© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

„Gefühlvolle Sprache“
Porträt: Um Merkels Aufenthalte in der Sowjetunion ranken sich zahlreiche Gerüchte
Hinrich Rohbohm

Vieles deutet darauf hin, daß Angela Merkels Vater tief in den SED-Staat verstrickt gewesen war. Doch wieviel von der väterlichen Gesinnung färbte ab auf die Tochter? Merkel wird in ihrer Schulzeit freiwillig Mitglied der Pionierorganisation Ernst Thälmann. Später geht sie in die FDJ, übt auch Funktionen aus, wie sich Mitschüler erinnern.

Nach dem Abitur entscheidet sich Angela Kasner ab 1973 für ein Physik-Studium an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Eine Hochschule, die als deutlich SED-konformer gilt als andere. Die das Image einer „roten Universität“ innehat. Wer hier in den siebziger Jahren studiert, ist zumeist SED-Mitglied oder in der FDJ aktiv. Stasi-Mitarbeiter waren an der Hochschule in besonders hohem Maße präsent, ideologische Indoktrinationen stark ausgeprägt. Unter anderem befand sich hier das „Rote Kloster“, wie die Sektion Journalistik, einzige universitäre Ausbildungsstätte für Journalisten in der DDR, genannt wurde.

„Die Bewerber müssen durch ihre bisherigen Leistungen dokumentieren, daß sie fähig und bereit sind, sich für unsere sozialistische Gesellschaftsordnung einzusetzen. Sie sollen sich durch sozialistisches Bewußtsein, gesellschaftliche Aktivität, untadeliges Verhalten, gute Allgemeinbildung und gefestigtes politisches Wissen auszeichnen“, heißt es im Anforderungsprofil für Studienbewerber der Universität Leipzig des Jahrgangs 1972/73. 

Auf die Vermittlung der kommunistischen Ideologie wurde besonderen Wert gelegt, wenngleich dies im Fach Physik weniger der Fall war als in den gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen. Die spätere Kanzlerin übernimmt auch hier FDJ-Funktionen. Als Kulturreferentin habe sie sich um die Bestellung von Theaterkarten gekümmert, sagt Merkel über ihre damalige Tätigkeit. Sie soll Studenten „auf Linie gebracht“ haben, erinnern sich hingegen Kommilitonen. Aufschlußreich könnten auch die parallel zu ihrem Physik-Studium obligatorischen Arbeiten zum Marxismus-Leninismus sein. Doch sämtliche diesbezügliche Werke der Kanzlerin sind verschwunden. Rätsel geben zudem ihre Aufenthalte in der Sowjetunion auf. Die Kanzlerin soll angeblich auch in Moskau studiert haben, erinnert sich eine ehemalige Mitstudentin. Die Bundesregierung, Merkels Biographen sowie mehrere deutsche Medien hatten dies jedoch verneint, nachdem der einstige Linksparteichef Oskar Lafontaine vor zwei Jahren in der ARD-Fernsehsendung „Anne Will“ das ebenfalls behauptet hatte. Unstrittig ist, daß Angela Kasner sich 1974 während eines Studienaustausches in Moskau und Leningrad aufgehalten hatte.

Ein weiterer Aufenthalt reicht über mehrere Monate. Laut eigener Darstellung trampte sie einst per Rucksack quer durch die Sowjetunion, bereiste unter anderem Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Die damals für Reisende innerhalb der UdSSR herrschenden Beschränkungen dürften demnach für Merkel nicht bestanden haben. Als 15jährige war sie aufgrund ihrer exzellenten Russisch-Kenntnisse erstmalig in Moskau, um an der internationalen Russisch-Olympiade teilzunehmen.

Heute unterhält sie sich bei Staatsbesuchen mit Präsident Dmitri Medwedew und Premier Vladimir Putin in der Sprache, die sie einmal als „so gefühlvoll“ bezeichnet hatte. Auch im vergangenen Jahr weilte sie in Moskau, nahm mit Medwedew und Putin an der Siegesparade der Roten Armee über Deutschland teil. Zu einem Zeitpunkt, als aufgrund der Währungskrise in der EU ihre Anwesenheit in Brüssel wegen der Erkrankung des Bundesfinanzministers vonnöten gewesen wäre.

Foto: Rußlands Präsident Medwedew und Bundeskanzlerin Merkel 2010 in Moskau: Siegesparade auf dem Roten Platz

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen