© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Hochzeit auf dem Friedhof
Anton Dvoráks Ballade „Die Geisterbraut“
Werner Veith

Es fängt ganz harmlos an: Ein Mädchen sehnt sich nach ihrem Geliebten. Der ist seit Jahren verschollen, in der weiten Welt unauffindbar. Das Mädchen bittet die Jungfrau Maria um Hilfe. Nach Mitternacht ist ihr Freund da und fordert sie auf, ihm ins Brautgemach zu folgen. Eine lange Reise beginnt. Die Musik verspricht Harmonie und inniges Glück durch Feld und Flur – wie soll es bei einem Komponisten der tschechischen Romantik auch anders sein, bei Anton Dvorák (1841–1904).

Auch in der Nürnberger Meistersingerhalle ist „Die Geisterbraut“ positiv angelegt. Der Bräutigam im feschen Frack, das Mädchen im langen, weißen Hochzeitskleid. Beide Stimmen (Astrid Kessler und Thomas
Ruud) verströmen eine warme Atmosphäre, brillieren in den Dialogen mit dem Philharmonischen Chor, zerfließen in den Chorstimmen und erringen nach wenigen Augenblicken wieder ihr Eigenleben. Den fließend-beseelten Grundton erzeugt die Pilsner Philharmonie, Flöten und Klarinetten verwöhnen mit einer heimelig-wehmütigen Stimmung.

Doch ist der fließend-beseelte Grundton angemessen? Schon der damalige Starkritiker Eduard Hanslick warnte vor dem Balladentext: „Wie man einen so gräßlichen, jedes feinere Gefühl empörenden Stoff zu musikalischer Darstellung sich wählen konnte, ist mir nicht recht begreiflich.“ Der Gesangstext erzählt von einer aufreibenden Reise zum Hochzeitsgemach. Der Bräutigam wirft das Gebetbuch des Mädchens weg, dann ihren Rosenkranz und schließlich ihr kleines Christuskreuz. Schlimmer: Das Hochzeitsgemach entpuppt sich als Totenhaus auf einem Friedhof. Ihr Bräutigam ist ein Toter, der sich immer wieder aufbäumt (gut erzählt von dem Dresdner Baß Andreas Scheibner). Da helfen nur Gebete, um den Gespenstern zu entfliehen (sehr lyrisch mit Harfe).

War das ein weichgespülter Dvorák à la Gerhard Rilling? Lag es am Dirigenten?

Einerseits: Dramatische Steigerungen waren in der Ballade sehr wohl zu vernehmen, eine schauderhafte Stimmung kam jedoch nicht auf. Andererseits: Viele Meister der Romantik komponierten so manches Zuckerhäubchen. Fordert nicht bei Felix Mendelssohn der Prophet Elias „Schlachtet die Baalpriester“? Wenn man nicht gerade den Gesangstext vor Augen hat, würde man vom Mordaufruf nichts bemerken.

Am 9. Juli gibt es „Die Geisterbraut“ in der  Münchener Residenz mit dem Motettenchor und der Pilsner Philharmonie. Kartentelefon: 089/ 55 96 86 13

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