© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Die Geschichte mit den Ratten
Linke „Mandarine der Mythen“ im Historikerstreit: Der totale geschichtspolitische Sieg über Ernst Noltes „Viererbande“
Thomas Schmidt-Ehlers

Die Geschichte mit dem „Rattenkäfig“ – sie bleibt wohl jedem Leser von Ernst Noltes „Der europäische Bürgerkrieg“ (1987) im Gedächtnis. Eine Foltermethode aus der Frühzeit der bolschewistischen Tscheka: Eine vor Hunger panische Ratte frißt sich in den Körper des Delinquenten. Daß Adolf Hitler 1943, nach der Kapitulation von Stalingrad, fürchtete, die Generale seiner 6. Armee werde man derart quälen, nahm Nolte als Hinweis auf seine stärkste politische Emotion, die zurückgehe auf Schreckensmeldungen aus dem roten Reich des „Klassenmordes“, wie sie 1919 in München kursierten.

Die Kräfteverhältnisse im Diskurs waren eindeutig

Der Rattenkäfig als Inbegriff des „asiatisch“ konnotierten Terrors: hier liege „die tiefste Wurzel des extremsten von Hitlers Handlungsimpulsen“. Aus diesem manifesten Schock entfaltet Noltes genetische Variante der Totalitarismustheorie dann die im Historikerstreit am heftigsten befehdete These von der Ursprünglichkeit des bolschewistischen Klassenmordes, der dem NS-Rassenmord voraufgegangen sei, vom Kausalnexus zwischen Gulag und Auschwitz.

Nicht der zeithistorisch unbedarfte Jürgen Habermas, sondern Hans-Ulrich Wehler, der Treitschke des „linkssäkularisierten Fundamentalismus“, wie der gleichgepolte Gummersbacher Kindergartenfreund dem „pietistisch-sektiererischen Untergrund“ des Bergischen Landes entwachsen (Imanuel Geiss), hat sich in seinem Pamphlet „Entsorgung der deutschen Vergangenheit?“ (1988) hingebungsvoll der Widerlegung der vermeintlichen Mär vom Rattenkäfig gewidmet. Pech nur für den Großpolemiker, daß Perestroika und Glasnost schon zwei Jahre nachdem der Historikerstreit seinen Zenit überschritten hatte, „sogar den Einsatz von Ratten als Foltermittel“ bestätigten, wie Imanuel Geiss in seiner Rückschau auf den „Hysterikerstreit“ (Bonn 1992) maliziös anmerkt.

Wer sich heute einen zuverlässigen Überblick über Frontverläufe, Kampfmethoden und Resultate eines Federkrieges verschaffen möchte, der im Abendrot der Bonner Republik Hunderte von Texten zeitigte, ist mit Geiss‘ Sondierungen zur „Habermas-Kontroverse“ (1988) und zum „Hysterikerstreit“ bestens bedient. Geiss, einst Schildknappe Fritz Fischers im Deutungsgefecht um Deutschlands Anteil am Kriegsausbruch von 1914, SPD-Anhänger, Professor an der linken „Reformuniversität“ Bremen, engagierte sich seit 1986 für eine Versachlichung der Auseinandersetzung, sah sich aber umgehend vom Haudrauf Wehler als „Renegat“ dem Lager der „neokonservativen Viererbande“ (Ernst Nolte, Andreas Hillgruber, Klaus Hildebrand, Michael Stürmer) zugerechnet.

Tatsächlich ist Geiss, obwohl sich klar vor allem gegen Nolte positionierend, um Unparteilichkeit genauso bemüht wie um Einordnung der wilden Debatte in die „geistige Situation der Zeit“. Als Nolte seine „Art Schadensabwicklung“ (Habermas) im Juni 1986 in der FAZ publizierte (JF 22/11), lag die christdemokratische Regierungsübernahme vier Jahre zurück. Die von Helmut Kohl versprochene „geistig-moralische Wende“ war zwar ausgeblieben, aber im Anschluß an die Berliner Preußen-Ausstellung (1982), an Kohls „Versöhnungsfeiern“ in Verdun (1984) und Bitburg (1985), oder im Kontext der Planungen für ein Bonner Geschichtsmuseum wurde wieder über historisch ermittelbare „Sinnstiftung“ gestritten. In FAZ-Leitartikeln durfte sich der Kanzlerberater Stürmer um die gefährdete „Identität“ der „geschichtslosen“ Bundesrepublik sorgen. Kleine Zirkel lancierten gar die Parole: „Die deutsche Einheit kommt bestimmt“ (Wolfgang Venohr).

Für die Hüter unumschränkter linker Diskurshegemonie genug Zeichen an der Wand, um eine „konservative Gegenoffensive“ zu wittern. Habermas nahm daher den Nolte-Aufsatz zum Anlaß, um verschwörungstheoretisch „Wende“-Rhetorik, Museumsplanung, Identitätsstiftung und die sich angeblich bei Andreas Hillgruber offenbarende „NS-Apologie“ samt Noltes die „Singularität von Auschwitz relativierenden Revisionismus“ zum großen Brei zu verkochen. Wehler, die Brüder Hans und Wolfgang J. Mommsen, Jürgen Kocka, Heinrich August Winkler und Eberhard Jäckel gaben von etablierter zeithistorischer Seite prompt Feuerschutz. Bis zur Jahreswende 1986/87 schloß sich ihnen das Gros der „Flakhelfer“-Generation unter ihren Kollegen an.

