© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/11 17. Juni 2011

Die Koalition der Unwilligen
Schwarz-Gelb: In der Bundesregierung belauern sich Union und FDP zunehmend. Das Mißtrauen zwischen den Partnern wächst.
Paul Rosen

Ab jetzt werde geliefert, hatte der neue FDP-Vorsitzende Philipp Rösler nach seiner Wahl auf dem Rostocker Bundesparteitag Mitte Mai versprochen. Einige Wochen später ist nichts angekommen. Vielmehr sieht sich die FDP ihrem Koalitionspartner Union fast wehrlos ausgeliefert. Angela Merkel und die Kabinettsmitglieder  der Union treiben Spielchen mit dem jungen Rösler, liebäugeln immer offener mit Schwarz-Grün oder mit der Großen Koalition. „Alles geht schief“, befand die Süddeutsche Zeitung zur Lage der FDP. Allerdings sieht es bei der Union auch nicht viel besser aus.

Die bürgerliche Koalition, die 2009 angetreten war, um Deutschland mehr Sicherheit, Wachstum und Bildung zu bringen, ist aus ihren Startschwierigkeiten nie herausgekommen. Die FDP wechselte inzwischen ihre Parteiführung aus und verpatzte den zweiten Start genauso. Die CDU zieht von Wahlniederlage zu Wahlniederlage, ihre Parteiorganisation verfällt zusehends, und ihrem Generalsekretär Hermann Gröhe fällt nicht mehr ein, als dazu aufzurufen, Künstler in die Partei zu holen. Zynisch antwortete der Junge Union-Vorsitzende Philipp Mißfelder: „Vielleicht sollten wir es mit einem Clown versuchen.“ Aber auch der Unions-Nachwuchs hat keine Rezepte gegen den Niedergang, sondern schrumpft selbst mit. Was die Höflinge und Schranzen der Regierung Merkel können, ist das Streuen von Gerüchten, falschen Botschaften und Verdächtigungen.

Als Rösler bei Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Kennenlern-Essen war, durfte der Liberale kurz danach in der Zeitung lesen, er habe dem Vorrang der Konsolidierung des Etats zugestimmt und Steuersenkungen hintenan gestellt. Das war gleichbedeutend mit der Aufgabe der Kernbotschaft der FDP. Auch bei den Gesprächen zum Atomausstieg wurde Rösler vorgeführt. Er wollte einen Experten seines Wirtschaftsministeriums vortragen lassen, was von Merkel verhindert wurde. Am nächsten Tag stand es in allen Zeitungen. Umgekehrt ging die FDP auf Distanz zum Atomausstieg und erklärte zu den drohenden Klagen der Energiekonzerne wegen nicht mehr zu nutzender Strom-Restmengen, das habe man gleich gesagt, aber die CDU habe nicht zuhören wollen. Das Schlechtreden des Ausstiegsbeschlusses kam in der breiten Öffentlichkeit, die sich für komplizierte Details wie Strom-Restmengen nicht interessiert, nicht an. Das sei eine „Koalition der Mißtrauischen“, konstatierte nüchtern das Handelsblatt, und die FAZ befand zu Röslers Lage in der Regierung: „Wer solche Freunde hat, hat keine Freude mehr.“

Verbissen kämpft allein an einem weitgehend unbeachteten Frontabschnitt die altliberale Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegen CDU-Innenpolitiker und den neuen Innenminister Hans-Peter Friedrich  (CSU) um die Vorratsdatenspeicherung.

Der Datenschutz erscheint in einer Zeit, in der sich große Teile der Bevölkerung auf „Facebook“ regelrecht prostituieren und wo man seinen Standort mit modernen Mobiltelefonen jederzeit von seinen Freunden (und wer weiß von wem sonst noch) orten lassen kann, wie ein Relikt aus den siebziger Jahren. Die Liberalen hätten, wenn sie ihren selbstformulierten Anspruch als Rechtsstaatspartei ernst genommen hätten, das Aufheben von Gesetzen (Wehrdienst, Internetlöschungen) ohne Beschluß des Bundestages verhindern müssen. Sie hätten auch das immer autoritärere Verhalten von Merkel und Schäuble in der Euro-Stabilisierung unterbinden und notfalls die Regierung verlassen müssen.

Doch die FDP-Lemminge haben immer noch nicht begriffen, daß sich Merkel und die CDU-Führung längst von den Klippen der Küste ins grün-rote Hinterland zurückzuziehen beginnen. Da dürfte auch der für den Sommer angesetzte „Friedensgipfel“ von Union und FDP wenig helfen. Rösler redete die Lage schön: „Selbstverständlich muß man jetzt sehen, was man in den einzelnen Feldern gemeinsam noch für offene Fragen hat, die muß man ausdiskutieren, und dann muß man zu Entscheidungen kommen.“

Die FAZ stellte resignierend fest, manchmal habe man den Verdacht, „die FDP wolle gar nicht mehr um ihr politisches Überleben kämpfen“. Kein Wunder, daß Merkel auf Bräutigamschau ist. Den Blickkontakt der Kanzlerin erwidert Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs neuer grüner Ministerpräsident. Er habe „großen Respekt“ vor Merkel, deren Anti-Atomkurs „innerparteilich ein hohes Risiko“ darstelle.

Die Kanzlerin dürfte sich über die Avancen freuen, hat jedoch ganz ohne die für ein Bündnis mit den Grünen notwendigen Neuwahlen einen anderen Trumpf in der Hand: Auch die SPD wartet auf ein Mitregierangebot, da Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel inzwischen gemerkt haben, daß SPD-Urgestein Franz Müntefering recht hatte, als er feststellte, Opposition sei „Mist“.

Foto: Kanzlerin Merkel (CDU), Vize Rösler (FDP) während der Debatte um den Atomausstieg: „Wer solche Freunde hat, hat keine Freude mehr“

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