© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Von der Naturgewalt Technik mitgerissen
Magischer Realismus: Ausstellungen zum Werk des Malers Franz Radziwill in Norddeutschland
Sebastian Hennig

Der Expressionismus war für viele entwicklungsfähige Künstler ein Durchgangsstadium, vielleicht auch eine ästhetische Therapie, um sich nach den Erschütterungen des Krieges und dem Zerfall des Reiches anhand der Steigerung und Verzerrung der Formen schrittweise wieder festes Terrain zu erobern. Die Welle des Neoklassizismus und der Sachlichkeit, die zehn Jahre nach Kriegsende die europäische Kunst erfaßt, ist nicht Ausdruck von konjunkturellem Anbiedern an autoritäre Regime, sondern Ergebnis einer naheliegenden Entwicklung. Es war das Abklingen eines Fiebers. Wenn der Patient aber fiebert, dann hilft sich der Körper selbst.

Was heute gerne als Regression diffamiert wird, war – auch in der eigenen Logik des Fortschritts gesehen – eigentlich die Progression des künstlerischen Ausdrucks. Der Expressionismus war eine Art paneuropäischer Adoleszenz. Abgesehen von dieser soziologisierenden Sicht, ist das Werk der in dieser Wandlung begriffenen Künstler von durchgehender Qualität in jeder Phase der Entwicklung.

Denn gerade die Wandlungsfähigen unter den Künstlern verfügten über die vitalste Pubertät. Gottfried Benns Gedichte aus der Krebsbaracke und seine Essays über Züchtung, provoziertes Leben und die hellenische Welt sind zwei Seiten einer gediegenen Medaille, deren Prägung immer noch der Zeit standhält. Das erweist sich ebenso am Werk des Malers Franz Radziwill

Den frühen Bildern ist die begeisterte Zustimmung zu van Gogh und Marc Chagall anzusehen. Karl Schmidt-Rottluff zeigte ihm Dangast am Jadebusen, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1983 leben wird.

Schon über dem Werk der zwanziger Jahre schwebt jene gefährliche Kontemplation, die sich zeitgleich in der Malerei der Mailänder Mario Sironi und Giorgio de Chirico etablierte. 1934 war Radziwill unter den deutschen Beiträgern der Biennale von Venedig. Das Thema des Jahrhunderts war ihm seit Knabentagen geläufig. Er wuchs bis 1909 in der Nähe eines Testfluggeländes bei Bremen auf. Der Gegensatz der majestätisch-selbstherrlichen und der infernalisch-tödlichen Seite der Technik wird das Thema seiner Malerei. Die gesteigerte Farbigkeit seiner expressiven Jahre behält er bei als ein Mittel zum Zweck. Einen Gegensatz von heilsamer Natur und ausbeuterischer Technik konstruiert er nicht. In der Malerei erscheint Homo sapiens als eine planetarische Stoffwechselfunktion. Die Technik ist die eigentliche unverstellte Naturgewalt, wie sie den Menschen, der die Protektion der Götter verloren hat, mit sich reißt. Die technische Revolution ist eine Reconquista der einst von den Göttern bezwungenen Giganten und Titanen.

Radziwills Werk steht in dieser Hinsicht in einer malerischen Parallele zum subtilen Befund Friedrich Georg Jüngers („Perfektion der Technik“) und dessen Epigonen in Sachen Technikkritik, Martin Heidegger („Die Kehre“). Ein Gemälde von 1951 hat den Titel „Wo der Baum nicht mehr wächst, ist Gott auch“. „Die Landschaft der Technik“ wird 1958 beschworen. Im Aquarell ein Jahr später „Der Tod der stillen Landschaft“. Das sind Wegmarken einer planetarischen Entwicklung, die als unumkehrbar hinzunehmen ist. Daß der Maler dem Unausweichlichen bis zuletzt formend gegenübertritt, ist eine erstaunliche Leistung, die erst heute im zeitlichen Abstand ihre volle Wirkung entfaltet.

