© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Weltwirtschaft ohne Weltwährungen
Schuldenfinanzierung: Die monetäre Herrschaft des Westens geht zu Ende / Dollar und Euro in der Krise
Wilhelm Hankel

Die Weltwirtschaft muß schon seit längerem mit maroden Weltwährungen leben: einer ältlichen, dem US-Dollar, und einer jüngeren, die einmal den Ehrgeiz hatte (und für manche noch immer hat), ihn abzulösen: dem Euro. Obwohl beide an derselben Krankheit (wohl richtiger Agonie) leiden – der katastrophalen Überverschuldung der sie tragenden Staaten –, sind sowohl die „Ursachen der Ursachen“ (die staatliche und private Überschuldung) wie auch die Überlebenschancen beider Währungen als nationales Geld von ihrer inneren Situation und Stärke her gesehen höchst unterschiedlich.

Allein die Schulden-Höhe des US-Zentralstaates beträgt die astronomische Summe von 14,3 Billionen Dollar – das sind über 46.000 Dollar (oder 32.800 Euro) pro US-Bürger. Die Schuldenquote (Anteil am Bruttoinlandsprodukt) hat sich in den Jahren nach Bill Clinton auf 92 Prozent verdreifacht. Zudem sind viele der 50 Bundesstaaten und US-Kommunen hoch verschuldet. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die gesamte Schuldenquote von Bund, Ländern und Gemeinden bei etwa 82 Prozent.

All dies wurde und wird bis in die Gegenwart hinein durch die Weltstellung der US-Währung abgesichert: Bis zu 70 Prozent der in den letzten Jahrzehnten zur Bezahlung von Staatsdefiziten inflatorisch gedruckten „Greenbacks“ bereichern nicht den Inlandsgeldumlauf, sondern sie gehen ins Ausland. Daher können die USA seit Jahrzehnten ihren hohen Lebensstandard mit den Ersparnissen des Auslands finanzieren. Sie importieren mehr als sie exportieren; ihr  Handelsbilanzdefizit belief sich im letzten Jahr auf etwas über 560 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: China, Japan und Deutschland verbuchten im gleichen Zeitraum einen Handelsbilanzüberschuß von zusammen rund 600 Milliarden Dollar.

Die Welt absorbierte und akzeptierte die Inflationspolitik der USA. Sie war auf deren Dollar angewiesen, sowohl wegen der Reservehaltung der einzelnen Zentralbanken wie auch der Abermillionen kleinerer und größerer Privatsparer rund um den Globus – vor allem in der Dritten Welt. Sie vertrauten dem Dollar mehr als ihrer abgewirtschafteten und meist wertlosen heimischen Währung. Der Dollar war somit beides: Währungsschatz der internationalen Staatenwelt, denn diese konnte mit dem Dollar in aller Welt einkaufen und Kredit aufnehmen. Zugleich aber war der Dollar Notspargroschen des kleinen Mannes, in dem er angesichts der hauseigenen Geldmisere seine Zukunft jahrzehntelang besser aufgehoben sah.

Mit beiden „Sicherheiten“ dürfte es angesichts der zerrütteten Staatsfinanzen der USA schon bald vorbei sein. Doch gerade, was letztere betrifft, besteht ein gravierender Unterschied zum Hauptrivalen des US-Dollar: dem Euro. Dem Dollar kann „nur“ die Verschuldung des US-Zentralstaates zum Verhängnis werden, nicht aber die – noch gefährlichere – der einzelnen Bundesstaaten, denn hier gilt im Gegensatz zur längst gebrochenen Vertragsgrundlage der Euro-Gemeinschaft die „No Bail Out“-Klausel: Kein Bundesstaat haftet oder zahlt für den anderen. Und das gilt seit über 240 Jahren!

Die Europäische Währungsunion hat mit dem Bruch dieser Klausel (Artikel 125 und 126 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union/AEUV) ihrer rechtswidrigen Erweiterung zu einer Haftungsgenossenschaft ohne zeitliche Befristung (Euro-Rettungsfonds ESM) und Obergrenze ihr Ende vorprogrammiert (JF 16/11).

Europas Berufspolitiker, der deutsche Finanzminister eingeschlossen, geben sich einer fatalen Illusion hin, wenn sie glauben, Euro-Krise und Euro-Rettung schweißten Europa zusammen, man säße ja doch im selben Boot. Ein visionärer Europäer wie Charles de Gaulle warnte schon bei Abschluß der Römischen Verträge seine Landsleute: „Völker haben keine Freunde, sondern Interessen.“ Und diese gilt es zu wahren.

Der Euro wäre nie zu Kräften gekommen und in den Rang einer Weltwährung aufgestiegen, hätte es nicht Deutschlands Export- und Leistungsbilanzüberschüsse gegeben. Ohne sie hätte die Eurozone schon früh rote Zahlen geschrieben – seit Ausbruch der Eurokrise sind sie tiefrot. Allein Spanien, Frankreich und Italien wiesen 2010 ein Handelsbilanzdefizit von zusammen über 130 Milliarden Euro auf. Mit Peseta, Franc und Lira wäre dies kaum möglich gewesen.

Die entscheidende Bedrohung der Euro-Währung kommt jedoch aus dem Starr-, oder richtiger: Wahnsinn der EU-Politiker. Sie wollen die Eurozone zusammenhalten und sogar noch erweitern, obwohl längst der Beweis erbracht ist, daß dieses Konglomerat aus Industrie- und (De-facto)-Entwicklungsländern nicht funktionieren kann. Letztere werden immer versuchen, ihren Rückstand durch Verschuldung auszugleichen. Der Euro mit seinen für sie billigen Zinsen und seiner internen Nicht-Abwertbarkeit (wenn sie inflationär wirtschaften) verführt sie dazu. Das wird auch nach ihrer „Sanierung“ durch einen neuen Geldgeber (den Euro-Rettungsfonds) und einen Schuldenerlaß (wenn er denn kommt) so bleiben.

Wenn diese Länder in der Eurozone bleiben, werden sie ihren Retter – allen voran Deutschland – wie ein Ertrinkender mit in die Tiefe reißen. Wann werden Angela Merkel, Wolfgang Schäuble & Co. (samt ihren Mutmachern und Claqueuren) dies endlich begreifen?

Und was bedeutet die Dollar- und Euro-Krise für die Weltwirtschaft? Sie wird schon bald ohne westliche Leitwährungen auskommen müssen und es gut können. China und andere Schwellenländer haben den alten, noch von John Maynard Keynes stammenden, Nachkriegsplan für ein stabiles Weltwährungssystem neu entdeckt und zu ihrem Programm gemacht.

Die Abrechnungseinheit des Internationalen Währungsfonds (IWF) – man hat sie auf den technischen Namen Sonderziehungsrechte getauft – ist ein inflationssicherer Bezugsschein auf alle Währungen der Welt. Diese sollen künftig Dollar und Euro ersetzen. Dann ginge ein halbes Jahrtausend monetärer Weltherrschaft durch eine westliche Leitwährung zu Ende. Mit seinen privaten Eskapaden hätte der zurückgetretene IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn, der letzte europäische Weltherrscher alten Stils, den Weg dahin sogar unfreiwillig geebnet.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war Leiter der Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Sein neuestes Buch „Geldherrschaft: Ist unser Wohlstand noch zu retten?“ veröffentlichte er zusammen mit dem US-Ökonomen Robert Isaak.

Foto: Gestrandete Leitwährungen: Derzeit halten die Zentralbanken noch 61 Prozent ihrer Währungsreserven in Dollar und 26 Prozent in Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen