© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

„Die Freiheit ist nicht aufzuhalten“
Die „Feuernacht“ war der erste Höhepunkt im Kampf um Südtirol, dem bewa­ neten Aufstand der deutschen Tiroler gegen Rom
Moritz Schwarz

Herr Kienesberger, warum ist die „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 1961 ein so wichtiges Datum für die Südtiroler Freiheitsbewegung?

Kienesberger: Weil in dieser Nacht das Schiff einer unseligen römischen Politik auf das unüberwindbare Felsriff des Widerstandes aufgelaufen ist.

Die „Feuernacht“ markiert den Beginn der „größten gewaltsamen internationalen Auseinandersetzung in Westeuropa nach  1945“, wie heute das österreichische Nachrichtenmagazin „Profil“ schreibt.

Kienesberger: Ja, und das Scheitern der römischen Politik der Entrechtung, Unterwanderung und sozialen Diskriminierung der Südtiroler. Geblieben ist dagegen die Herstellung bürgerlicher Rechte mitteleuropäischen Standards für die deutsche und ladinische Volksgruppe und eine Autonomie – die freilich immer noch in Abhängigkeit zum Zentralstaat steht. Aber immerhin ist es heute in Südtirol möglich, mit den Mitteln demokratischer Politik das „Los von Rom!“ anzustreben, ohne dafür ins Gefängnis zu gehen. Mittlerweile können sich gar Südtiroler Wirtschaftskreise für die Selbstbestimmung erwärmen.

Also war Ihr Kampf doch ein Sieg?

Kienesberger: Sie müssen wissen, daß im Frühjahr 1961 ein Ausbürgerungsgesetz eingebracht worden war, welches erlaubt hätte, mit dem Vorwurf der Illoyalität gegenüber Rom nahezu jeden erwachsenen Südtiroler durch einen reinen Verwaltungsakt staatenlos zu machen und aus dem Lande zu weisen. Österreichs Außenminister Bruno Kreisky wies Rom damals darauf hin, daß dieses Willkürgesetz eine gefährliche Lage schaffen würde. Doch Rom zeigte sich unzugänglich, die Verhandlungen scheiterten. Das war die Lage, in welcher der „Befreiungsausschuß Südtirol“ (BAS) sich gezwungen sah, statt warnender Nadelstiche einzelner Anschläge zum großen Schlag der „Feuernacht“ auszuholen. Die Situation duldete keinen Aufschub mehr.

Ziel war es, die Weltöffentlichkeit auf die Situation aufmerksam zu machen.

Kienesberger: Wenn das Gesetz bestätigt worden wäre, wäre ein formalrechtlich gedecktes Terrorregime über Südtirol hereingebrochen. Jegliche Bürgerfreiheit wäre beseitigt gewesen. Wie Kreisky und der Südtiroler Landeshauptmann Silvius Magnago in einer internen Besprechung betonten, hätte kein Mensch in Südtirol es mehr gewagt, als Funktionär oder als Politiker tätig zu werden. Zehntausende wären entweder des Landes verwiesen worden oder hätten unter der ständigen Drohung der Ausbürgerung leben müssen. Wahrscheinlich hätte es zwanzig Jahre gedauert, bis sich unter dem Druck der europäischen Öffentlichkeit vielleicht etwas geändert hätte. Südtirol wäre in dieser Zeit ein anderes, ein geducktes, ein italienisiertes Land geworden, so wie es von Rom beabsichtigt war. Doch das Gesetz kam nie zur Bestätigung und landete still und leise auf der Müllhalde der Geschichte. Das allein ist schon Rechtfertigung für den Freiheitskampf und Begründung dafür, warum nicht länger gewartet und auf mildere Mittel gehofft werden konnte.

Der BAS hatte allerdings angenommen, die „Feuernacht“ würde einen Volksaufstand auslösen – der blieb aber aus. Warum?

Kienesberger: Nein, an einen Volksaufstand als Massenbewegung hat niemand gedacht, dazu fehlen in Südtirol die Ballungsgebiete, in denen so etwas organisierbar wäre. Übrigens waren auch die damaligen Aufstände in den Kolonien keine Massenbewegungen, obwohl von der Mehrzahl der Bevölkerung getragen. Es waren Kämpfe strukturierter Untergrundgruppen, wie etwa der erfolgreiche Kampf der griechischen EOKA auf Zypern gegen die Engländer. Diesen hatten wir uns zum Vorbild genommen.

