© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Linke Gewalt im politischen Meinungskampf
Schottern und blockieren
von Jürgen Schwabe

Die Qualität der politischen Kultur eines Gemeinwesens fußt auf etlichen Bedingungen, unter anderem einer vernünftigen Verfassung, der politischen Anteilnahme seiner Bürger bis hin zum aktiven Engagement und der Bereitschaft, unterschiedliche Konzepte im Meinungskampf unter Verzicht auf physische Gewalt durchzusetzen. Ohne Gewaltverzicht kommt es im schlimmsten Fall zum Bürgerkrieg, im minder schweren Fall zu Straßenschlachten.

Diese begleiteten bekanntlich das Ende der Weimarer Republik. In der Bundesrepublik blieb politisch motivierte Gewalt zwei Jahrzehnte verpönt, bis die 68er-Bewegung nicht nur die „Schweine“ der Polizei physisch bekämpfte, sondern auch den politischen Gegner. Besetzung oder Räumung von Versammlungsräumen, Zerstörung der Mikrophone, Niederschreien oder -pfeifen waren an der Tagesordnung.

Die physische Gewalt gegen Staatsakte ist seitdem, bedingt durch die Anti-Atomkraft-Bewegung, fest etabliert. Vor dem letzten Castor-Transport übten viele Tausende das „Schottern“, also die Zerstörung der Gleisanlagen; über dieses „Training“ sah die Polizei meist großzügig hinweg. Als Claudia Roth von den Grünen gefragt wurde, weshalb ihre Partei diese strafbaren Sabotageakte ihrer Bundesgenossen nicht verurteilt habe, antwortete sie: „Wieso, wir sagen nie, wogegen wir sind, immer nur, wofür.“ Das gälte dann wohl auch für das Training mit Molotow-Cocktails und stünde gleichfalls neuen Wahlerfolgen nicht im Wege.             

Gewalt gegen nichtstaatliche politische Gegner, seien es einzelne Personen oder Organisationen, war nach den 1970er Jahren aus der Mode gekommen, lebt aber seit einiger Zeit wieder auf. So gelang es zwar nur vereinzelt, Thilo Sarrazin von einer Lesung seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ abzuhalten, weil der Gegner zu überlegen war und mit jeder Auflage stärker wurde. Aber daß er überhaupt für eine solche Veranstaltung bestimmte Bezirke meiden mußte, ist im Grunde ein schlimmes Zeichen.

Anderes Beispiel: Der Ökonom Bernd Rürup, der ehemalige Vorsitzende der fünf Wirtschaftsweisen, mußte 2009 auf seine Abschiedsvorlesung verzichten, weil sie einer Krakeel-Gruppe von Studenten und Gewerkschaften nicht in den Kram paßte; er galt als „Knecht“ und „Helfer“ des Kapitals. Überhaupt wird den mit Gewalt Bekämpften gern ein Negativ-Etikett aufgeklebt. Besonders beliebt ist „Faschist“ – das Standard-Schimpfwort der 68er für fast alle politisch Andersdenkenden. Bei Sarrazin ist man auf „Rassist“ verfallen. Da er bestimmte Mentalitätsmerkmale von Immigranten dem Islam anlastet, egal ob die Einwanderer aus Indonesien, der Türkei oder Marokko kommen, fußt seine Beschimpfung als Rassist auf der Prämisse, daß Muslime eine Rasse bilden. Diesen Ausweis von Ignoranz tragen unzählige Politiker und Publizisten stolz zu Markte.

Wer eine politische oder weltanschauliche Richtung bekämpft, wird sie bevorzugt bei ihren wirksamsten Aktionen angreifen wollen, also beim Plakatieren, bei Reden, Lesungen und vor allem bei Versammlungen. Gerade bei Versammlungen, seien sie stationär oder als Aufzüge beweglich, zeigen sich folglich die bedenklichsten Auswüchse politisch bedingter Gewalt. Hier glauben Linksextreme jenen Widerstand gegen „Nazis“ und „Faschisten“ nachholen zu müssen, dessen Fehlen sie ihren Großeltern vorwarfen. Zu diesem Zweck haben sie kurzerhand eine Rechtsordnung nach eigenem Gusto dekretiert, der zufolge der Rechtsextreme keinerlei Rechte zur Agitation und Propaganda durch Versammlungen hat und folglich die gewalttätige Unterbindung seines angeblich rechtlosen Tuns durch Private nicht zu beanstanden ist.