Kaum überschaubar war der Zustrom Hilfswilliger, die in Zeit und Frankfurter Rundschau sekundierten, die aus dem DKP-Netzwerk herbeieilten, in dessen Postillen sich auch das SED-Gelichter einmischte und gegen die „apologetische Revision des Faschismusbildes durch rechtskonservative Historiker in der BRD“ agitierte. Die erdrückende Übermacht des Habermas-Heeres komplettierten israelische Historiker und schließlich Kohorten von Linksintellektuellen vom Schlage Micha Brumliks oder Dan Diners, für die mit „Auschwitz als Niemandsland des Verstehens“ die Domäne ihres lukrativen Exegetentums zur Disposition stand.

Wem bei solchen Kräfteverhältnissen der totale geschichtspolitische Sieg zufallen mußte, war nie die Frage. Zumal die Gegenfront, der mit FAZ-Mitherausgeber Joachim Fest nur ein mächtiger Verbündeter beisprang, kaum harmonierte und bald zerfiel. Die Kohl-CDU übernahm im Windschatten der millionenfach gestreuten „historischen Rede“ Richard von Weizsäckers zum 8. Mai 1985 noch vor dem Mauerfall die „antifaschistische“ Geschichtsideologie der linken Meinungsführer. Hillgruber, von Rudolf Augstein als „konstitutioneller Nazi“ diffamiert, auch physisch erschüttert durch Wehlers gehässige Attacken, starb 1989. Nolte, ohnehin Einzelgänger, war als „Revisionist“ nachhaltig stigmatisiert. Der geschmeidige Stürmer nahm irgendwann Abschied von der Universität und sicherte sich eine Springer-Sinekure. Hildebrand fand zurück zu Forschungen über deutsche Außenpolitik zwischen 1871 und 1945, wie eh und je Vorgaben der Reeducation verpflichtet. Krankheit hinderte ihn zuletzt, sich am Machwerk „Das Amt“ zu beteiligen.

Die Sieger zahlten für ihren Triumph mit kurzfristigem Prestigeverlust. Denn Geiss’ mit „Zitatenkontrollen“ gespickte Diskursanalysen entlarvten nicht allein Habermas als ordinären Zitatenfälscher. Elementare handwerkliche Mängel, Zitierfehler, Falschangaben, Insinuationen, Stilblüten sind bei Wehler, Mommsen & Co. schockweise zu finden. Sie zeugen vom erbärmlich niedrigen Niveau dieser gleichwohl unangefochtenen regierenden Stimmführer des Zeitgeistes, deren Macht sich nicht aus fachlicher Kompetenz speist. Im „Hysterikerstreit“ offenbarte sich die „geistige Provinzialität“ dieser „Mandarine der Mythen“ (Joachim Fest), ihrem Geprotze mit US-Beziehungen und ihrem „progressiv-internationalistischem Pathos zum Trotz“ (Geiss). Mit der Wiedervereinigung kam ihnen überdies der Eckpfeiler ihres gegen die „Viererbande“ befestigten Geschichtsbildes abhanden: der Imperativ der deutschen Zweistaatlichkeit.

Hatte Winkler doch in Hegelscher Diktion dekretiert, die „Logik der Geschichte“ zwinge die Deutschen, einen souveränen Nationalstaat nie wieder „sollen zu wollen“. Nach dem Untergang der DDR eilte der Herr Professor allerdings von Freiburg an Hegels alte Wirkungsstätte, vielleicht um an der (Ost-)Berliner Universität dem Weltgeist neue Weisungen für den „Weg nach Westen“ abzulauschen.

Historisch-politischer Surrealismus um Habermas

Noch peinlichere Blößen gab sich diese denkfaule Kaste aber als Schönredner des Sowjetkommunismus, als Verharmloser des genozidalen Leninismus und Stalinismus, des massenmörderischen Gulag-Systems, das sie gegen den „manischen Anti-Bolschewismus“ Noltes und Hillgrubers verteidigten. „Im ganzen Historikerstreit“ sei im Habermas-Lager eine „grundsätzliche Distanzierung vom Kommunismus“ nicht erkennbar, konstatiert Geiss. Symptomatisch offenbarte sich der „historisch-politische Surrealismus“ (Geiss) dieses Mitläufertums in Habermas’ Lapsus „Vertreibung“ statt „Vernichtung der Kulaken“. Hans Mommsen log den ukrainischen „Hunger-Holocaust“ Anfang der dreißiger Jahre frech zu „stalinistischen Maßnahmen“ um. „Orwells Newspeak“ wohin man blicke, heißt es bei Geiss.

Nach 1989 blieben selbstkritische Korrekturen selbstverständlich aus. Der Historikerstreit entließ Habermas und seinen Anhang zwar bis auf die Knochen blamiert. Aber der Kaiser war nur nackt, er stürzte nicht vom Thron.

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