Laut Mao muß der Revolutionär sich im Volk bewegen „wie ein Fisch im Wasser“. Wie beliebt war der BAS in Südtirol wirklich?

Kienesberger: Als ich mit Georg Klotz und Luis Amplatz bei unseren Einsätzen auf Bergbauernhöfen einkehrte, das war etwa in den Jahren 1961 und 1962, pflegten die Frauen unsere wunden Füße. Sie versorgten uns, und die Männer hielten während unseres Schlafes Wache, um uns vor Überraschungen zu schützen. Am nächsten Tag begleiteten uns die jungen Burschen noch Stunden lang und trugen unsere sehr schweren Rucksäcke und Gewehre, damit wir unsere Kräfte schonen konnten. Diese Leute waren weder Mitglieder des BAS, noch hatten sie einen von uns vorher gekannt. Und diese Hilfe aus der Bevölkerung war nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Sie sind 1961 zu den „Bumsern“ gestoßen, wie die Kämpfer des BAS genannt wurden.

Kienesberger: Ich wollte mithelfen und habe über Freunde in Innsbruck die Verbindung zu Freiheitskämpfern wie Luis Amplatz und Georg Klotz gefunden. Der Ausdruck „Bumser“ ist übrigens verniedlichend und wurde vor allem von jenen Journalisten gebraucht, die anständigerweise bereit waren, in uns keine Terroristen zu sehen, aber doch nicht mutig genug waren, den Ausdruck Freiheitskämpfer zu gebrauchen. Aus den gleichen Motiven wurde der Ausdruck von der Bevölkerung übernommen, neben „Südtirol-Aktivisten“ und „Dynamitardi“.Tatsächlich aber haben wir  gewußt, daß es sich um Kampf handelt und daß wir unser Leben riskieren oder Gefangennahme und Folter. In der Tat war ich dann auch in Situationen, in denen auf mich geschossen wurde.

Allerdings kamen auch auf der italienischen Seite Menschen ums Leben.

Kienesberger: Angesichts der Folterungen in den Carabinierikasernen hatten sich die Freiheitskämpfer zunehmend bewaffnet, um zu überleben. Wenn dann die Dinge eskalieren, hat man nicht immer alles unter Kontrolle. Der bekannte Südtiroler Historiker Hans Karl Peterlini hat unlängst dazu gesagt: „Wir können nicht so tun, als wären wir zu dieser Autonomie nur mit Samthandschuhen gekommen.“ Natürlich war das eine Tragik, und es haben auch in Italien Mütter um ihre Söhne geweint, die als Wehrpflichtige in eine für sie unbegreifliche Situation geschickt wurden. Soweit es meine Einsätze betrifft, hat uns Georg Klotz als erfahrener Stoßtrupp-Führer aus dem Krieg aus allen Gefahren sicher herausgebracht. Auf seine Anweisung hin haben wir nur über die Köpfe der italienischen Soldaten hinweggeschossen. Das reichte, um sie in Deckung zu schicken und an unserer Verfolgung zu hindern. Hätte Klotz töten wollen, hätte er es als ausgezeichneter Schütze viele Male tun können, und auch wir hätten Gelegenheit dazu gehabt. Wir wollten es nicht. 

Damals kamen auch in der Bundesrepublik „Volksbefreiungsbewegungen“ schwer in Mode – nur nicht die der Südtiroler.

Kienesberger: Weil für die politische Linke der Bundesrepublik und Österreichs und für viele von ihr beeinflußte Medien nur ausländische Freiheitsbewegungen als gerechtfertigt galten. Da herrschte wohl eine Art deutscher Selbsthaß, und aus dieser gestörten Sicht der Umwelt wurde der Freiheitskampf der Südtiroler im besten Falle milde belächelt, häufiger jedoch verteufelt.

In den Reihen der CDU/CSU etwa gab es allerdings Unterstützung für Südtirol.