In Konsequenz dessen firmieren die notfalls mit dem Baseballschläger vorgetragenen Gegenaktionen beispielsweise unter Losungen wie „Den Rechten keinen Meter“ oder „Besetzen – Blockieren – Belagern – Behindern  – Verhindern“. Zur Erreichung dieses Ziels wird vielfach schon die Anfahrt der politischen Gegner auf der Schiene oder auf der Straße blockiert. Falls dies nicht fruchtet, werden die Widersacher von der Straße geprügelt. Zu diesem Zweck werden militante Kampfverbände häufig aus dem ganzen Bundesgebiet organisiert, deren Stärke oft in groteskem Mißverhältnis zur Kopfzahl des politischen Gegners steht. Es kommt vor, daß 50 Demonstranten, deren oft wirrköpfiger Auftritt ohnehin kaum jemanden beeindruckt, von über 400 Gegendemonstranten angegriffen werden.

Polizeiaufgebote von mehreren tausend Beamten sind die Folge. Solche Großeinsätze kosten den Steuerzahler jährlich etliche Millionen Euro. Allein die Kosten für den Polizeischutz der letzten großen Auseinandersetzung zwischen Links- und Rechtsextremisten in Dresden im Februar 2011 werden auf sieben Millionen Euro beziffert, hinzu kommen beträchtliche Sachschäden und 82 teils schwer verletzte Polizisten.

Militante Gegendemonstranten maßen sich nicht nur eine eigene Rechtsordnung an, sondern naturgemäß auch deren Exekution. Dem Verbotsbeschluß folgt die Vorbereitung des Vollzugs durch Organisation und Entsendung der erforderlichen Kampftrupps. Das kann zu der grotesken Situation führen, daß staatliche Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht eine befehdete Veranstaltung ausdrücklich als grundrechtsgeschützt erlauben, aber gleichwohl ein Komitee von Versammlungsstörern beschließt, den Gegner um jeden Preis von seinem Versammlungsort fernzuhalten. Daß hier eine private Gruppe einem politischen Gegner praktisch seine Grundrechte als verwirkt aberkennt, ist so absurd wie skandalös.

Wie wirr oder verwerflich auch immer die Thesen einer politischen oder Weltanschauungsgemeinschaft sein mögen, so stehen ihr, solange sie nicht verboten ist und nicht Strafbares tut, alle Grundrechte uneingeschränkt zur Verfügung. Kurz und bündig hat hierzu ein Einzelrichter am Verwaltungsgericht Hannover ausgeführt: „Es obliegt allein der Versammlungsbehörde, darüber zu befinden, ob ein Aufzug beziehungsweise eine Versammlung verboten oder mit Auflagen versehen wird. Diese für einen demokratischen Rechtsstaat konstitutive Aufgabenverteilung wird in einer das staatliche Gewaltmonopol negierenden Weise konterkariert, wenn sich einzelne anmaßen zu entscheiden, welche Versammlungen und Aufzüge andere durchführen können.“

Wäre es anders, dann müßte auch hingenommen werden, wenn irgendwelche Gruppen ihre  Verhinderungs- und Sperraktionen auf das Alltagsgeschäft des politischen Gegners erstrecken und etwa seine Geschäftsstelle demolieren wollten. Beim Kampf gegen eine verfemte Presse gab es dergleichen in den 1970er Jahren, als man dem Springerkonzern mehr oder weniger die Pressefreiheit absprach und die Auslieferung seiner Produkte zu blockieren versuchte. Auch die JUNGE FREIHEIT hatte und hat unter Gewaltandrohungen gegen den Kioskvertrieb zu leiden.

Alle Gewaltaktionen sind rechtswidrig und meist strafbar. Was die Versammlungen betrifft, so werden auf diesem Feld Unmengen von juristischen Nebelkerzen gezündet. Linke Gegendemonstranten berufen sich darauf, daß Sitzblockaden keine strafbare Nötigung seien. Sie stützen sich dabei auf einige äußerst problematische Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die jedoch völlig andere Sachverhalte betrafen. Darauf kommt es aber gar nicht an. Die Verhinderung einer gegnerischen Versammlung oder eines Aufzugs durch tief gestaffelte Sitzblockaden ist nach dem Versammlungsgesetz strafbar.

