© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Pankraz,
Torero El Juli und die Sorgen der G 10

Mit dem Kürzel „G 10“ schmückt sich so mancherlei. „G 10“ war der offizielle Name der berühmtesten Güterzuglokomotive aus der deutschen Kaiserzeit, deren letzte Exemplare in der DDR noch bis zur Wende im Einsatz waren. „G 10“ hieß der erste aller „Wirtschaftsgipfel“, welcher schon 1962 zusammentrat; gemeint waren die damals zehn größten Wirtschaftsmächte des Westens. „G 10“ heißt heute jene Bundestagskommission, die jederzeit volle Einsicht in die intimsten Abhördateien von BND und VS nehmen darf (die Zehn verweist auf den entsprechenden Paragraphen des Grundgesetzes).

Jetzt gibt es eine neue „G 10“, nämlich die „G 10 der Toreros“, die in Sevilla aus dramatischem Anlaß aus der Taufe gehoben wurde. Sie besteht zunächst aus den zehn „besten“ („más grande“) Toreros der spanisch sprechenden Welt, und der Grund ihres Auftretens ist das drohende Aus für den spanischen bzw. katalanischen Stierkampf. Die Toreros der „G 10“ fürchten das Schlimmste für ihren Berufsstand. Sie wollen nicht arbeitslos werden.

Tatsächlich hat das katalanische Parlament in Barcelona mit knapper Mehrheit schon ein Verbot des Stierkampfs für seine Region ab Januar 2012 beschlossen und das gesamtspanische  Innenministerium aufgefordert, seine Zustimmung dazu zu geben. Und das Unheil kommt nicht nur aus Barcelona. Der in Madrid beheimatete staatliche Fernsehsender Televisión Española (TVE) überträgt ab sofort keine Stierkämpfe mehr, da – so die offizielle Begründung – „viele Kinder um diese Zeit vor dem Fernseher sitzen“. Die reifere Jugend ihrerseits interessiert sich indessen laut Umfragen immer weniger für Stierkampf und  bevorzugt statt dessen Flatrate-Saufen und internationale musikalische Pop-Events. Alles Tatarennachrichten, so oder so.

Dagegen nun will die „G 10“ der größten Toreros Front machen. „Es genügt nicht mehr“, so ihr Sprecher El Juli, „zum Kampf in der Arena gerüstet zu sein, wir müssen uns auch für den Kampf in den Medien rüsten. Im Augenblick leiden wir noch an einem empfindlichen Mangel an Kommunikationsfähigkeit. Wir haben uns zu lange in unsere eigene aristokratische Welt eingeschlossen, und dabei wäre genau das Gegenteil richtig gewesen. Es muß endlich erklärt werden, daß die Corrida ganz unvergleichlich ins Schaugewerbe unserer modernen Medienwelt hineinpaßt und daß sie ein Bestandteil unserer kulturellen Identität ist.“

Wogegen sich die „G 10“ von Sevilla mit Händen und Füßen wehrt, ist der jenseits der Pyrenäen offenbar weit verbreitete Glaube, der Kampf um den Fortbestand der Corrida, also des „echten“, genuin spanischen Stierkampfs mit definitiv tödlichem Ausgang für den Stier, sei eine Auseinandersetzung zwischen rechts und links. Zwar rechnen sich die meisten der Corridakritiker, Tierschützer, Reformpädagogen, Gutmenschen aller Art, „eher zu den Linken“, doch Torero El Juli hält dagegen: „Der Stierkampf gehört allen!“ Und sein „G 10“-Kollege Enrique Ponce: „Die Corrida ergreift uns alle. Sie ist ein magischer Vorgang.“

Natürlich haben El Juli und Ponce recht, die Corrida ist ein magischer Vorgang. Aber genau deshalb beginnen ja die Schwierigkeiten mit der sogenannten Moderne! Selbst vorausgesetzt, den Popkonzerten und kollektiven Besäufnissen der Gegenwart wohnt ebenfalls eine „magische“, irrationale, alle Anwesenden in wildem Gefühl vereinende Komponente inne – mit wirklicher Magie, wie sie die „G 10“ meint, hat das dennoch nichts zu tun. Denn wirkliche Magie à la „G 10“ umfaßt viel mehr als kollektiven Rausch, sie ist in erster Linie Ritual, Erinnerung, Opfer, gemeinsame Bitte um Zugang zu höheren Sphären.

Spanische Kulturhistoriker verorten die Entstehung der Corrida üblicherweise im Mittelalter; sie sei Teil der damaligen Ritterspiele gewesen. Doch der eigentliche Ursprung liegt viel früher, nämlich tief in der Antike, als das Christentum entstand. Dieses mußte am Anfang, um sich durchzusetzen, mühsam gegen den Mithraskult kämpfen, der damals – wie das Christentum – vor allem in den römischen Armeen seine Anhänger fand und wo der schneeweiße, mit goldenen Hufen und Hörnern versehene Jungstier die Hauptperson war, welche am Ende geopfert wurde.

Corrida war ursprünglich eine erinnernde Darstellung des Kampfes zwischen Christentum und Mi-thraskult, zwischen dem „Menschensohn“, der die Menschen durch sein eigenes Opfer erlöst, und dem Mithras-Stier, der die Menschen stellvertretend erlöst. Der  bigotte spanische König Karl IV von Spanien (1748–1819) hat dieser „ruchlosen Abkunft“ wegen den Stierkampf seinerzeit streng verbieten lassen; gleich  nach seiner erzwungenen Abdankung 1808 freilich wurde das Verbot aufgehoben, und die Corrida entwickelte sich zum  Massenvergügen. War man früher zum Autodafé gegangen, so ging man jetzt zur Corrida.

Heute nun geht man statt zur Corrida zum Popkonzert. Das ist billiger, zeitgemäßer und vor allem bequemer. Denn eine Corrida ist nicht nur für den Stier unbequem (um das mindeste zu sagen), sondern auch für das Publikum, das eine Menge vorgeschriebener Rituale und Verhaltensweisen einhalten muß, zu deren Vollzug gute Vorkenntnisse und viel Disziplin gehören. Wer will denn heuzutage noch Disziplin? Die „G 10“ fleht potentielle Corridabesucher denn auch geradezu an, sich nicht von den unbequemen Ritualen abschrecken zu lassen. Ein Besuch werde sich auf jeden Fall lohnen, dafür stünden sie, die brillanten Toreros, ein.

Pankraz bleibt trotzdem skeptisch. Mehr Gehör aber könnte die „G 10“ bei den mit Verboten noch zögernden Behörden finden mit dem Hinweis, daß der Stierkampf ein wichtiger Wirtschaftszweig für Spa­nien ist. Dort gibt es über 1.200 Zuchtbetriebe von Kampfstieren mit etwa 70.000 Beschäftigten, mit einem Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro. Für die bei einer Corrida obligatorischen sechs Stiere werden bis zu 150.000 Euro gezahlt. Wer kann denn in diesen wirtschaftlich schweren Zeiten auf so etwas verzichten!

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