Kienesberger: Auf die CDU/CSU kann man das nicht reduzieren. In der CSU  gab es natürlich schon wegen der geographischen Nähe wesentlich mehr Freunde und Helfer. Nicht vergessen dürfen wir aber die Frauen und Männer der damals noch nationalliberalen FDP. Allen voran Bundeslandwirtschaftsminister Josef Ertl und Bundesjustizminister Ewald Bucher. Beide bekamen von den Italienern Einreiseverbote. Ihnen allen muß man heute noch aufrichtig danken!

Und heute?

Kienesberger: Frau Merkel verbringt seit vielen, vielen Jahren ihren Urlaub regelmäßig in Südtirol. Da sie dort nicht nur mit angepaßten Politikern spricht, sondern sicher auch mit dem Volk, kann ihr die Grundströmung, vor allem unter den jungen Südtirolern, nicht verborgen geblieben sein. Natürlich wäre es schön, wenn das auch Einfluß auf ihre Politik hätte. Ich möchte als österreichischer Staatsbürger aber sonst keine Bewertung abgeben. In menschenrechtlichen Fragen haben sich die bundesdeutschen Behörden, Gerichte und Politiker mir gegenüber korrekt und anständig verhalten und zum Beispiel die von Italien verlangte Auslieferung abgelehnt.

Ist denn der Südtiroler Freiheitskampf auch ein deutscher Freiheitskampf?

Kienesberger: Ja, insofern er um die Grundrechte eines Landes geführt wurde, welches seit den Zeiten des Minnesangs zu den herausragenden Kernländern deutscher Kultur gehört. Diese Verbundenheit kann man spüren, verordnet bekommen kann man sie nicht.

Ist dann Berlin nicht moralisch verpflichtet, sich stärker für Südtirol zu engagieren?

Kienesberger: Diese Verpflichtung hat stets bestanden, aber man muß bedenken, daß Rom seine spätfaschistische Kolonialpolitik in Südtirol mit der Methode „Haltet den Dieb!“ verteidigte: Also wurden die Freiheitskämpfer von den italienischen Politikern und den nicht minder nationalistischen Medien als „Nazisti“ und „Pangermanisti“ bezeichnet. Der Reflex in Bonn war heftige Distanzierung von den Freiheitskämpfern – nicht etwa von der römischen Kolonialpolitik. Die bundesdeutschen Medien waren nicht besser und die Bürger weitgehend uninformiert. Um so erfreulicher, daß sich dennoch in Deutschland viele treue Freunde und Helfer fanden, die im „Kulturwerk für Südtirol“ und in anderen Organisationen unseren Volkstumskampf kraftvoll unterstützten.

„Was kann der Bundesdeutsche heute tun, um Südtirol demokratisch zu unterstützen?

Kienesberger: Heute geht es um einen politischen Prozeß, der allein mit friedlichen Mitteln vorangetrieben wird. Gott sei Dank! Jeder Bundesdeutsche kann für die Menschenrechte einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung eintreten und kann demokratische Vereinigungen unterstützen, die dafür kämpfen.

Wie stark war die Orientierung des BAS hin zum Anschluß an einen gesamtdeutschen Nationalstaat?

Kienesberger: Es ging nur um die Bewahrung der deutschen und auch ladinischen Identität Tirols. Man strebte darüber hinaus auf dem Wege der Selbstbestimmung die Landeseinheit und möglichst die Rückkehr zu Österreich an. Der Anschluß an einen gesamtdeutschen Staat stand dagegen nie im politischen Programm des BAS.

Warum nicht?

Kienesberger: Das Gespenst eines ganz Europa bedrohenden „Pangermanismus“ wurde von Rom an die Wand gemalt: Auf die Wiedervereinigung Tirols würde der Anschluß Österreichs an Deutschland folgen, dann wäre die Zeit reif für einen zweiten Hitler, deutsche Eroberungspolitik und den nächsten Krieg. Dieser Schwachsinn wurde vor allem in Italien geglaubt und sollte die Politik Roms legitimieren. Es war skurril, daß Politiker und Journalisten mit faschistischer Vergangenheit und aktueller faschistischer Gesinnung die Frechheit besaßen, uns das Nazi-Etikett aufzukleben.

Sie betreiben in Nürnberg den Verlag und „Buchdienst Südtirol“. Inwiefern setzen Sie damit Ihren Kampf für Südtirol fort?

