© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

„Bei mir kommen Ehe und Familie zuerst“
Konservatismus: In der sächsischen CDU streiten Fraktionschef Steffen Flath und Generalsekretär Michael Kretschmer über den Kurs der Partei
Paul Leonhard

Die Junge Union in Sachsen ist mit dem Kurs der Bundespartei unzufrieden. „Die Union muß selbstbewußter werden und ihr eigenes Profil schärfen, anstatt zu versuchen, auf der Grünen-Erfolgswelle mitzuschwimmen“, sagte der JU-Landesvorsitzende Alexander Dierks in der vergangenen Woche. Statt dessen müsse die CDU „originär konservative Themen wie Familie, Patriotismus und eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik besetzen“, forderte Dierks. Der Kurs der „diffusen Mitte“ sei jedenfalls gescheitert.

Möglicherweise waren Dierks Worte auch an den eigenen Landesverband gerichtet, denn in der als konservativ geltenden sächsischen Union, die gerade ein neues Programm erarbeitet, ist ein Streit über den Stellenwert der Ehen ausgebrochen. Während Landtagsfraktionschef Steffen Flath für ein Festhalten am Bewährten eintritt, will der Görlitzer Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer neben der klassischen Ehe auch unverheiratete und gleichgeschlechtliche Paare sowie Alleinstehende steuerlich besserstellen. Die Union müsse endlich die Realitäten anerkennen und alle unterstützen, die füreinander stehen. Kretschmers Wort wiegt schwer. Der 36jährige ist als CDU-Generalsekretär der Leiter jener Zukunftskommission, die das Profil der Partei schärfen soll.

Der Erzgebirgler Flath verkörpert dagegen mit seinem breiten westsächsischen Dialekt den konservativen Teil der Partei, dem es die Christdemokraten zu verdanken haben, den Freistaat seit 1990 zu regieren. Vorsichtig ist man auf Distanz geblieben, als CDU-Chefin Angela Merkel begann, die Partei immer weiter nach links zu steuern. Das fiel insofern leicht, als die mitgliederschwache sächsische Union auf Bundesebene kaum eine Rolle spielt. Der jetzt aufkeimende Diskurs ist aber deswegen interessant, weil nicht nur zwei gegensätzliche Verständnisse von Familie aufeinanderstoßen, sondern auch zwei unterschiedliche Politikertypen. Der sensible bodenständige Flath, dem Beständigkeit und Verläßlichkeit wichtig sind und den erst die friedliche Revolution zum Berufspolitiker werden ließ, auf der einen Seite. Und als Gegenpol der farblose Parteisoldat Kretschmer, der seine Karriere in der JU begann, mit 27 Jahren in den Bundestag einzog und es seit sechs Jahren als Generalsekretär versteht, die Christdemokraten bei der Stange zu halten.

Kretschmer vertrete eine Position, wie sie in Berliner CDU-Kreisen vorherrsche, sagte Flath in einem Interview mit den Dresdner Neuesten Nachrichten. Ihm selbst sei dagegen unklar, auf welche Werte das Familienbild der Bundes-CDU setze: „Bei mir kommen Ehe und Familie zuerst.“ Sachsen sei gut beraten, bei Bewährtem zu bleiben. Der Fraktionschef wendet sich auch gegen die um sich greifende Mode, nach Rechten zu verlangen, aber die dazugehörenden Pflichten nicht zu akzeptieren.

Dabei kann Flath Kretschmers Vorstellungen sogar soweit folgen, als daß das französische Modell des Familien-Splittings zu einer Privilegierung von Mehrkind-Familien führt. Das wäre eine moderne Antwort auf die demographische Katastrophe. Aber der geplanten Veränderung des Ehegatten-Splittings verwehrt sich Flath: Schließlich stehe in der Verfassung, daß die Ehe zu privilegieren sei, und zwar nicht, weil den Leuten vorgeschrieben werden soll, wie sie zu leben haben, sondern weil für das Kindeswohl die Ehe den sichersten Rahmen darstellt. Wohin die aktuelle Diskussion in der Sachsen-Union steuert, ist noch offen. Der einst versprochenen offenen Debatte mit breiten Bevölkerungsschichten verweigern sich die Christdemokraten allerdings. Gelernt hat die Sachsen-Union aus dem Ausländerproblem westdeutscher Großstädte. Eine wichtige Erfahrung sei, daß „ungesteuerte Einwanderung und fehlende Integrationsbereitschaft zu Problemen führen und unnötig Kräfte binden“, heißt es in einem Thesenpapier: Integrationspolitik müsse daher kulturelle Schnittmengen einfordern und Gemeinsamkeiten gezielt fördern. Man wolle sich für eine gesteuerte Zuwanderung einsetzen, aber zuallererst Sachsen ohne Arbeit durch bessere Qualifikationen neue Perspektiven erhalten. Im Herbst will die sächsische Union ihr Zukunftsprogramm auf einem Parteitag beschließen.

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