© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/11 24. Juni 2011

Kalifornische Impressionen
Abschied vom alten Amerika
Herbert Ammon

Was ist eigentlich ein Amerikaner, diese neue Art Mensch?“ fragte Jean de Crève-coeur in seinem Buch „Letters of an American Farmer“, das 1782 dem gebildeten Europa das Bild der Neuen Welt vermittelte. Der Aristokrat Crèvecoeur pries die von Gleichheit geprägte, aus Europäern jeglicher Herkunft durchmischte neue Gesellschaft jenseits des Atlantik.

Ohne revolutionären Beigeschmack erscheint der „neue Mensch“ in realgeschichtlicher Gestalt somit erstmals in Amerika. Ihrem Selbstbild gemäß verstehen sich die USA als Nation, die, wider Willen 1917 in Machtkonflikte des alten Europa hineingezogen, als Leuchtturm der Freiheit und Vorkämpferin der Demokratie eine Geschichtsmission erfüllt. Der Glaube an die freiheitliche Verfassung, an Chancengleichheit im Innern, an Uneigennützigkeit nach außen, bilden den Wesenskern des amerikanischen Patriotismus. Hinzu kommt ein mit Umweltmoral überhöhter Glaube an Wohlstand und technischen Fortschritt. Einen frischen Eindruck dieser Gesellschaft im 21. Jahrhundert gewinnt man in Kalifornien. Der Staat zieht trotz derzeitiger Rezession Einwanderer aus aller Welt an, vornehmlich aus Lateinamerika und Südostasien. In Gestalt zahlloser Bürohochhäuser prägen die Expansionsschübe das Stadtbild von San Francisco.

In der von sechs Millionen bevölkerten Bay Area bewegen sich im Umkreis des Silicon Valley von San José auf sechsspurigen Autobahnen in Stoßzeiten unendliche Autokolonnen. Auf baumlosen Hügeln demonstrieren Windparks aus Stahlgerüsten, daß Ästhetik und technischer Fortschritt vereinbar sind. Unbesorgt erwartet man das nächste große Beben am Sankt-Andreas-Graben. Optimismus allerorten, trotz der unlösbaren Finanzmisere.

Auf einer Hochzeit begegnete der Besucher der amerikanischen Gegenwart: Die „Euro-Americans“ in der Minderzahl, über drei Viertel der Hochzeitsgäste – Absolventen der Top-Universitäten Kaliforniens sowie der Ostküste – stammten aus China, Japan, Vietnam, dazu ein paar Inder. Das Kontrastbild zu Sarrazins postdeutscher Zukunft: Oben die Asiaten als wissenschaftlich-technische Elite, gleichrangig sowie abgestuft danach die „alten“ Amerikaner, darunter die „Hispanics“ sowie die Mehrheit der Afro-Amerikaner. Welche Auswirkungen hat der gesellschaftliche Wandel auf die Weltpolitik? Wo verorten sich kulturell die neuen Eliten?

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.

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