© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Das Ende der Gratiskultur
Jahrelang war fast alles im Netz frei zugänglich / Springer-Konzern setzt zunehmend auf Bezahlschranken
Sverre Schacht

Gute Zeiten für die Berliner Morgenpost: Im Mai sind die Besucherzahlen der Internetseite morgenpost.de auf ein neues Allzeithoch gestiegen. 4,7 Millionen Besucher zählte der Branchendienst IVW.

Das Experiment, das der Axel-Springer-Verlag im Dezember 2009 begonnen hat, scheint sich nicht negativ auszuwirken. Damals wurden Lokalnachrichten bei der Berliner Morgenpost und im ebenfalls konzerneigenen Hamburger Abendblatt kostenpflichtig. Acht beziehungsweise fünf  Euro pro Monat muß ein Internetnutzer zahlen, der den Lokalteil dieser Zeitungen online lesen will. Nur Abokunden der gedruckten Ausgabe können weiterhin auch im Netz alles gratis lesen.

Damals wurde der Berliner Morgenpost von Marktbeobachtern prognostiziert, sie habe sich selbst den Todesstoß versetzt. Und zunächst sah es auch so aus. Die Zugriffszahlen sanken von drei Millionen Besuchern pro Monat im November 2009 rapide und pendelten monatelang bei zweieinhalb Millionen. Aber schon im Spätsommer 2010 hatten sich die Zugriffszahlen erholt. Jetzt übertreffen sie alles bisher Dagewesene.

Das ist eine kleine Revolution. Lange waren journalistische Inhalte im Netz nur ein Kostenfaktor. Denn mit Werbung alleine lassen sich Netzangebote nicht finanzieren. Aber bislang sind alle Versuche gescheitert, die Leser zur Kasse zu bitten. Das konnte also nicht ewig weitergehen. Doch wie können Kunden überzeugt werden, daß sie künftig für Dienste bezahlen müssen, nachdem diese jahrelang gratis waren? Dies galt branchenintern wegen der Vielzahl der Anbieter als aussichtslos. Auch im Falle der Berliner Morgenpost war es so: Zunächst profitierten die (weiterhin) kostenfreien Berliner Konkurrenten wie tagesspiegel.de oder bz-berlin.de. Doch das war nur ein vorübergehender Effekt.

Gerade diese Konkurrenten dürften die Bemühungen ihres Mitbewerbers, seine Online-Aktivitäten rentabel zu machen, interessiert beobachten. Deutsche Verlage sind zur Zeit in einer Art Gründungsfieber: Viele basteln an kostenpflichtigen Angeboten im Netz. M. DuMont Schauberg (Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung und Kölner Stadtanzeiger) überarbeitet gerade die Netzauftritte seiner Zeitungen. Die Financial Times Deutschland bietet schon jetzt nur noch gegen Zahlung von 2,50 Euro pro Tag Zugang zu allen ihren Inhalten. Aber das ist alles noch in der Anfangsphase. Bislang stehen im „normalen“ Internet die meisten Inhalte kostenfrei zur Verfügung.

Anders sieht es bei den mobilen Anwendungen für Geräte wie das iPad („Apps“) aus. Hier fällt es den Verlagen leichter, ihre Kunden zur Kasse zu bitten. Das Magazin Der Spiegel hat vor einem Jahr seinen zahlungspflichtigen Netzauftritt ausgeweitet. Dort wurde das sogenannte „E-Paper“ (elektronisches Papier) ausgebaut. Diese Spiegel-Ausgabe für mobile Endgeräte kam erst nach langer Ankündigungszeit. Schon am Samstag statt erst am Montag bietet jetzt die Spiegel-App vollen Zugriff auf die aktuelle Ausgabe. Die jährliche Abogebühr entspricht der des gedruck-ten Magazins (197,60 Euro). So oder so versuchen Verlage, ihre Inhalte kostenpflichtig anzubieten.

Am weitesten ist der Axel-Springer-Verlag mit seinem Flaggschiff Bild gegangen. Deutschlands größte Boulevardzeitung vermarktet die Bild-App – für dreißig Euro pro Jahr. Die erste Bilanz nach ihrer Einführung fällt für 2010 positiv aus: 540.000 heruntergeladene Dateien, mit denen auch Umsatz erwirtschaftet wurde, teilt der Konzern mit. Das kann sich sogar mit der Tagesschau-App messen, die 740.000mal heruntergeladen wurde – anders als die Bild-App ist die öffentlich-rechtliche Tagesschau-App aber kostenfrei.

Nicht nur diese Gratis-Konkurrenz der ARD ist bitter für die Verlage: Der digitale Heftpreis richtet sich nach iPhone- und iPad-Hersteller Apple. Der US-Konzern verdient jedesmal mit, wenn ein iPhone-Nutzer eine kostenpflichtige App herunterlädt. Zudem streicht Apple etwa ein Drittel der Umsätze ein.

Ob auf dem Klapprechner oder auf dem iPhone: Die Nutzer des deutschsprachigen Internets werden sich darauf einstellen müssen, daß immer mehr ehemals kostenfreie Angebote kostenpflichtig werden. Bei amerikanischen Tageszeitungen ist das schon lange stärker verbreitet als bei uns. Vor kurzem hat auch die New York Times eine Bezahlschranke eingeführt. Zwanzig Beiträge kann ein Nutzer pro Monat noch kostenlos lesen, aber ab dem 21. wird er zur Kasse gebeten. So wird bei „Stammkunden“ kassiert, während die „Laufkundschaft“ nicht verschreckt wird. Ein Modell, das Schule machen könnte.

Foto: Bezahlschranke: Bald könnten auch mehr deutsche Netzauftritte kostenpflichtig werden

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