Kienesberger: Indem wir Wissen weitergeben und damit Bewußtsein und das Gefühl für Verantwortung stärken. Mit der Herausgabe der Zeitschrift Der Tiroler schreiben wir nicht nur Tiroler Geschichte. Wir haben in Nord- und Südtirol Zehntausende Unterstützer und treue Leser, aber auch im übrigen Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine stetig zunehmende Zahl von Beziehern. Diese ermöglichen finanziell die Herausgabe der Zeitschrift. Unsere Leser geben ihre Informationen weiter, im Bekanntenkreis, Parteien und Verbänden. Damit wird auch zwangsläufig Einfluß auf die aktuelle Politik in Gesamttirol genommen.

Bis heute ist die Südtirol-Frage offen. 

Kienesberger: Die Selbstbestimmungsidee, für eine Freistaatslösung zum Beispiel, ist in Südtirol auf dem politischen Vormarsch. Aufzuhalten wird sie letztlich nicht sein.

Wann wird es zur entscheidenden Volksabstimmung kommen? 

Kienesberger: Auf einen Termin lasse ich mich nicht ein. Das kann wohl niemand. Rom aber wird sich hüten, selbst eine Abstimmung herbeizuführen, denn in Südtirol würde meines Erachtens eine Entwicklung wie bei der Saarabstimmung 1955 eintreten. Wenn das „Los von Rom!“ greifbar ist und es nur noch von den Betroffenen selbst abhängt, ob man vorwärts zur Freiheit oder zurück in die Abhängigkeit geht, werden viele Bedenken beiseite gewischt und der Schritt wird gewagt werden.

Auch wenn Sie nicht nach Südtirol einreisen können, unterhalten Sie doch intensive Beziehungen ins Land. Welches Ansehen genießen die Kämpfer von damals bei den Südtirolern von heute?

Kienesberger: Mich hat es sehr berührt, daß die Abordnung der ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfer bei dem Landesfestzug in Innsbruck im Jahre 2009 von Tausenden Menschen laut bejubelt wurde. Sehr viele Jugendliche, weit über den Kreis der Schützenkompanien hinaus, bewundern heute den Opfermut ehemaliger schwer gefolterter oder sogar um ihr Leben gebrachter Freiheitskämpfer. Auch Andreas Hofer war nach der Niederschlagung des Aufstandes von 1809 zunächst als der Böse verteufelt worden, der seine Landsleute ins Unglück geführt habe. Dann kam langsam aber sicher eine sachliche und gerechte Beurteilung. Die Grundzüge seines Charakters haben heute unbestritten Vorbildwirkung. So trägt sein tragisches Geschick zur Identität seines Volkes bei und gibt den künftigen Generationen ein Beispiel. Nicht anders verhält es sich mit Sepp Kerschbaumer und anderen bereits von uns gegangenen Mitstreitern, an die wir mit Dankbarkeit denken.

 

Peter Kienesberger, wurde 1971 in Abwesenheit von einem italienischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Vorgeworfen wurde ihm die Beteiligung an einem Bombenanschlag, bei dem 1967 vier italienische Sicherheitskräfte getötet wurden. Während des Prozesses saß Kienesberger in Österreich wegen desselben Vorwurfs in Haft, von dem er dort jedoch freigesprochen wurde. Kienesberger machte seinerseits Geheimdienstzirkel für die Tat verantwortlich, was angesichts inzwischen aufgedeckter Verbindungen italienischer Behörden zu Terrorkreisen nicht unmöglich ist. Unter anderem sein Schicksal schildert der 2009 erschienene Band: „Für die Heimat kein Opfer zu schwer. Folter, Tod, Erniedrigung. Südtirol 1961–1969“. Seit 1976 betreibt Kienesberger, Jahrgang 1942, in Nürnberg den „Buchdienst Südtirol“, der auch die Zeitschrift Der Tiroler herausgibt. 

 www.buchdienst.com   www.gesamttirol.de

Foto: In der „Feuernacht“ gesprengter Strommast bei Bozen:  „Wir waren gezwungen, zum großen Schlag auszuholen ... Vorbild war etwa der Kampf der EOKA auf Zypern gegen die Engländer.“

 

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