Während der Studentenrevolte vor achtzig Jahren hatte der Studentenbund ein „national“ vor dem „sozialistisch“ stehen. Aber die Motive mögen die gleichen gewesen sein: den kategorischen Forderungen unbequemer Lehrer zu entgehen. Den Veristen Otto Dix erwischte es in Dresden bereits 1933, als er dabei war, aus seinen Bildern die zum Zeitgeist passenden auszulesen.

Radziwill hatte wie Benn eine kurzfristige Konjunktur, bis die SS-Zeitschrift Das Schwarze Korps (20. März 1935) unter der Überschrift „‘Nordisch-deutsch’, ein beliebter Deckmantel“ mit der Abbildung von „Zwei liegende Frauen“ den außerordentlichen Professor der Düsseldorfer Kunstakademie kompromittierte. Die völkischen Revoluzzer in der Studentenschaft besorgten den Rest. Radziwill verbarg sich nicht im Heer wie Gottfried Benn. Er verfügte aber über das Wohlwollen führender Kräfte der Marine. Die Wertschätzung seiner Malerei hat ihn vor schlimmeren Konsequenzen bewahrt. 1937 wird er rehabilitiert. Doch ein Jahr später sind noch drei seiner Gemälde in der Ausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen.

Den Vergleich mit Caspar David Friedrich, der damals auch für die moderne lombardische Malerei ein Bezugspunkt war, hat Radziwill selbst gesucht. In einem negativen Aspekt wird die Nähe in Temperament und Ausdrucksspektrum besonders evident: Beide deutschen Maler geben sich sehr linkisch in der Darstellung der menschlichen Gestalt. Doch ist der Mensch unheimlich präsent in allen ihren Bildern. Auch die Gemälde des Romantikers Friedrich sind Technik-Landschaften eines von Menschen geformten und gehüteten Raumes. Radziwill ist in diesem unsentimetalischen Sinn ein Romantiker gewesen.

In einem Aquarell von 1936 hält er die „Schanzen von Düppel fest“. Die hypnotische Kraft des Krieges ist hier gestaltet in einer künstlerischen und nicht dokumentarischen Weise. Diese artistische Willkür bewirkte, daß seine Malerei auch in der Zeit eines patriotischen Konsens nur die visuell Gebildeten unter den Kunstbetrachtern erreichte und seine Kunst nicht zur propagandistischen Verwertung taugte. Nach dem Krieg fand er in dem Publizisten Henri Nannen einen einflußreichen Fürsprecher. 1970 setzte eine Augenerkrankung seinem künstlerischen Schaffen ein Ende.

Fotos: Franz Radziwill, Kirche in der friesischen Wehde, 1930: Das Thema seiner Malerei war der Gegensatz der majestätisch- selbstherrlichen und der infernalisch-tödlichen Seite der Technik. , Radziwill, Der Zeitungsleser sieht die Welt nicht mehr, 1950: Gesteigerte Farbigkeit

Die Ausstellung „Franz Radziwill – 111 Meisterwerke aus privaten Sammlungen“ ist bis zum 19. Juni in der Kunsthalle Emden, Hinter dem Rahmen 13, täglich außer montags 10 bis 17 Uhr, Sa./So. ab 11 Uhr, zu sehen. Das Katalogbuch mit 208 Seiten und etwa 150 Farbabbildungen kostet an der Museumskasse 25 Euro. http://kunsthalle-emden.de

Die Ausstellung „Der Maler Franz Radziwill in der Zeit des Nationalsozialismus“ ist bis zum 15. Januar 2012 im Radziwill-Haus in Dangast, Sielstraße 3, zu sehen. Öffnungszeiten: Di./Mi. 10 bis 12 Uhr, Do. bis Sa. 15 bis 18 Uhr, So. ab 11 Uhr. Der Katalog mit 168 Seiten kostet 29,90 Euro. www.radziwill.de

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