© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Wohnen wie ein Mensch
Das Goldene Haus strahlt weit ins Reich: Eine Ausstellung in Rom über Kaiser Nero
Sebastian Hennig

Das italienische Kulturministerium und die römische archäologische Behörde inszenieren die antiken Stätten Roms als einen großen mehrbändigen Bildatlas zu den Kaiser-Viten von Tacitus und Sueton. Nach dem Kapitel über Vespasian von 2009 wird jetzt eines über Nero aufgeblättert, das die Besucher der großen Ausstellung mit Skulpturen, Fresken, Gemälden und archäologoschen Funden zu einer ganz anderen Perspektive auf den verrufenen Imperator verführt.

Der Legende des skrupellosen Zerstörers seiner Heimatstadt werden Dokumente gegenübergestellt, die ihn als weitsichtigen Stadtplaner und den eigentlichen Schöpfer von Rom in seiner höchsten baulichen Blüte herausstellen. Nero wurde er erst seit dem Jahre 50 genannt. Zuvor war er noch Lucius Domitius Ahenobarbus, der im Palast seines Stiefvaters Claudius mit seiner Mutter Agrippina wohnte, der Domus Tiberiana. Der Palast war bislang verborgen unter dem Rasen der Farnesischen Gärten. Von einer gezimmerten Bühne aus kann der Besucher den Grundriß dieser denkwürdigen Wohnung überschauen.

Hier wurde der 17jährige für viele überraschend zum Kaiser erklärt und in den ersten Jahren seiner Herrschaft durch den Umgang mit Seneca beeinflußt. In dieser frühen Phase seiner Regentschaft bewunderte man seinen feinen politischen Instinkt, und seine Maßnahmen fanden in den einflußreichsten Kreisen Roms viel Zuspruch. Im Jahre 59 ermordete er seine übel beleumdete Mutter Agrippina, eine Schwester des Kaisers Caligula, und entledigte sich damit des dunklen Hintergrundes, vor dem er bisher so vorteilhaft leuchtete. Er brüskierte den Senat durch sein theatralisches öffentliches Auftreten, gewann dafür aber das Wohlgefallen der Menge. In diesen Zusammenhang gehören auch seine strikten Maßnahmen gegen die damals noch kleine Sekte der Christen sowie das große Bauprojekt des sogenannten „Goldenen Hauses“, welches sich weit über die Hügel hinzog und bis über den Gianicolo erstreckte.

Da die Täler zwischen den Erhebungen bis zu 17 Meter unter dem heutigen Bodenniveau gründeten, läßt sich die Wirkung der Domus Aurea von heutigen Spaziergängern nur schwer nachvollziehen. Jedenfalls muß sie gewaltig gewesen sein und prägte ein völlig neues Rom. Die hochartifiziell gegliederte Landschaft mit Palästen, Gärten und künstlichen Seen war öffentlich zugänglich. So erscheint die Bereicherung an dem Vermögen der Wohlhabenden, die ihm in vielen antiken Quellen nachgesagt wird, als eine Steuer für die bauliche Erweiterung der Stadt zu einem Weltwunder. Als das Goldene Haus fertiggestellt war, bemerkte Nero, er beginne nun „wie ein Mensch“ zu wohnen.

Von den festen Bauten haben sich allein Teile des großen Palastes auf dem Oppian erhalten. Aber auch die Gärten des Maecenas auf dem Esquilin waren einbezogen, der Blickbezug in die Albaner Berge war Teil dieser grandiosen Gliederung der Stadtlandschaft. Zudem wurde zugleich die Geschoßhöhe für private Bauten begrenzt. In der Senke wurde ein großer See neben einem Pavillion angelegt, der als Vestibül der Anlage diente. Hier stand der vergoldete Helios des griechischen Bildhauers Zenodorus, jene 120 Fuß hohe Riesenstatue mit des Herrschers Zügen, die dem Flavischen Amphitheater den Namen gab, das Vespasian später auf dem zugeschütteten See errichten ließ.

Die Flavier verfuhren bilderstürmerisch mit dem Neronischen Erbe. Viele Bauten des letzten Kaisers aus dem julisch-claudischen Geschlecht wurden geschleift. Als anschauliches Zeugnis hat sich allein jener achteckige Kuppelsaal im Park des Oppius erhalten. Sonst gibt es nur Rudimente, zum Beispiel der Domus Transistoria, des ersten von Nero veranlaßten Palast-Neubaues vor dem großen Brand, und jenes drehbaren Speisesaales, den Sueton erwähnt.

