© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Der Große Bruder spricht sächsisch
Dresden: Die Sammlung Zehntausender Handydaten linker Demonstranten durch die Polizei sorgt für politischen Wirbel
Paul Leonhard

Die Aufarbeitung der Affäre um die Speicherung von Handydaten durch die Dresdner Polizei wird ohne Dieter Hanitsch stattfinden. Am Montag berief Innenminister Markus Ulbig (CDU) den Dresdner Polizeipräsidenten von seinem Posten ab. Zur Begründung wurde auf „Informationsdefizite“ verwiesen. Die Oppostion spricht dagegen von einem Bauernopfer.

Dabei kommt auf die Dresdner Polizei derzeit viel Arbeit zu. Seit bekannt wurde, daß bei einer Demonstration in der sächsischen Landeshauptstadt Zehntausende Handydatensätze erfaßt wurden, kursieren im Internet und Tageszeitungen Formulare, in denen Bürger Antrag auf Auskunft beantragen können. „Bitte teilen Sie mir mit, welche Daten Sie zu meiner Person gespeichert haben“, heißt es. Angesichts des sich ausweitenden Datenskandals dürften einige tausend Personen von diesem Angebot Gebrauch machen.

Bisher hat die Polizei bestätigt, im Zusammenhang mit einer Demonstration der NPD-nahen Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland am 19. Februar und den Protesten dagegen, bei denen Linksextremisten für bürgerkriegsähnliche Zustände gesorgt hatten, 138.000 Handydatensätze von Mobilfunkbetreibern angefordert zu haben. Dabei wurden alle eingehenden Anrufe und Kurzmitteilungen der Personen erfaßt und gespeichert, die sich am Nachmittag in der Dresdner Südvorstadt aufhielten. Begründet wurde das mit der Aufklärung schwerer Straftaten. Ein Amtsrichter hatte das Vorgehen auf Antrag der Staatsanwaltschaft genehmigt.

„Wenn es um Schäden an Leib und Leben geht, ist die Nutzung der Handydaten richtig angewendet“, verteidigt Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer gegenüber der Bild-Zeitung das Vorgehen. Auf Distanz geht dagegen FDP-Fraktionschef Holger Zastrow: Die Überwachung der Telefondaten sei das falsche Mittel der Strafverfolgung. Anwohner und friedliche Demonstranten würden unter Generalverdacht gestellt. Mit der kompletten Überwachung aller ein- und ausgehenden Kommunikation habe die Polizei die Privatsphäre Tausender Bürger verletzt, empört sich Rico Gebhardt, Chef der sächsischen Linken.

Innenminister Ulbig und  Justizminister Jürgen  Martens (FDP) behaupten, von der durch den bisherigen Polizeichef Dieter Hanitsch angeordneten Abhöraktion erst aus den Zeitungen erfahren zu haben. An einen Alleingang des erfahrenen Polizisten mag die Landtagsopposition aber nicht glauben. „Die Polizei hat interne Anweisungen, die Staatsregierung bei sogenannten wichtigen Ereignissen sofort zu informieren“, erinnert SPD-Rechtsexpertin Sabine Friedel. Innenminister Ulbig verteidigt die Vorgehensweise: Polizei und Staatsanwaltschaft würden die Daten benötigen, um eine Vielzahl von vermummten und gewaltbereiten Rechts- und Linksextremisten begangenen Straftaten aufklären zu können. Die Opposition glaubt aber genug Anhaltspunkte zu haben, die darauf hinweisen, daß die Daten nicht nur für die Aufklärung der Fälle von schwerem Landfriedensbruch genutzt werden.

Nach Recherchen des Mitteldeutschen Rundfunks nutzt die sächsische Polizei Handydaten bereits seit längerem zur Aufklärung von Straftaten. So wurden 2009 nach einem Brandanschlag vermutlicher Linksextremisten auf Fahrzeuge der Dresdner Offiziersschule des Heeres (JF 18/09) Tausende Kundendaten einer Baumarktkette sowie Zehntausende Mobilfunkdaten aus dem Gebiet des Szeneviertels Äußere Neustadt beim Landeskriminalamt gespeichert und ausgewertet. Insgesamt wurden 2009 bei 422 Ermittlungsverfahren Telefondaten ausgewertet.

 Am Montag beschäftigten sich Innen- und Rechtsausschuß des Landtages  auf Sondersitzungen mit den Vorgängen am 19. Februar. Die Regierung müsse zeigen, „wie die Abhöraktion mit den Grundrechten unserer freiheitlichen Demokratie vereinbar sein soll“, sagt SPD-Politikerin Friedel. Auf schnelle Aufklärung pocht auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Zudem droht außerparlamentarisch Ärger. Über die Datensammlung beschwerten sich mehrere Journalisten und bündnisgrüne Politiker bei der Staatsanwaltschaft. Der Deutsche Journalistenverband sorgte sich um die Pressefreiheit, protestierte gegen eine „eklatante Verletzung der Freiheitsrechte“ und forderte das sofortige Löschen der gespeicherten Daten. Unterdessen kündigte die taz an, sie werde juristisch gegen die in Dresden angewendeten Überwachungsmaßnahmen vorgehen.

Foto: Polizei und Demonstranten am 19. Februar in Dresden: „Eklatante Verletzung der Freiheitsrechte“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen