© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Am Fundament gerüttelt
Ernst Noltes These des „Kausalen Nexus“ war der Hauptprovokationspunkt im Historikerstreit 1986
Thorsten Hinz

Der von Ernst Nolte eingeführte Begriff „kausaler Nexus“ wurde zum zentralen Bezugs- und Angriffspunkt im Historikerstreit. Er bedeutet soviel wie „ursächliche Verknüpfung“ und besagt im Grunde nur, daß der Holocaust kein der Geschichte enthobenes Ereignis, kein Werk eines „absoluten Bösen“ war, sondern aus einem identifizierbaren historischen Kontext hervorging. „(Es) handelte sich vor allem um die aus Angst geborene Reaktion auf die Vernichtungsvorgänge der Russischen Revolution.“ Im Aufsatz „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ heißt es weiter: „Aber so wenig wie ein Mord, und gar ein Massenmord, durch einen anderen Mord ‘gerechtfertigt’ werden kann, so gründlich führt doch eine Einstellung in die Irre, die nur auf den einen Mord und den einen Massenmord (Herv. im Orig.) hinblickt und den anderen nicht zur Kenntnis nehmen will, obwohl ein kausaler Nexus wahrscheinlich ist.“

Von Anfang an hatte Nolte klargestellt, daß die Prämissen Hitlers weitgehend irrational waren und auf Projektionen beruhten. Absurd war es, „den Juden“ einen Vernichtungswillen gegen das deutsche Bürgertum oder gar das deutsche Volk zu unterstellen. Gleichwohl gab es einen „rationalen Kern“ für seine Befürchtungen. Die millionenfachen Morde, die im Zuge der Oktoberrevolution stattfanden, waren genauso real und in Europa bekannt wie die russisch-bolschewistische Bedrohung des Westens.

Im Bolschewismus drückte sich zugleich jenes Streben des Menschen nach Selbstüberschreitung aus, das Nolte als „praktische Transzendenz“ definierte und sich im gesellschaftlichen Fortschritt manifestierte. Zu dessen entschiedensten Vertretern gehörten zweifellos Juden. Sie waren überproportional im Führungspersonal der russischen Revolution vertreten, und zahlreiche Intellektuelle feierten den Kommunismus als den säkularen Arm des jüdischen Messianismus.

Letztlich ging es Nolte um die Historisierung, die „Verstehbarkeit“ und Entmystifizierung des Nationalsozialismus mit den Mitteln der Wissenschaft. Seine Gegner hatten dem wenig entgegenzusetzen und argumentierten daher politisch, moralisch und psychologisch. Habermas: „Wer uns (...) die Schamröte  über dieses Faktum (Auschwitz – Th. H.) austreiben will, wer die Deutschen zu einer konventionellen Form ihrer nationalen Identität zurückrufen will, zerstört die einzig verläßliche Basis unserer Bindung an den Westen.“ Die als Behelfsstaat gegründete Bundesrepublik sollte sich demnach als Staat eines neuen, postnationalen Typs mit Auschwitz als Identitätskern konstituieren.

Zog man davon die Polemik und den holocaustzentrierten Dezisionismus ab, war Habermas gar nicht weit entfernt von dem, was Ernst Nolte 1974 in „Deutschland und der Kalte Krieg“ gefordert hatte: Als ihre „zweite und subtilere Staatsgründung“ benötige die Bundesrepublik „die Anerkennung durch sich selbst“ unter Verzicht auf das Wiedervereinigungsgebot. Denn die historische Situation, die zur Teilung Deutschlands geführt hatte, sei „weitaus universaler und monumentaler“ gewesen als die Situation 1870. Dieser Imperativ schloß allerdings den Schmerz über das geschichtliche Scheitern des deutschen Einheitsstaates ein.

Hier nun liegt der entscheidende Unterschied zu Habermas, Wehler & Co.: Den Schmerz auszuhalten oder auch nur zu empfinden, waren diese Nachkriegsintellektuellen außerstande. Zu Hedonisten der Weltgeschichte geworden, bestanden sie darauf, daß eine Situation, die machtpolitisch für ewig zementiert zu sein schien, auch als moralisch wünschbar zu gelten hatte. Dazu war es nötig, an der Projektion eines voraussetzungs- und kontextlosen Bösen festzuhalten, dessen Handlungsgründe sich im Genuß der eigenen Diabolik erschöpfen. Da Deutschland diesem Bösen zwischen 1933 und 1945 seine Gestalt verliehen hatte, war seine Teilung vernünftig und gut.

Den Leugnern des „kausalen Nexus“ war ihr „Verblendungszusammenhang“ – wie Adorno die intellektuelle Regression und den Umschlag der Aufklärung in die Mythologie bezeichnet hatte – so sehr zur zweiten Natur geworden, daß sie nicht mehr von ihm lassen konnten.In dem 1987 veröffentlichten Buch „Der europäische Bürgerkrieg“ hat Nolte seine These präzisiert. Als weitere Kontextereignisse nennt er auch die Deportation der Rußlanddeutschen nach Sibirien – in Wahrheit ein kalter Massenmord –, die Mitte der 1930er Jahre begonnen hatte und die Stalin im August 1941 acht Wochen nach dem deutschen Angriff mit verstärkter Intensität aufnehmen ließ.

Auch Churchills Aussage vom April 1941 findet ihren gebührenden Platz: „Es gibt weniger als 70 Millionen bösartiger Hunnen – einige davon sind zu heilen, die anderen umzubringen.“ Tatsächlich hätten die Amerikaner und Briten bis 1944 den Krieg fast ausschließlich „als Vernichtungskrieg“ geführt, „durch Luftangriffe gegen die deutsche Bevölkerung“, die dabei „schreckliche, in früheren Zeiten unvorstellbare Todesängste und Qualen“ erlitt. Insofern mußte es verwundern, daß Nolte im „Europäischen Bürgerkrieg“ den Holocaust als „ganz und gar ideologisch bedingte Tat“ herleitete, obwohl selbst Himmler noch 1940 sowjetische Massentötungen als „ungermanisch“ bezeichnet und damit die Billigung Hitlers gefunden hatte. Tatsächlich akzentuiert Nolte in späteren Werken die ideologiegeschichtliche Begründung des kausalen Nexus immer stärker realgeschichtlich.

Die Deportation der Rußlanddeutschen wird in den „Streitpunkten“ (1993) um die von „ohnmächtiger Wut“ gekennzeichnete Reaktion in Berlin ergänzt. Sie entlud sich in der Presseanweisung, daß die Juden „das Verbrechen an den Wolgadeutschen vielfach zu begleichen haben“. Offenbar führte der Kriegsverlauf dazu, daß die irreale Vernichtungsfurcht über den „rationalen Kern“ hinausgehend einen realen Hintergrund erhielt, was zur Eskalation der Judenverfolgung führte. In dem 2002 erschienenen Sammelband „Der kausale Nexus“ schließlich stellt Nolte auch zu den von jüdischen Organisationen initiierten Boykottmaßnahmen und Anti-Hitler-Demonstrationen im Ausland fest, sie hätten den deutschen Juden eher geschadet als genutzt.

Die Denkfigur des „kausalen Nexus“ bleibt ein potentieller Hebel, um Klischees über die deutsche und die europäische Geschichte im 20. Jahrhundert zu korrigieren – es wird künftigen Historikergenerationen vorbehalten bleiben, daran zu rühren.

Foto: Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau: „Die aus Angst geborene Reaktion auf die Vernichtungsvorgänge der Russischen Revolution“

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