© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Die vielen Seelen der Opposition
Italien: Nur vereint im Kampf gegen Silvio Berlusconi zeigt die Linke Stärke, hinter den Kulissen herrscht ein anderes Bild
Paola Bernardi

Die Ära Berlusconi scheint sich dem Ende zuzuneigen. Zweimal mußte Italiens Ministerpräsident innerhalb weniger Wochen eine vernichtende Niederlage erleiden. Zweimal versagte sein politischer Instinkt, der ihm sonst beim Machterhalt stets zu Diensten war.

So hatte Berlusconi die Kommunalwahlen im Mai zum Plebiszit über seine Person hochstilisiert – und verloren. Die Anti-Atom-, Wasserprivatisierungs- und Politikerschutzreferenden dagegen tat er – als er sie nicht mehr verhindern konnte – als unwichtig ab. Auch sie erwiesen sich als Bumerang. Denn obwohl er und auch sein Koalitionspartner Umberto Bossi (Lega Nord) den Wählern geraten hatten, „lieber an den Strand zu fahren“, wurden diese Empfehlung als selbstschädigend aufgenommen und die Regierungspartei Popolo della Libertà (PdL) wurde abgestraft. Denn die Wähler strömten zur Wahl, und wie einst in totalitären Staaten lagen die Wahlergebnisse für alle Referenden weit über 90 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von über 57 Prozent (JF 25/11).

Höhnisch jauchzte die linksliberale La Repubblica, die mediale Waffe von Berlusconis ewigem Gegner Carlo de Benedetti: „Die Zauberflöte ist zerbrochen, nach zwei Jahrzehnten weigern sich die Italiener Berlusconis Musik zu folgen.“

Während Umweltschützer und Atomgegner ihren Sieg feierten und die Regierungspartei damit beschäftigt ist, ihre eigenen Reihen zu ordnen, forderte die linke Opposition – allen voran der Parteichef der postkommunistischen Demokratischen Partei (PD ) Pier Luigi Bersani –, den Rücktritt von Berlusconi. Doch so einfach ist es nicht. Denn während Berlusconis Koalition ihre Wunden leckt – Lega-Chef Bossi droht mit einem Bruch der Koalition und warnt zugleich vor der Machtübernahme der Linken –, ist die linke Opposition in Italien hoffnungslos zerstritten, selbst über den Abgang von Berlusconi gehen die Meinungen auseinander.

Der von Bersani ausgerufene Sieg für die Linken in Italien nach den Wahlen und Referenden ist mehr als zweischneidig. Denn der neu gewählte Bürgermeister von Mailand, Giuliano Pisapia, der zwei Jahrzehnte rechte Herrschaft beendete, war in früheren Jahren ein ultralinker Kommunist, nannte sich dann aber „unabhängig“, als er als Anwalt etabliert war, und gab sich als politischer Laie aus. Jedoch fühlt sich Pisapia dennoch dem Präsidenten der Region Apulien, Nichi Vendola, nahe, dem Chef der Kleinpartei „Sozialismus, Ökologie, Freiheit“ (SEL), die sich 2009 aus grünen und kommunistischen Splitterparteien gebildet hat. Vendola, ein bekennender Homosexueller, der stolz auf sein katholisch-kommunistisches Elternhaus ist, machte zudem klar, daß er bei Neuwahlen als Spitzenkandidat gegen Berlusconi antreten wollte. Der 52jährige Altkommunist feierte dann auch gemeinsam mit dem neuen Bürgermeister in Mailand den Sieg. Der PD indessen schwebte bei den Primärwahlen ein „gemäßigter“ Kandidat aus den eigenen Reihen vor. Doch Pisapia setzte sich durch – so daß dieses Ergebnis nur als halbes für die etablierte Oppositionspartei PD zählen kann.

Gleiches widerfuhr ihr in Neapel. Hier, wo seit Jahrzehnten die Linke regiert, versuchte man, einen neuen Kandidaten der PD zu etablieren. Doch bei der Stichwahl im Mitte-Links-Lager setzte sich der frühere Staatsanwalt Luigi De Magistris, ein Exponent von Italia dei Valori (Italien der Werte), durch. Diese linksliberale Kleinpartei wird von dem früheren Staatsanwalt Antonio di Pietro geführt, der einst durch die Aktion „Mani pulite“ (Saubere Hände) in den 1990er Jahren Aufsehen erregte.

In beiden Fällen entschieden sich die Bürger gegen die Kandidaten der großen linken Volkspartei PD und setzten auf Außenseiter. Gewinner sind Vendola und Di Pietro. Sie sind heute für viele Italiener glaubwürdiger als die Spitzenpolitiker der PD, die wie Pier Luigi Bersani oder Massimo D’Alema zur alten Garde der Kommunisten (PCI) gehörten, dies aber nun verbergen wollen.

Wie wollen diese verschiedenen Seelen in der Brust der linken Opposition gegen die Rechte gewinnen? Bisher vereinte sie nur ein Konsens, und der lautete: Gegen Berlusconi. Noch ist Italiens Linke nicht auf einen Machtwechsel vorbereitet. Nur so ist es zu verstehen, daß Bersani den sofortigen Rücktritt Berlusconis fordert, während Vendola und Di Pietro klugerweise schweigen. Und im Gegensatz zu Berlusconi konnten sich die diversen linken Ministerpräsidenten seit 1994 nie lange im Amt halten.

Foto: Pier Luigi Bersani, Chef der linken PD, kritisiert Berlusconis Politgebahren: „Sofortiger Rücktritt“

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