© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Atomstrom durch die Hintertür
Energiepolitik: Binnenmarkt ohne Grenzen / EU-Recht ermöglicht Zusatzprofite ausländischer AKW-Betreiber
Bernd-Thomas Ramb

Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert“, sagte Angela Merkel vergangenen Donnerstag in ihrer Regierungserklärung zum Atomausstieg. „Ich habe für mich eine neue Bewertung vorgenommen.“ Energieversorgung ohne Atomstrom sei zwar „eine Herkulesaufgabe“, doch „wir alle gemeinsam können bei diesem Zukunftsprojekt ethische Verantwortung mit wirtschaftlichem Erfolg verbinden“, erklärte die Bundeskanzlerin. „Wir können als erstes Industrieland der Welt die Wende zum Zukunftsstrom schaffen.“

Doch die panikartige Flucht der Deutschen aus der Nutzung der ­Kernenergie und die gleichzeitige Verteufelung von Kohlekraftwerken als „Klimakiller“ haben ihren Preis. Dessen Höhe richtet sich vor allem nach der Geschwindigkeit des Ausstiegs. Je schneller die Kernkraftwerke abgeschaltet werden, um so teurer wird die Angelegenheit. Die Ersetzung der atomaren Stromerzeugung durch andere Formen der Energiegewinnung bedarf milliardenschwerer Investitionen. Je schneller diese realisiert werden sollen, um so teurer wird die Ausführung. Schnelligkeit kostet aber nicht nur an sich, sie verleitet auch zu kostspieligen Fehlern, deren Beseitigung zu größeren Zeitverzögerungen führen kann als eine bedächtige Planung und Ausführung.

„No net hudele“ (Nur keine Hektik), lautet deshalb ein altes schwäbisches Motto. Die neue baden-württembergische Regierung ist zwar grün dominiert, die Preisgabe schwäbischer Prinzipien darf jedoch trotz grüner Ausstiegsradikalität zumindest dort nicht so ohne weiteres vorausgesetzt werden. Allerdings sitzt der Grünen-Führung die radikale Basis im Nacken, und die fordert ein noch schnelleres Ende. Das von der Bundesregierung angepeilte Datum 2022 wird von den Radikalgrünen als zu spät verurteilt, so daß Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin die Zustimmung seiner Partei zum Atomausstiegsgesetz schon als „unwahrscheinlich“ bezeichnet.

Je hastiger der Ausstieg vollzogen wird, um so größer und schwerwiegender sind die Versorgungslücken, die bis zum Aufbau der Ersatzkraftwerke, vielleicht sogar für immer entstehen. Da werden sich die Stromlieferanten aus den benachbarten Ländern das einträgliche Geschäft mit den künftig unterversorgten und deshalb besonders zahlungsbereiten Deutschen nicht entgehen lassen.

Pikanterweise sind die Regierungen der meisten Nachbarländer (Ausnahmen: Dänemark und Österreich) keine Kernkraftgegner und verfügen über teilweise enorme Atomstromkapazitäten. Europaweit sind sogar 14 neue AKWs im Bau und Dutzende in der Planung. Frankreichs staatliche Kraftwerksbetreiber, die den nationalen Strombedarf zu 75 Prozent über Kernkraftwerke abdecken, bietet der deutsche Ausstieg somit willkommene Gewinnaussichten.

Die unverhohlene Freude des französischen Präsidenten über das Zusatzgeschäft (Nicolas Sarkozy: „Wir bieten uns gerne an, ihnen unseren Strom zu verkaufen, und wenn wir auf diese Weise einen Wettbewerbsvorteil haben, um so besser“) trifft auf lange Gesichter der deutschen Atomkraftgegner. Die Atomstromlieferungen durch die Hintertür gesetzlich zu verbieten, dürfte kaum durchsetzbar sein. Dann verwandelt sich der europäische Unmut über den deutschen Alleingang beim Atomausstieg in juristischen Zorn.

Schließlich wurde, was angesichts der anhaltenden Diskussion um die drohende Euro-Transferunion in Vergessenheit zu geraten droht, die EU ursprünglich vor allem als Wirtschaftsunion gegründet. Freier Austausch von Waren und Dienstleistungen europaweit schließt auch den Verkauf von Atomstrom über die Grenzen hinweg mit ein. Um so mehr nachdem der EU-Strommarkt nach der Binnenmarktrichtlinie aus dem Jahr 1998 ausdrücklich liberalisiert wurde. Die garantierte Freiheit des Verbrauchers bei der Wahl seines Stromlieferanten könnte dazu führen, daß künftig französische Atomstromerzeuger ihr Produkt den deutschen Haushalten direkt anbieten. Umgekehrt wird es juristisch fraglich, ob die deutsche Regierung den heimischen Stromkonzernen die Erzeugung von Atomstrom so ohne weiteres verbieten kann.

Mit entsprechenden Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) dürfte insbesondere dann zu rechnen sein, wenn die Bundesregierung auf die Erhebung der Brennelementesteuer beharrt, die aufgrund der zunächst zugesagten Laufzeitverlängerung eingeführt worden war. RWE klagt bereits, Eon wird sich wohl anschließen und die beiden Konzerne EnBW und Vattenfall dürften sich die Aussicht auf milliardenschwere Entschädigungszahlungen ebenfalls nicht entgehen lassen. Zumal die deutschen Kraftwerksbetreiber bislang auch vom Stromexport profitieren konnten. Seit 2003 verzeichnet Deutschland erhebliche Handelsüberschüsse. Im letzten Jahr standen 42.100 Gigawattstunden Importstrom 59.100 Gigawattstunden Exportstrom gegenüber.

Mit dem raschen Ausstieg aus dem Atomstrom wird sich diese Bilanz durch höhere Stromimporte umdrehen. Das lukrative Zusatzgeschäft mit den zahlungswilligen Deutschen, das nicht nur den Franzosen, sondern auch den Belgiern, Niederländern, Schweden, Finnen, Polen oder Tschechen winkt, hat aber auch seine Schattenseite. Durch den raschen Wegfall der deutschen AKWs steht den Europäern insgesamt weniger Stromvolumen zur Verfügung. Das führt nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen Ländern zu Preis-erhöhungen. Nur wer Atomstrom zur Verfügung hat oder neue AKWs baut, kann sich dem entziehen. Insbesondere für die ärmeren europäischen Staaten wird daher der Einstieg in die Atomkraftnutzung profitabler.

Foto: Französisches Atomkraftwerk in Dampierre: Vom deutschen Atomausstieg profitieren vor allem benachbarte Kernkraftländer wie Frankreich

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