© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Ein Plagiat schreibt Geschichte
Vor vierzig Jahren erschien die legendäre „Wir-haben-abgetrieben“-Titelgeschichte im „Stern“
Gernot Facius

Der Scoop, mit dem Henri Nannens Stern vor vierzig Jahren Furore machte, war bei Licht besehen ein journalistischer Import, oder besser gesagt: ein Plagiat. Am 11. April 1971 hatte das linksliberale Pariser Wochenblatt Nouvel Observateur eine Liste mit den Namen von 374 Französinnen gedruckt, die öffentlich bekannten: „Ich habe abgetrieben“ – eine Idee des ideologisierenden Redakteurs Jean Moreau.

Fünf Wochen später, am 11. Juni, zog der Stern nach, ebenfalls mit 374 Unterschriften, darunter die der Leinwand-Größen Romy Schneider, Senta Berger, Gisela Elsner und Veruschka von Lehndorff. Von der Titelseite der Illustrierten brüllte die provokante Schlagzeile: „Wir haben abgetrieben!“ Jede Frau habe das Recht dazu, der Paragraph 218 „muß weg“.

Es war kein Aufstand von unten gegen eine als antiquiert und unbarmherzig empfundene Sexualmoral, die „Wut“ der „Bekennerin“ war nicht spontan, wie man dem Publikum glauben machen wollte, sie wurde gesteuert: aus einer Wohnung in der Rue d’Alesia im 14. Pariser Arrondissement.

Von dort aus verabredete die Feministin Alice Schwarzer mit ihrem Stern-Konfidenten Winfried Maas eine deutsche Nachfolgeaktion des Appells der Französinnen. Sie reiste durchs Land, um Prominente und weniger Prominente für ihren Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen zu gewinnen. Der Abtreibungsparagraph, der, wie Schwarzer selber zugeben mußte, in Wahrheit schon lange kaum noch angewandt wurde. Verfaßtes Recht und gelebtes Rechtsempfinden klafften schon damals auseinander.

Die Aktion war kühl kalkuliert als Initialzündung für eine neue Bewegung, die später mit dem unappetitlichen Slogan „Mein Bauch gehört mir“ die völlige „Selbstbestimmung“ der Frau propagierte. „Ob Kinder oder keine – entscheiden wir alleine!“ skandierten die von Schwarzer aufgestachelten „Löwinnen“. Die Frau als Richterin über Leben und Tod, was später Männer in Verzweiflung, Wut und Trauer ausbrechen ließ, nachzulesen 2009 im Zeit-Magazin.

Doch zurück zum Frühjahr 1971. Es ging um einen „Tabubruch“, der fast konspirativ in Szene gesetzt wurde: Schwarzer übergab dem Stern die Unterschriften erst in der Nacht vor Redaktionsschluß, gegen zwei Uhr morgens. Mit der Wahrheit nahm man es aber nicht so genau. Unter den 374 Frauen, die den Appell mit ihrem Namen unterstützten, waren auch einige, die wie Alice Schwarzer (nach deren eigenem Bekunden) nicht abgetrieben, eine solche Entscheidung lediglich in Gedanken durchgespielt hatten. Vorrang hatte der politische Effekt eines solchen kollektiven Bekenntnisses.

In der durch und durch sexualisierten Medienwirklichkeit von heute, in der alle Schamgrenzen gefallen sind, würde das Vorgehen der 374 kaum Aufsehen erregen. 1971 war das noch anders. Zustimmung kam von der dem Stern nahestehenden Zeit. Bild, erinnerte sich Schwarzer, fuhr einen Pro-und-Contra-Zickzackkurs („Da man ein Massenblatt nie auf Dauer gegen die Menschen machen kann“), die eher linksliberale Süddeutsche Zeitung tadelte den „Exhibitionismus“, und die ebenfalls linksgewirkte Frankfurter Rundschau sprach von einem „Konsumwahn“ der Frauen und einer „Vernichtung unwerten Lebens“.

„Vernichtung unwerten Lebens“

Das ist Lichtjahre entfernt von den aktuellen Bewertungen der, zugegeben schwierigen, Abtreibungsthematik. Heute würde gegen diese Kommentare wahrscheinlich die Fundamentalismus- oder Faschismuskeule geschwungen. 1971 gingen die Uhren noch anders.

Und bemerkenswert ist auch, daß Schwarzer auf ihren Reisen zu potentiellen „Bekennerinnen“ selbst im extrem linken Lager auf Widerstände stieß. Beim Frankfurter „Weiberrat“ habe sie sich, greinte Schwarzer in ihrer Emma, eine kühle Absage eingehandelt, bei den „Roten Frauen“ in München wäre sie auch beinahe gescheitert: „Nur der unter DDR-Einfluß stramm organisierte Sozialistische Frauenbund Westberlin stieg kollektiv ein, wohl in der Hoffnung auf Kontakt ‘zu den Massen’“.

Eine interessante Facette: Die Ober-Feministin Schwarzer kann auch vierzig Jahre danach der Versuchung nicht widerstehen, von einem „Recht auf Abtreibung“ zu fabulieren. Falsche Wortbilder erzeugen falsche Vorstellungen. Denn ein „Recht“ läßt sich aus keinem der diversen Verfassungsgerichtsurteile herauslesen. Karlsruhe hat die Fristenmodelle verworfen, weil sie nicht der Pflicht zum Schutz des ungeborenen Lebens genügten.

Abtreibungen sind im Grundsatz weiter rechtswidrig – in der Regel, nach vorgeschriebener Beratung, aber straffrei. Eine De-facto-Fristenlösung? Heute, argumentiert Schwarzer, habe Deutschland eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in Europa, „gleich nach Irland und Polen“. Schuld daran sei die „Frauenfeindlichkeit“ der katholischen Kirche. Da stockt einem doch der Atem. In Wirklichkeit haben beide Kirchen vor der „politischen Realität“ – für eine Paragraph-218-Verschärfung findet sich keine Mehrheit – kapituliert.

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