© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Einer kommt durch
Bremen: Während die CDU von den Grünen deklassiert wird, zieht „Wutbürger“ Jan Timke erneut in die Bürgerschaft ein
Hans Christians / Marcus Schmidt

Er hat es geschafft. Jan Timke, der Bundesvorsitzende der konservativen Wählervereinigung „Bürger in Wut“ (BIW) ist am vergangenen Sonntag bei der Wahl in Bremen erneut in die Bürgerschaft der Hansestadt eingezogen. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. Wie bereits vor vier Jahren, übersprang seine Formation im Wahlgebiet Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde und erreichte 7,1 Prozent. Damit stellen die BIW aufgrund des besonderen Wahlrechts in Bremen einen Abgeordneten in der Bürgerschaft, obwohl sie landesweit nur 3,6 Prozent erreichten (Stand Dienstag).

Auch wenn die BIW somit nicht wie erhofft in Fraktionsstärke im Landesparlament sitzen, gibt sich der 40 Jahre alte Polizeibeamte zufrieden und mahnt gleichzeitig zur Bescheidenheit. „Wir Konservativen müssen unsere Ansprüche herunterschrauben“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT und verwies darauf, daß seine Wählervereinigung in Bremerhaven im Vergleich zu 2007 zwei Prozent zugelegt hat. Zudem sei man vor vier Jahren nur in Bremerhaven und nicht im Wahlgebiet Bremen angetreten. Dort holten die BIW nun auf Anhieb drei Prozent.

Wie schwer es eine Partei wie die „Bürger in Wut“ im Wahlkampf hat, macht Timke am Beispiel der Jung- und Erstwähler deutlich, die in Bremen erstmals bereits mit 16 Jahren wählen durften. Viele Schulen hatten Parteienvertreter eingeladen, um die Schüler vor der Wahl zu informieren. Diese Veranstaltungen hätten bis auf eine Ausnahme ohne die BIW stattgefunden. „Wir sind einfach nicht eingeladen worden“, beklagt sich Timke. Doch er glaubt, daß die Zeit für ihn arbeite. „In vier Jahren wird es noch schwerer, uns auszugrenzen.“ In den kommenden vier Jahren will er in der Bürgerschaft mit den Themen innere Sicherheit und Bildung auf sich aufmerksam machen. „Ich bin davon überzeugt, daß man auch in der Opposition etwas erreichen kann. Man muß nur der Stachel im Fleisch sein“, gibt er den Kurs vor. Einen Fehler will Timke jedenfalls nicht machen. „In diesem Jahr werden wir keinen Landesverband in anderen Bundesländern gründen“, wehrt er Erwartungen ab, die BIW würden sich deutschlandweit ausdehnen. Zunächst werde man die Wahlen in Mecklenburg Vorpommern und vor allem in Berlin abwarten, wo der BIW-Bündnispartner René Stadtkewitz mit seiner Partei „Die Freiheit“ antritt.

Ganz andere Sorgen hat unterdessen CDU-Chefin Angela Merkel. Wahrscheinlich hatten sie und ihr Stab im Berliner Konrad-Adenauer-Haus die Wahl in Bremen schon vor Monaten als aussichtslosen Fall zu den Akten gelegt. Schließlich regiert die SPD in der Hansestadt seit mehr als 60 Jahren, und die CDU ist traditionell die zweite Kraft. Doch das war vor „Fukushima“ und den Wirren um den von der Kanzlerin plötzlich vorangetrieben Atomausstieg.Und in der CDU-Zentrale rechnete wohl damals noch niemand damit, daß die CDU in Bremen mit 21 Prozent hinter die Grünen zurückfallen könnte. Doch eben das ist am Sonntag geschehen.

Und so traf die Deutlichkeit, mit der es Anfang der Woche in der Partei grummelte, die CDU-Chefin vielleicht doch etwas unvorbereitet. Vor allem das unter Merkels Ägide umgesetzte Konzept einer „modernen Großstadtpartei“, das die Wähler bei den jungen „modernen“ und gerne auch weiblichen Wählern statt bei der traditionellen Stammklientel ausmachte, stand wie schon nach der krachenden Niederlage Ende Februar in Hamburg plötzlich wieder zur Debatte. Der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, konstatierte im Deutschlandfunk, daß der großstädtische Ansatz in Hamburg und Bremen keinen Erfolg gebracht habe. „Deshalb kann ich eigentlich jedem nur abraten, sich bei den Grünen anzubiedern“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder. „Wenn wir beginnen würden, den Grünen hinterherzulaufen, dann wäre die Union als Volkspartei erledigt“, sagte er der Leipziger Volkszeitung. Der baden-württembergische Generalsekretär Thomas Strobel, der sich bereits Ende der vergangenen Woche gegen Merkels Kurs in Stellung gebracht hatte, warnte davor, einfach zur Tagesordnung überzugehen. In allen Äußerungen schwingt die Befürchtung mit, daß es der Union bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im September ähnlich wie in Bremen ergehen könnte.

Als sich der Unmut in der Union Bahn brach, lag das genaue Wahlergebnis noch gar nicht vor. Grund ist das komplizierte Wahlrecht in der Hansestadt mit den zwei Wahlbezirken Bremen und Bremerhaven (jeder Wähler hat insgesamt fünf Stimmen). Bei Redaktionsschluß stand allerdings zweifelsfrei fest, daß der bundespolitische Trend der vergangenen Wochen bestätigt wurde. Die regierende SPD mit Bürgermeister Jens Börnsen blieb mit rund 38 Prozent stärkste Kraft und wird die Koalition mit den Grünen fortsetzen. Die sich immer mehr zu einer neuen Volkspartei mausernde ehemalige Anti-Parteien-Partei erzielte 22,5 Prozent. Daß die krisengeschüttelte FDP mit weniger als drei Prozent deutlich den Wiedereinzug in die Bürgerschaft verfehlte, war dagegen keine Überraschung mehr.

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