© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

„Schengen ist kein Selbstzweck“
Dänemark: Die Ankündigung, permanente Grenzkontrollen einrichten zu wollen, empört EU-Verantwortliche
Hans Christians

Wenige Tage nachdem die Regierung Dänemarks mit ihrem Vorstoß für Furore sorgte, wieder verstärkt Grenzkontrollen durchzuführen, gehen die Wogen innerhalb der Europäischen Union hoch. Der dänische Finanzminister Claus Hjort Frederiksen hatte vor rund einer Woche in Kopenhagen verkündet, daß sich seine Minderheitsregierung und die sie stützende rechtsnationale Dänische Volkspartei (DF) auf „permanente Grenzkontrollen“ geeinigt haben. Die Reaktion der EU-Verantwortlichen ließ nicht lange auf sich warten.

Kommissionspräsident José Manuel Barroso hält die geplanten Maßnahmen, die spätestens in vierzehnTagen in Kraft treten sollen, für illegal: „Wir wollen sicherstellen, daß die Bestimmungen über den freien Personen- und Warenverkehr und die Regeln des Schengen-Vertrages respektiert werden.“ Auf Nachfrage erklärte Barroso, daß er auch eine Klage gegen das EU-Mitglied für möglich halte: „Das wäre in der Tat eine Möglichkeit, um mit dieser Situation umzugehen.“ Fachleute der EU-Kommission erklärten außerdem, die zeitweilige Wiedereinführung von Zollkontrollen sei lediglich dann erlaubt, wenn dies Teil einer für das gesamte Staatsgebiet geltenden besonderen Politik sei, beispielsweise beim Auftauchen von Gesundheitsgefahren. Personenkontrollen seien nach derzeitigem Stand nur für maximal dreißig Tage möglich, wenn eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bestehe. Die dänischen Pläne sehen neben Personenkontrollen durch Zöllner an wichtigen Grenzübergängen, auch die Errichtung neuer Kontrollgebäude  sowie die Installation elektronischer Überwachungsanlagen vor.

Die Angst der Dänen ist dabei nicht unbegründet. Seit dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens vor zehn Jahren ist eine steigende Kriminalität von Einwanderern aus Osteuropa zu verzeichnen. Innerhalb der Europäischen Union wird nun befürchtet, daß andere Länder dem dänischen Beispiel folgen könnten.

Als Reaktion auf die Ankunft Tausender Flüchtlinge aus Nordafrika hatten Italien und Frankreich schon vor Wochen mit dem Gedanken gespielt, zumindest zeitweilig wieder Grenzkontrollen in Europa zu ermöglichen. In einem Schreiben an die EU-Kommission forderten die beiden Regierungschefs Silvio Berlusconi und Nicolas Sarkozy, die Möglichkeit zu prüfen, wieder Kontrollen an den Grenzen der Schengen-Staaten einzuführen, und zwar „im Fall außergewöhnlicher Schwierigkeiten bei der Kontrolle der gemeinsamen Außengrenzen“.

Die Schengen-Vereinbarung gilt als Meilenstein in der Entstehung der Europäischen Union und der europäischen Integration. Derzeit gehören mit dem kürzlich aufgenommenen Liechtenstein 26 Länder dem Schengen-Raum an. Die 400 Millionen Einwohner dürfen sich ohne Paßkontrollen von Italien bis Norwegen und von Portugal bis Polen bewegen. Dies hat auch für Probleme im Umgang mit Kriminellen gesorgt.

Die dänische Regierung beklagt seit Monaten das Problem, daß organisierte Kriminelle und Lohndrücker aus Osteuropa über den „Umweg“ Deutschland in das skandinavische Land einreisen würden. Die in Deutschland lebende dänische Minderheit, deren Vertreter aufgrund einer Besonderheit des schleswig-holsteinischen Wahlrechts im Kieler Landesparlament sitzen, wendet sich jedoch gegen das Vorhaben der Regierung in Kopenhagen. So fordert der Südschleswigsche Wählerverband (SSW),  daß der Schleswig-Holsteinische Landtag an die dänische Regierung appellieren solle, ihren Beschluß zur Einrichtung ständiger Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze zu überdenken. Alle Fraktionen seien sich darin einig, daß neue Grenzkontrollen ein drastischer Rückschritt wären. Deshalb müsse das Kieler Landesparlament ein eindeutiges Signal in Richtung Kopenhagen senden, forderte die SSW-Fraktionsvorsitzende Anke Spoorendonk.

Innerhalb der Mitgliedstaaten der EU ist unterdessen eine breite Debatte über eine Reform der Grenzregelungen ausgebrochen. Auffallend ist hierbei, daß vor allem von seiten der Bundesregierung versucht wurde, den Eindruck zu vermitteln, Dänemark wolle die Reisefreiheit einschränken. So wies Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) darauf hin, daß die Reisefreiheit ein hohes Gut sei und nicht nur die Frage des deutsch-dänischen Verhältnisses. Unterschiedliche Auffassungen herrschen vor allem darüber, wer eventuelle Ausnahmegenehmigungen von der bisherigen Schengen-Regelung erteilen könne.

Die EU-Kommission beansprucht dieses Privileg für sich. Dagegen kam Kritik aus der Bundesrepublik und aus Österreich. Innenminister Hans-Peter Friedrich sagte: „Verantwortlich für die Sicherheit sind nun einmal die Mitgliedstaaten, sie sind der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig. Das sollte in nationaler Verantwortung bleiben.“ Die Tschechische Republik habe nach Auskunft Friedrichs zwischen den Zeilen Zustimmung für die deutsche Position erkennen lassen, Luxemburg dagegen für eine starke Rolle der Kommission plädiert. Andere Länder wie Frankreich schlugen ein neues Gremium aus Vertretern der Mitgliedsländer vor.

Neben vielfältiger Kritik gab es aber auch Lob für die dänische Position. Schwedens Finanzminister Anders Borg sagte beispielsweise, es sei „natürlich gut, daß Dänemark weitgehende Maßnahmen gegen Drogenschmuggel, kriminelle Aktivitäten, Menschenhandel oder sonst schädliche Aktivitäten zwischen unseren Ländern ergreift“. Der EU-Abgeordnete der österreichischen FPÖ Andreas Mölzer begrüßte das Vorgehen Dänemarks ebenfalls: „Sicherheit muß notfalls Vorrang vor Reisefreiheit haben. Das Schengener Abkommen ist schließlich kein Selbstzweck.“

Fotos: Hamburger Morgenpost vom 10. Mai 2011: Dänenschelte, Ein spanisches Fernsehteam dreht am deutsch-dänischen Grenzübergang in Pattburg bei Flensburg: Mit ihrem Schritt haben die Dänen ein Zeichen gesetzt – Vorbild für andere?

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