Diese Orte auf dem Palatin sind in den Ausstellungsrundgang einbezogen, wie auch die Curia Julia des Forum Romanum und der Tempel des Romulus. Darin finden sich einige Kostproben der Legendenbildung um Nero, von der schwülen Salonmalerei des 19. bis zum Kintopp des 20. Jahrhunderts. Das Zerrbild vom kaiserlichen Scheusal bot, in die Nähe von Vampiren und Werwölfen gerückt, eine gängige Vorlage bereits für die ersten Stummfilme. Eine Sequenz von1896 führt Nero vor, wie er ein Gift an einem Sklaven ausprobiert.

Die großen Dichter der augusteischen Zeit klingen noch lebendig an unser Ohr. Eine ähnliche Blüte bewirkte Nero in der Baukunst und Malerei. Die Architekturstücke der pompejanischen Wandmalerei spiegeln die Leidenschaft dieser Zeit: den Raum nicht nur zu besetzen, sondern auch für den Blick zu fassen. So ist dem Bauvorhaben der Domus Aurea auch der Wunsch abzulesen, im Zentrum der Macht einen Sitz von gewaltiger Sogwirkung zu stiften, die das schier Unübersehbare symbolisch zusammenführt. Vielleicht sind die kaiserzeitlichen Römer erst in dieser Zeit mit einem Dichter, Sänger und Bauherrn an der Spitze zu einem originellen ästhetischen Selbstbewußtsein erwacht und haben sozusagen ihren nachrepublikanischen Habitus zur Vollendung geführt: Vor dem langsam einsetzenden Verfall ein Höhepunkt, an dem das Ideal des asketischen Ritters endgültig vom Stolz des Bürgers am Hauptort eines umfassenden Weltreiches abgelöst wurde.

Die Villa der Poppeia in Oplontis am Fuße des Vesuv ist einer der am besten erhaltenen Komplexe, die von diesem feierlich-eleganten Lebensstil noch künden. Die weltberühmten Fresken in der Casa dei Vettii entstanden gleichfalls in dieser Epoche. Dementsprechend werden Skulpturen und Malereien aus Pompeji im Ausstellungsteil in den Gängen hinter den Arkaden des Colosseums präsentiert.

Hier sind auch die modernen Visualisierungen der großen Pläne ausgebreitet. Vergoldete Dächer und Wasserflächen funkeln in der Sonne der Campagna. Düster-melancholische Büsche und Baumreihen wie von einer Böcklinschen Toteninsel durchziehen einen gigantischen Landschaftspark. Es war wohl der Versuch, eine Esoterik der Macht zu begründen. Der Vorgängerbau der Domus Transistoria war bereits der erste Palast, der in Rom auf einen Zug emporwuchs. Nero war offenbar getrieben von einem heimlichen Horror vor dem hochtechnologischen Provisorium, an dem das Weltreich des Westens schließlich auch zerbrach. Auf diese Weise war er quasi ein vorbyzantinischer Autokrat, zugleich zweifellos einer der unchristlichsten Kaiser Roms und ein Ärgernis für jeden Nachfolger, von Galba bis zu den Päpsten. Die ungewöhnliche Ausstellung läßt nun seine Facetten freundlicher schillern.

Die Ausstellung „Nero“ ist bis zum 18. September in Rom im Colosseum, Forum Romanum und Palatin täglich von 8.30 bis 19.15 Uhr zu sehen. Der Katalog nur in italienischer Sprache und mit 256 Seiten kostet 40 Euro. www.electaweb.it

 

Nero und der Brand von Rom

Nero steht beispielhaft für jene Figuren der Weltgeschichte, die von der Historikerzunft schäbig behandelt worden sind. Obwohl er gute wie schlechte Seiten hatte, dominierte nach seinem Freitod 68 n. Chr. bald nur noch die negative Sichtweise. Jetzt rächte sich, daß er die Christen als Sündenböcke nach dem Brand von Rom hatte verfolgen lassen. Dieser Brand und der Tod des Despoten wurden im Monumentalfilm „Quo vadis?“ (1951) mit Peter Ustinov verdichtet und prägen bis heute unser Bild von Nero. In Wirklichkeit war er gar nicht in Rom, als die Stadt niederbrannte. Trotzdem, das Bild steht fest, wie jüngst erst die Werbekampagne für das beliebte Computerprogramm „Nero Burning ROM“ zeigte. (rg)

Foto: Nero-Gemälde von Jan Styka (1858–1925), um 1900: Das Zerrbild vom kaiserlichen Scheusal bot eine Vorlage bereits für die ersten Stummfilme

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