Das gilt auch für die Aufforderung dazu, die dutzend- oder hundertfach durch viele Vorbereitungsgruppen ergeht. Leider werden diese Delikte aber fast gar nicht geahndet. Es gibt unerklärlich wenige Ermittlungsverfahren, zuweilen geschieht auf Strafanzeigen 15 Monate lang gar nichts außer der Mitteilung eines Aktenzeichens. Einstellungen der Verfahren enthalten manchmal schlechterdings unbegreifliche Begründungen. So behauptet beispielsweise die Staatsanwaltschaft Frankfurt, zwar sei eine auf Vereitelung der Versammlung zielende Störung durch wiederholtes und dauerndes Lärmen strafbar. Aber anderes gelte für das „nach Intensität und Gefährlichkeit“ damit nicht vergleichbare Blockieren des bekämpften Aufzugs „durch schlichte Anwesenheit von Menschen“.

Diese beliebte und weit verbreitete Schönfärberei umschreibt tief gestaffelte und unüberwindbare Straßen- und Platzsperren durch Sitzblockaden. Nach dieser Logik ist es als „grobe Störung“ der Versammlung strafbar, wenn ein paar hundert Gegner einen Aufzug mit einem Konzert ihrer Trillerpfeifen begleiten, aber straflos, wenn Tausende den Aufzug ihrer politischen Feinde auf einer Kreuzung festnageln, und dies trotz massiven Polizeieinsatzes. Wenn ein angehender Jurist so etwas im Assessorexamen vertritt, könnte er scheitern, später als Staatsanwalt hat er aber offenbar nichts mehr zu befürchten.

Erfreulicherweise hat sich die Staatsanwaltschaft in Dresden 2010 energisch um die Beachtung der geltenden Rechtsordnung bemüht. Die Indolenz zu vieler Strafverfolgungsbehörden wird flankiert durch Applaus von Politikern, zuweilen sogar durch deren Teilnahme an den Aktionen. Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse (SPD), hatte im Vorjahr die erste Reihe einer Berliner Sitzblockade geziert, geriet darüber in Streit mit dem Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und handelte sich ein Ermittlungsverfahren ein.

In diesem Jahr hat er die sächsische Polizei beschimpft, weil sie „Nazis“ schütze. Eine der größten jemals veranstalteten Blockadeaktionen, 2009 in Köln als Ausweis gelebter Demokratie gefeiert, fand die nachdrückliche Billigung des damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU). Auch der ehemalige Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) lobte den Kampf gegen „die braune Soße“, die man „durch die Toilette wegspülen“ müsse. Damit wird das von Carl Schmitt geläufige Freund-Feind-Denken in der Politik durch den Dualismus von Freund und Fäkalie ersetzt.

Der Kölner Stadt-Anzeiger feierte, was da nach seinen Worten „ganz einfach auf die Kölsche Art“ ins Werk gesetzt wurde. Denn „das hat etwas durchaus Lustvolles, Fröhliches und – in Köln schier unvermeidlich – Karnevaleskes. Sinnbild dafür war das Ausweichen des (befehdeten und blockierten) Kongresses auf einen Rhein-Ausflugsdampfer, der nach stundenlanger Irrfahrt das Häuflein Passagiere ausspuckt wie ein Walfisch, dem speiübel geworden ist. Diese Szenerie taugt für die Legende.“ Der Dampfer mußte fluchtartig die Anlegestelle verlassen, als ein Hagel von Steinen und Flaschen auf ihn niederging und Personen- sowie Sachschäden drohten.

Wenn eine Tendenz zur gewaltsamen politischen Auseinandersetzung so unzureichend rechtlich gebändigt wird und so viel falschen Beifall erhält, muß sich bei den Aktivisten zwangsläufig der Eindruck verfestigen, ihr Tun sei nicht nur nicht rechtswidrig, sondern sogar lobenswert. Diese schleichende Denaturierung des geltenden Rechts ist verhängnisvoll und darf nicht länger hingenommen werden.

 

Prof. Dr. Jürgen Schwabe, Jahrgang 1937, Jurist, lehrte von 1979 bis 2002 Öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Zuletzt erschien sein Aufsatz  „Verhinderung und Sprengung von Versammlungen durch Kampfaufzüge“ (Die Polizei, 2010, 258).

Foto: Einkaufskorb mit Pflastersteinen: Ein mehrfach erprobtes Transport-mittel für die Wurfgeschosse linker Gewalttäter in Auseinandersetzungen  mit der Polizei

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen