höchste Aktualität“ attestiert, dessen globalisiertes Werk in Peking oder Los Angeles eine permanente Renaissance erlebe. Nicht also der von seinem Hausorgan Die Zeit zum Achtzigsten so titulierte Jürgen Habermas, sondern Carl Schmitt ist die wahre „Weltmacht“ aus deutschen Landen.

Ein Denker, den man freilich in Berlin nicht begreife, wie Maschke frozzelt, wo man der vertrauten geopolitischen Devise deutscher Staatskunst huldige, jene zu verprellen, mit denen „wir könnten“, wie die Russen, und dafür denen bis in den Dickdarm nachzurennen, deren Liebe wir niemals erringen, unseren „westlichen Freunden“.

Als unentbehrliche Einführung in Carl Schmitt wäre das Heft freilich unzureichend gewürdigt ohne ein Lob der bravourösen Handreichung des Juristen Thor von Waldstein, des großen Schweigers unter den Interpreten, der gleichwohl eines der besten Bücher über den Meister geschrieben hat („Der Beutewert des Staates“, 2008). Sein Kanon der von Schmitt zu beziehenden „intellektuellen Abwehrstoffe“ gegen die grassierende „geistig-politische Desinformation“ akzentuiert die die „metajuristische Grundmelodie“ anstimmenden Texte des jungen Bohemien und Rechtsgelehrten.

Ohne die frühen, „urmonistischen Träumen“ nachhängenden Studien zum sprachgewaltigen „Nordlicht“-Epos Theodor Däublers (1916), ohne die vom anti-kapitalistischen Romantizismus durchtränkte Broschüre „Römischer Katholizismus und politische Form“ (1923), ohne die die „Ersatzmythen des homo oeconomicus“ attackierende „Politische Romantik“ (1919) sei der Zugang zu Carl Schmitt kaum zu finden. Für seine „erstaunliche geistige Wirkungsmacht“ rekurriert aber auch von Waldstein auf das analytische Potential seiner völkerrechtlichen Schriften, das sich unter den Augen der US-Amerikaner und ihres „ ‘hang him high’-Straf- und Völkerrechtsverständnisses“ stündlich neu bewähre.

 

Carl Schmitt

Als Einführung in Carl Schmitts Werk, sein Leben, seine Wirkung, seine Schüler, dargeboten auf dem gehobenen Niveau eines studium generale, versteht Götz Kubitschek das Themenheft der Sezession zu dem bedeutenden Staatsrechtler. Zu den Autoren neben ihm selbst gehören Thor von Waldstein („Schmitt lesen“), Alain de Benoist („Die Aktualität Carl Schmitts“), Frank Lisson („Politische Romantik oder Vom Widerspruch des Tuns“), Siegfried Gerlich („Politische Theologie Carl Schmitts“), Karlheinz Weißmann mit einem Autorenporträt von Hanno Kesting und zusammen mit Erik Lehnert über Schmitts Schüler sowie Johannes Ludwig („Politische Theologie von links“).

Kontakt: Sezession, Rittergut Schnellroda, 06268 Steigra, Telefon/Fax: 03 46 32 / 9 09 42  www.sezession.de

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