© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

Ein überflüssiges Relikt
Diskussion um den Doktorhut: Internationale Dimensionen einer deutsch-provinziellen Promotionsposse / Angst vor Asiaten?
Bodo Wegner

Der spektakuläre Skandal um die getürkte Doktorarbeit des Ex-Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg löste eine zunächst hektische, heute hingegen bereits gemächlich wirkende Diskussion um „Qualitätskontrollen“ im Promotionswesen aus. Die rasche Beruhigung der Gemüter ist auch Folge eines gewissen Gewöhnungsprozesses. Denn weniger sensationelle Fälle, wie sie vor allem bei Naturwissenschaftlern und Medizinern in den letzten Jahren vorkamen, ließen wiederholt Forderungen nach effizienteren Kontrollmechanismen laut werden.

Eine mögliche Antwort schien auch schon vor Guttenberg und Silvana Koch-Mehrin gefunden: die Übernahme des angloamerikanischen Modells der „Doctoral Studies“. In Bayern, so bilanziert das Institut für Hochschulforschung, werkeln derzeit 40 Prozent der natur- und kulturwissenschaftlichen Promovenden nicht mehr als Einzelkämpfer an ihren Dissertationen, sondern eingebunden in Promotionsstudiengänge oder Graduiertenkollegs. Diese Praxis soll ein engeres Verhältnis zum Betreuer der Promotion stiften, über methodische Schwierigkeiten hinweghelfen und die innere Motivation verbessern.

Gerade bei Medizinern aber, deren Dissertationen seit dem 19. Jahrhundert ohnehin zur Marke Leichtbau gerechnet werden, ist in Bayern Zurückhaltung zu registrieren. Nur 29,2 Prozent von ihnen sind augenblicklich „eingebettet“ in eine Doktorenkohorte. Und dies, obwohl eine Teilnahme auch finanziell interessant ist. 18 Monate lang 400 Euro erhalten die 40 Doktoranden der Medizinischen Fakultät der LMU München, die bei Intensivbetreuung und strukturierter Themenwahl den experimentellen Teil ihrer Dissertation fertigstellen.

Ungeachtet des noch unbefriedigenden Zuspruchs soll diesem Modell aber die Zukunft gehören, wie eine Vergleichsstudie belegt, die bei individuell promovierenden Medizinern eine schlechtere, weil äußerliche Motivation („Statuspromotion“) und eine wissenschaftlich weniger anspruchsvolle Themenwahl ausweist (Deutsche Medizinische Wochenschrift vom 27. April). Insoweit befände sich also alles auf gutem Wege, wenn nicht ausgerechnet vom großen Vorbild USA verstörende Signale zu empfangen wären. Dort ist man soeben dabei, die Promotion als akademische Qualifikation überhaupt zur Disposition zu stellen.

Abschaffen oder radikal reformieren, so spitzt das Problem der Religionswissenschaftler Mark C. Taylor (Columbia University) zu, der 2010 in einem vielbeachteten Buch über „Crisis on Campus“ eine verschärfte Praxisorientierung des Studiums angemahnt hat. Das langwierige, zu theoretische und primär für den überfüllten Arbeitsmarkt „Forschung“ trainierende Promotionsstudium wirke geradezu mittelalterlich überholt. Ob Taylor und andere Beiträger, die in Science (21. April) dafür plädieren, einen Teil der US-Doktorfabriken stillzulegen, dabei nur die durch die Finanzkrise verschlimmerten heimischen Kalamitäten im Auge haben, ist zu bezweifeln. Denn mit bedrohlichen Statistiken untermalt die Science-Redaktion, wie das US-System unter Druck gerät.

Allein 2009 verließen 50.000 Doktoren chinesische Hochschulen. Indien peilt ab 2020 ein promoviertes Absolventenheer von jährlich mindestens 20.000 an. Gemessen an wissenschaftlichen Standards einiger US- und vieler Unis Westeuropas sind das zwar „Billigdoktoren“, aber von praxistauglichem und international brauchbarem Format. Radikalreformer wie der um die Wettbewerbsfähigkeit der USA bangende Taylor sind daher bereit, das chinesische Modell, Wissenschaft strikt dem ökonomischen Imperativ unterzuordnen, zu importieren und die in Promotionsstudiengängen angeheizte „nutzlose Überspezialisierung“ soweit abzuschmelzen, daß am Ende auch der Doktortitel als überflüssiges Relikt entsorgt werden kann.

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