© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Ein Niedergang mit Ansage
CDU: Nach dem Wahldesaster in Bremen diskutiert die Union erneut über den Kurs der Partei
Paul Rosen

Diese beiden Entwicklungen passen auf den ersten Blick nicht zusammen. Entwicklung I: Die CDU hat die Priorität für innere Sicherheit aufgegeben, ist außenpolitisch der EU-Kommission erlegen, gibt ausländischen Regierungen großzügig Steuergeld, hat sich von den Kirchen abgewandt, hat das DDR-Bild der berufstätigen Frau übernommen, die Wehrpflicht als Ausdruck des Selbstverteidigungswillens des deutschen Volkes abgeschafft, auf eine sichere Energieversorgung durch den bewährten Mix verzichtet, und sie ist dabei, in der Bildungspolitik für die Einheitsschule zu optieren.

Entwicklung II: Bei den Wahlen in diesem Jahr verspielte die CDU in Baden-Württemberg die Macht, in Hamburg halbierte sich ihr Stimmenanteil, und in Bremen kam sie auf den dritten Rang nach SPD und Grünen.

Generalsekretär Gröhe hofft auf Künstler

Daß zwischen beiden Entwicklungen sehr wohl ein Zusammenhang besteht und es gerade diese „seelenlose Modernisierung“ (Tagesspiegel) war, die die CDU in den Niedergang treibt, wird in der Partei von Kanzlerin Angela Merkel bestritten. Für Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die für den modernen Kurs steht, war Bremen „bitter. Aber das Ergebnis sollte uns nicht aufhalten“, postulierte sie im Tagesspiegel. Merkel selbst tat so, als habe sie mit den immer stärker werdenden Grünen nichts im Sinn: „Die Idee, die Grünen würden auf die CDU warten oder die CDU auf die Grünen, halte ich für total falsch.“

Bundestagsfraktionschef Volker Kauder, Merkels wichtigster Ausputzer, forderte: „Es muß das Lebensgefühl in den Großstädten wieder besser getroffen werden.“ Und Generalsekretär Hermann Gröhe weiß schon, wie das gehen wird. Die CDU müsse vermehrt Künstler und andere Persönlichkeiten für sich gewinnen. Neue Führungskräfte sollten „in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen – von der Tafel für Bedürftige bis zur Kunstszene – verankert sein“. Im Hamburger Abendblatt forderte Gröhe von seiner stark schrumpfenden Mitgliederschar die Bereitschaft, „kreative und originelle Ideen mitzutragen und manchmal auch eben zu ertragen“.

„Ertragen“ wollen viele Mitglieder und Wähler diese CDU allerdings schon lange nicht mehr. Auch wenn sich die CDU bemüht, für jeden attraktiv zu werden, kommt sie in keiner wichtigen Zielgruppe überdurchschnittlich an. Die Analysen, woran es liegt, sind unterschiedlich, treffen aber alle zu: „Es fehlen die charismatischen Politikertypen“, erkannte die Berliner Zeitung. Und an klaren Positionen mangelt es sowieso.Wie es mit der CDU ohne Erschließung neuer oder alter Wählerschichten weitergeht, zeigt ein Blick auf ihre Bremer Wählerstruktur: Dort hat sie nur noch bei den über 60jährigen Volkspartei-Status. In jüngeren Altersklassen haben Grünen-Anhänger die CDU meist überrundet.

Ein deutliches Fazit zog Josef Schlarmann, der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, die die Reste des kaum noch existierenden rechten Parteiflügels organisiert: „Der Modernisierungskurs, den die CDU seit einigen Jahren verfolgt, ist gescheitert.“

Merkel, Kauder und Gröhe haben sich von Schlarmann beim Versuch, näher an die Grünen heranzurücken, um mit ihnen später eine Koalition bilden zu können, nicht beeindrucken lassen. Allerdings rollte am vergangenen Wochenende eine Protestwelle gegen Merkel aus der Provinz heraus: „Eine Augenblickspolitik wie die Reaktion auf Fukushima wirft keine Dividende ab“, stellte der Fraktionschef im Thüringer Landtag, Mike Mohring, ein bekennender Konservativer, fest. Sein hessischer Kollege Christean Wagner erkannte: „Es kann nicht sein, daß wir bei jedem aktuellen Anlaß ein politisches Wendemanöver veranstalten.“ Selbst in der Bundestagsfraktion gärt es: „Sich neuen Randgruppen öffnen und mehr Mitte – ich kann diese Analyse nicht mehr hören“, klagte der Wirtschaftspolitiker Thomas Bareiß laut Spiegel Online. Die CDU verabschiede sich von ihrer Kernklientel und gewinne bei neuen Wählern trotzdem keine Glaubwürdigkeit. Bareiß vermißt Themen wie Entlastung des Mittelstandes, die Sicherung von Arbeitsplätzen und die innere Sicherheit: „All das findet bei uns doch gar nicht mehr statt.“

Ein Beispiel zeigt, daß die moderne Großstadtpartei CDU nicht mehr merkt, was los ist. Als Atomkraftgegner mit einem Anschlag den Bahnverkehr und Teile des Handynetzes in halb Berlin zum Erliegen brachten (siehe Seite 7)und die CDU-Kernklientel (die arbeitende Bevölkerung) nicht mehr wußte, wie man zur Arbeit kommen sollte, blieben Regierung und Partei stumm, während die Grünen sofort den Terror zum Werk von „Idioten“ (Jürgen Trittin) herunterspielten und in Berlin eine Debatte inszenierten, wonach die Bahn ihre Anlagen zu wenig schütze.

Die Kritik an Merkel und ihrer Parteiführung wird hörbar. Ob daraus mehr wird, hängt davon ab, ob Merkel den Eindruck aufrechterhalten kann, mit ihr seien die Mandate der Abgeordneten sicher. Gelingt ihr das nicht, wird sie Westerwelle ins Abseits folgen.

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