© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Grüße aus London
Ein Aufschrei der Empörung
Derek Turner

Manchmal kann eine Art des Liberalismus die andere aufheben, und selbst erfahrene Politiker machen Fehler, die ihren Ruf nachhaltig beschädigen. Ein solcher unterlief am 18. Mai dem britischen Justiz- und früheren Finanzminister Kenneth Clarke. Der Tory-Politiker, der sich bei den Medien aufgrund seiner umgänglichen Art großer Beliebtheit erfreut, äußerte sich in einer Radio-Talkshow zu dem Vorhaben, Haftstrafen für Täter, die ihre Schuld eingestehen, um die Hälfte zu kürzen. Nach den derzeit gültigen Regelungen kann ein Geständnis die Haftzeit lediglich um ein Drittel reduzieren.

Dahinter steht der Gedanke, im Gerichtswesen Zeit und Kosten zu sparen, die überfüllten Gefängnisse zu leeren und Verbrechern weniger Gelegenheit zu geben, sich von anderen Insassen schlechte Angewohnheiten abzugucken. Diese Pläne stoßen bei britischen Konservativen und Rechten ebenso auf Ablehnung wie beim Personal der Vollzugsanstalten und bei der Polizei, und die Bevölkerung wäre mit Sicherheit auch nicht glücklich darüber. Die Linken und Liberalen sollten sie theoretisch befürworten – aber dann fiel ihnen auf, daß die zusätzliche Haftverkürzung auch für Vergewaltiger gelten würde.

„Nicht einmal auf Unterstützung aus den eigenen Reihen kann Clarke sich verlassen.“

Auf den Einwand, daß die durchschnittliche Haftstrafe in Vergewaltigungsfällen bei fünf Jahren liegt und die Täter heute schon oftmals weitaus kürzere Strafen absitzen – daß die anvisierte Regelung also zu Entlassungen nach nur 15 Monaten führen könnte –, fiel Kenneth Clarke keine Erwiderung ein. Statt dessen verhaspelte sich der 70jährige Tory-Reformer fatal, indem er eine Unterscheidung zwischen „schwerer Vergewaltigung“ und „date rape“, also der Vergewaltigung im Zuge einer Beziehung, vorzunehmen versuchte. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die Medien, die oppositionelle Labour-Partei forderte Clarkes Rücktritt. Nicht einmal auf Unterstützung aus den eigenen Reihen kann er sich verlassen, da vielen Tories seine proeuropäische Haltung mißfällt und er den linken Parteiflügel nun ebenfalls vor den Kopf gestoßen hat. Spätestens bei Premierminister David Camerons erster Kabinettsumbildung dürfte Clarkes Kopf rollen – und die geplante Gesetzesänderung wird nun wohl sang- und klanglos von der politischen Tagesordnung verschwinden.

 

Derek Turner ist Herausgeber der britischen Zeitschrift „The Quarterly Review“. www.quarterly-review.org

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