© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Kampf um das ostdeutsche Erbe
Vertriebene: Das Deutschlandtreffen der Schlesier in Hannover endet mit einer Verstimmung
Lion Edler

Der Auftritte hochrangiger Politiker, seien es Minister oder gar Ministerpräsidenten, auf den traditionellen Vertriebenentreffen sorgen regelmäßig für Schlagzeilen. Auf dem diesjährigen Deutschlandtreffen der Landsmannschaft Schlesien in Hannover fiel diese Rolle Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) zu.

Er sprach am Sonntag zum Abschluß des traditionellen Schlesiertreffens auf dem Messegelände der Landeshauptstadt. McAllister kommt mit seinem Bekenntnis zu den Interessen der Vertriebenen bei den mehreren tausend Schlesiern gut an. Vor allem als er sich dafür ausspricht, zu überprüfen, ob der 5. August dauerhaft als deutschlandweiter Gedenktag für die Opfer der Vertreibung eingerichtet werden kann. „Wir brauchen in Deutschland eine Erinnerungs- und Gedenkkultur, die nicht nur eine Aufrechnung geschehenen Unrechts in den Blick nimmt. Wir brauchen eine Wissenskultur, die alle Facetten der deutschen Geschichte umfaßt. Nur wer weiß, wo er herkommt, wird auch den notwendigen Wertekompaß haben, um die Zukunft zu gestalten“, sagte er zur Begründung. Außerdem fordert er dazu auf, das ostdeutsche Erbe zu bewahren. „Das kulturelle Erbe Deutschlands besteht auch aus der Kulturgeschichte des ehemaligen deutschen Ostens, selbst wenn dieser nicht mehr geographischer Teil Deutschlands ist“, sagt er. Auch für diese Aussage bekommt McAllister großen Applaus.

Dennoch legt sich am Ende ein Schatten über den Auftritt des Ministerpräsidenten des Patenlandes der Schlesier. Der Grund: McAllister verläßt die Veranstaltung noch während der anschließenden Ansprache des Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien, Rudi Pawelka. Zunächst hieß es, der CDU-Politiker habe zu seinem nächsten Termin gemußt, der Deutschen Polomeisterschaft in Maspe. Anfang der Woche stellten einige Medien den vorzeitigen Abgang McAllisters dann als „Eklat“ dar. Der Ministerpräsident sei mit einigen Passagen in der Rede Pawelkas, in der dieser unter anderem darauf hingewiesen hatte, daß auch Polen am Holocaust beteiligt waren, nicht einverstanden gewesen.

McAllister forderte mittlerweile tatsächlich eine Distanzierung Pawelkas und stellte den Landeszuschuß für das Treffen in Höhe von 50.000 Euro in Frage. Pawelka sieht allerdings keinen Anlaß, sich von seinen Aussagen zu distanzieren. „Die Rede war absolut in Ordnung“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. „Ich muß mich davon nicht distanzieren.“ Er werde dem Ministerpräsidenten nun einen Brief schreiben, um die Sache zu klären, kündigte er an.

Ohne Streit ging am Sonnabend der Auftritt von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) über die Bühne. Er sprach von den Schlesiern als „Brückenbauern Europas“, die sich „als demokratische Patrioten bewährt“ hätten. In der Schule habe Schünemann früher „nicht ganz soviel“ über die Vertreibung der Deutschen erfahren. Hier sei noch viel zu tun. Und er lobte in höchsten Tönen das „eindrucksvolle Zeichen“, das die Landsmannschaft gegenüber den Mitgliedern der Schlesischen Jugend (SJ) gesetzt habe. Er spielte damit auf den Ausschluß des Bundesverbandes der Nachwuchsorganisation durch die Landsmannschaft an. Hintergrund waren Erkenntnisse des Verfassungsschutzes Thüringen, nach denen Führungskräfte der Schlesischen Jugend vorher in der 2009 vom Bundesinnenministerium verbotenen rechtsextremistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) aktiv waren. Pawelka betonte, man habe sich nicht insgesamt von der Schlesischen Jugend getrennt. Es gehe vielmehr um „eine Handvoll Leute“, die man vorher gar nicht gekannt habe und die sich auf einmal an die Spitze der Organisation gestellt habe, um diese zu unterwandern.

Mit Blick auf die deutsche Volksgruppe im heute polnischen Schlesien verlangt Pawelka, dieser zu ermöglichen, ihre Sprache und Kultur zu entfalten. Leider gebe es in Polen keine einzige deutschsprachige Schule, während es in Litauen 120 polnischsprachige Schulen gebe. „Wir sollten“, sagt Pawelka, „unsere Politiker dazu drängen, den Mut zu haben, unsere Belange offen zu vertreten. Meistens scheut man ja davor zurück.“ Schünemann sei er jedoch „in tiefer Dankbarkeit verbunden“, erklärt Pawelka, als der Innenminister für seine Vertriebenenpolitik als Auszeichnung den „Schlesierschild“ überreicht bekommt.

Foto: Ministerpräsident McAllister auf dem Schlesiertreffen: Forderung nach deutschlandweitem Gedenktag

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