© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/11 01. Juli 2011

Die verzockte Währung
Der Euro gipfelt in einem Jahrhundertbetrug. Doch wo bleibt der Aufstand der Wutbürger?
Michael Paulwitz

Allmählich dämmert den Deutschen, daß der Euro dermaleinst in der Galerie der volkswirtschaftlichen Großkatastrophen gelistet werden wird. Die realen Geld- und Wohlstandsverluste durch Einführung, „Rettung“ und alsbaldigen Untergang des Euro kommen in der Summe den Kosten eines verlorenen Krieges nahe; das sarkastische Bonmot des Pariser Figaro vom „Versailles ohne Krieg“ erfüllt sich gerade mit bitterer Realität.

Gegenüber den Billionenverlusten, die sich schon jetzt bilanzieren lassen, nehmen sich die paar Milliarden, die möglicherweise für einen fehlgeplanten Tiefbahnhof in einer südwestdeutschen Landeshauptstadt in den Sand gesetzt werden, wie „Peanuts“ im Promillebereich aus. Wo aber bleiben die „Wutbürger“, die gegen den Euro-„Rettungs“-Amoklauf ihrer Regierenden aufbegehren? Weiterschauende Beobachter wie die in Berlin lebende Amerikanerin Heather De Lisle (siehe Interview Seite 3) verzweifeln schon länger an der Protestträgheit der Deutschen, die sich nicht einmal im Angesicht eines Jahrhundertbetrugs am Steuerbürger zur „Tea Party“ aufraffen wollen.

Je länger die Betroffenen stumm ins Kopfkissen beißen und weiterzahlen, desto unerträglicher wird die paranoide Realitätsverweigerung der politischen Klasse und ihrer medialen Hilfstruppen – und desto größer ist die Gefahr für den Fortbestand der demokratischen Republik.

Während die Bundesregierung das Geld der Bürger in Form von Kreditzusagen containerweise nach Griechenland verschifft, fällt dem SPD-Fraktionschef im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, nichts Besseres ein, als die Forderung des Chefs der Europäischen Zentralbank nach einem „Euro-Finanzminister“ nachzubeten. Daß das ein Staatsstreich gegen ein demokratisches Grundprinzip wäre – das Parlament kontrolliert die Verwendung der Steuergelder durch einen ihm verantwortlichen Finanzminister – fällt einem parlamentarischen Oppositionsführer anscheinend gar nicht mehr auf. Derweil kritisiert ein Kommentator in der linksliberalen Wochenzeitung Die Zeit, die eben vereinbarte schwarz-gelbe Miniatur-Steuerentlastung sende das falsche Signal, daß die Bundesregierung auch an die eigenen Bürger denke, wo doch die „europäische Solidarität“ mit Griechenland – heißt: mit den Renditen der dort engagierten Banken und Finanzinvestoren – Vorrang habe.

Dabei vergeht kein Tag, an dem nicht Finanzfachleute oder Börsenexperten verlauten lassen, daß ein griechischer Staatsbankrott und Schuldenschnitt unvermeidlich seien. Mancher geht so weit, der Bundesregierung „Untreue“ vorzuwerfen, weil sie immer noch munter Milliarden her auswirft im Wissen, daß sie diese höchstwahrscheinlich nie mehr wiedersehen wird. Eine Millionenüberweisung an die bereits bankrotte Bank Lehman Brothers hat der staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu Beginn der Finanzkrise den Titel „dümmste Bank Deutschlands“ eingetragen. Haben wir demnach die „dümmste Regierung Europas“? Die Überzeugungstäter im Raumschiff Berlin ficht das nicht an. Der Untergang des Euro kommt ihnen gerade recht, um die Vollendung der eigentlichen Absicht der Währungsunion zu erzwingen: die „politische Union“, das heißt die Einschmelzung der demokratisch verfaßten europäischen Nationalstaaten in einem bürokratisch-zentralistischen Superstaat ohne Gewaltenteilung und Kontrolle – in einer „EUdSSR“.

Dies alles ist oft genug durchschaut und gesagt worden. Das Nachrichtenmagazin Spiegel machte bereits mit einem „Nachruf“ auf den Euro auf. 189 Volkswirtschaftsprofessoren warnten im Februar vor der Vergemeinschaftung der europäischen Staatsschulden durch den Stabilitätsmechanismus – keine Resonanz. Die Stiftung Familienunternehmen, mehrere Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht, scharfsinnige Interviews und Essays von klugen Leuten wie Ifo-Chef Hans-Werner Sinn oder Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel zerreißen die Euro-Politik der Bundesregierung in der Luft – Merkel „rettet“ weiter. Der frühere Thyssen-Chef Dieter Spethmann, einer der Kläger gegen die Griechenland-Hilfen, berechnet im Focus den Gesamtschaden durch die Währungsunion für Deutschland auf 2.500 Milliarden Euro – der öffentliche Aufschrei bleibt aus. Daß das Desaster auf Pump noch immer zu abstrakt wäre, ist dafür keine Erklärung: Jeder Normalverdiener, der Jahr für Jahr mehr arbeiten muß, um doch wieder weniger in der Tasche zu haben, spürt die Folgen schon jetzt. Und das ist erst der Anfang.

Daß die Mittelschicht keine Zeit zum Protestieren hätte, weil sie ja arbeiten und Steuern zahlen muß, zieht nicht als Ausrede: Wenn die politische Klasse kollektiv versagt und jeder fachlich begründete Widerspruch ungehört verhallt, wer soll dann das Wort ergreifen, wenn nicht der Bürger, dessen Sache der Staat schließlich ist?

Allerdings braucht es dafür Mutige, die vorangehen und dem Protest einen Weg weisen; und noch mehr Mutige, die bereit sind, ihn zu gehen. Diejenigen, die keine Angst davor haben, in die „rechtspopulistische“ Ecke gestellt zu werden, finden zu wenige, die ihren Aufrufen folgen; diejenigen, die gehört werden, begnügen sich damit, für sich oder ihre Interessengruppe zu sprechen. Doch das reicht nicht. Es geht nicht nur um Einzelinteressen, sondern um die Verteidigung von Demokratie und Republik – und des Prinzips, das beiden zugrunde liegt: Steuern sind nur legitim, wenn die Besteuerten auch darüber entscheiden können, wie sie verwendet werden. Das geht nur im demokratisch verfaßten Nationalstaat und nicht in einem Euro-Superstaat, der sich in erster Linie als Sachwalter globaler Finanzinteressen versteht. Die Stunde für den Aufstand der Steuerbürger ist gekommen.

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