© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Die Märzgefallene
Porträt: Erst nach dem Volkskammerwahlsieg 1990 wechselte Merkel zur CDU
Hinrich Rohbohm

Es war ein überraschender Schritt. Als Merkel 1990 der CDU beitritt, zeigen sich Freunde und Weggefährten erstaunt. Viele von ihnen hätten sie bei den Grünen vermutet. Daß es die Schwarzen werden, ist jedoch keine Verirrung, kein spontaner Entschluß. Handfeste machtpolitische Gründe geben den Ausschlag.

Doch im Dezember 1989 landete Merkel zunächst bei den Sozialdemokraten. Gemeinsam mit ihrem damaligen Abteilungsleiter an der Akademie der Wissenschaften, Klaus Ulbricht, ging sie auf Parteientour, besuchte am 14. Dezember eine Veranstaltung der SDP, dem DDR-Vorläufer der SPD. Ulbricht trat ein, Merkel erbat Bedenkzeit und entschied sich schließlich für den Demokratischen Aufbruch (DA), dessen Vorsitzender damals der später als Stasi-IM enttarnte Wolfgang Schnur war. Schnur, ein Freund der Familie Kasner, arbeitete eng mit Merkels Vater zusammen. Der Rechtsanwalt und führende Kirchenfunktionär hatte zudem gute Kontakte zur SED. Er macht Angela Merkel zur Pressesprecherin.

Auch Merkels Vater wird politisch aktiv. Mehr noch. Die Templiner Zeitung schreibt ihm zur Wendezeit eine „herausragende Rolle“ zu. Kasner, dem Ortsansässige eine Nähe zum Neuen Forum nachsagten, habe sich jedoch im Hintergrund gehalten und als Strippenzieher gewirkt. Personen seines Vertrauens habe er versucht, für den Eintritt in die Parteien zu gewinnen. Den späteren Templiner Bürgermeister Ulrich Schoeneich überzeugte er zum Eintritt in die SDP. Anderen machte er die CDU schmackhaft. Kasners Frau geht zu den Sozialdemokraten, wird später in Templin SPD-Ratsfrau. Angela Merkels Bruder wird beim Bündnis 90 aktiv.

Kurz nach Merkels Beitritt zum DA ist es ihr ohne Probleme möglich, sich von ihrer Tätigkeit an der systemkonformen Akademie der Wissenschaften freistellen zu lassen, um hauptamtlich für den oppositionellen Demokratischen Aufbruch zu arbeiten. Zu einem Zeitpunkt, als viele dem DA den Sieg bei der bevorstehenden Volkskammerwahl am 18. März 1990 prophezeiten und sich Wolfgang Schnur bereits als Ministerpräsident der DDR wähnte. Schnur war es auch, der schon früh den Kontakt zur West-CDU suchte und sich dabei als besonders konservativ darstellte, wodurch er schnell das Vertrauen bei führenden Vertretern der Bundes-CDU gewinnen konnte. Schnur war kein gewöhnlicher Stasi-IM. Die Berichte über seine Spitzel-Tätigkeiten haben einen Umfang von mehr als dreißig Aktenordnern, die Entlohnung für seine Dienste war auffällig hoch.

Im September 1989 war auch in die Ost-CDU Bewegung gekommen. Funktionäre der DDR-Christdemokraten erwägen die Ablösung ihres Vorsitzenden Gerald Götting. Der langjährige Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes paßte nicht in Gorbatschows Konzept von Glasnost und Perestroika, sollte durch einen sogenannten „Reformer“ abgelöst werden. Maßgeblich für den Sturz Göttings verantwortlich war dessen Stellvertreter Wolfgang Heyl, der für die Stasi-Hauptabteilung von Markus Wolf gearbeitet haben soll.

Heyl wurde damals der Vorsitz der DDR-CDU angetragen. Doch das ehemalige NSDAP-Mitglied reagierte zurückhaltend. Als langjähriger kommunistischer Hardliner wäre mit ihm ein Reformkurs innerhalb der Blockpartei kaum glaubwürdig genug zu verkaufen gewesen. Heyl schlug Lothar de Maizière vor, was sich zunächst als genialer Schachzug erweisen sollte. De Maizière hat den Vorteil, bisher keine große Rolle in der Partei gespielt zu haben. Graubärtig, hager und eher unscheinbar wirkend, erweckt er den Eindruck von Harmlosigkeit. Doch als Sohn des den kommunistischen Blockpartei-Oberen bestens vertrauten Stasi-Mitarbeiters und CDU-Funktionärs Clemens de Maizière findet er im Präsidium den nötigen Rückhalt. Zudem trägt der Perestroika-Kader und Aktivist in der von Moskau gesteuerten Christlichen Friedenskonferenz, Thilo Steinbach, mit dazu bei, Zweifler im Präsidium zu überzeugen. Lothar de Maizière, der selbst als IM „Czerny“ in den Diensten der Stasi gestanden haben soll, bekräftigt noch im Dezember 1989, daß eine Wiedervereinigung nicht auf der Tagesordnung stehe.

Nach dem Wahlsieg der Allianz für Deutschland bei der Volkskammerwahl am 18. März 1990 wird er zum Ministerpräsidenten gewählt. Thilo Steinbach, der unter dem Decknamen „Bernd“ ebenfalls für die Stasi gearbeitet haben soll, wird sein außenpolitischer Berater, ist damit maßgeblich an den Verhandlungen zur Deutschen Einheit beteiligt. Und Angela Merkel, deren Vater als Kirchenfunktionär mit Lothar de Maizière zusammenarbeitete, wird zur stellvertretenden Regierungssprecherin ernannt. Schon in der Wahlnacht wird ersichtlich, daß die CDU den neuen DDR-Ministerpräsidenten stellen wird. Merkel erkennt, daß sich die CDU jetzt zum entscheidenden Machtfaktor entwickelt. Sie läßt die Wahlparty des DA – für die Pressesprecherin eigentlich ein Pflichttermin – sausen und macht sich auf in die Gaststätte „Ahornblatt“ – dort feiert die CDU ihren Wahlsieg.

Lesen Sie in der kommenden Ausgabe: Angela Merkel – Kohls Mädchen?

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