© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Lammerts Symbolpolitik
Felix Krautkrämer

In der Politik geht es bekanntlich neben dem Ergebnis, das am Ende eines Prozesses steht, auch immer um Symbole. Dabei bedarf es nicht nur der großen Gesten. Mitunter sagt die still und leise vorgenommene Änderung einer kleinen und weitgehend unbekannten Vorschrift mehr über den Berliner Politikbetrieb aus, als so manche Regierungserklärung. Ein Beispiel dafür findet sich seit kurzem auf dem Reichstagsgebäude in Berlin – genauer gesagt, auf einem seiner vier Türme.

Just in der Woche, in der der Bundestag das milliardenschwere Rettungspaket für Portugal absegnete, ließ Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) die Bundesflagge vom südöstlichen Turm des Reichstags einholen und durch die Fahne der Europäischen Union ersetzen – als Zeichen der Verbundenheit des Bundestags mit Europa (siehe Artikel und Bild auf dieser Seite). Offenbar sorgte sich Lammert, die ausbleibende Begeisterung der Deutschen, für die Schulden anderer Länder aufzukommen, könnte im europäischen Ausland falsch verstanden oder sogar als Kritik am Euro und der EU gewertet werden – wo Gott vor sei.

Damit das ganze allerdings auch seine Richtigkeit hat, wurde kurzerhand (und rückwirkend) die „Dienstanweisung zur Beflaggung der Dienstgebäude des Deutschen Bundestages“ (Flaggenordnung) geändert. Danach ist das Reichstagsgebäude seit dem 9. Mai „ständig“ wie folgt zu beflaggen: „Eine Europaflagge auf dem südöstlichen Turm und je eine Bundesflagge auf den anderen Türmen.“

Bei den Abgeordneten stößt der Vorgang auf geteiltes Echo. Nicht alle wollen sich von Lammerts Begeisterung für den symbolischen Akt so recht anstecken lassen. Öffentlich Kritik will aber niemand äußern. „Wer bei so was seinen Kopf zu weit rausstreckt, braucht sich nicht wundern, wenn er ihn abgeschlagen bekommt“, heißt es beispielsweise aus dem Büro eines Unionspolitikers, der in der Vergangenheit aus seiner Sympathie für die Farben Schwarz-Rot-Gold kein Geheimnis gemacht hat.

Andere wiederum geben der „Europa-Union“ die Schuld für den Flaggenwechsel. Die überparteiliche Vereinigung, der zahlreiche Bundestags- und Europaabgeordnete angehören, hatte bereits in der Vergangenheit mehrfach gefordert, dauerhaft mindestens eine, wenn möglich jedoch zwei EU-Fahnen auf dem Reichstag zu hissen. Nun habe der einflußreiche Verband offenbar seinen Willen durchgesetzt, vermutet ein CDU-Mann.

Rückendeckung erhält Lammert dagegen, wenn auch eher unerwartet, vom bayerischen Abgeordneten Peter Gauweiler. Der CSU-Politiker klagt derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen den Euro-Rettungsschirm und ist auch abgesehen davon bislang nicht unbedingt als glühender Anhänger der EU aufgefallen. Dennoch, so betont Gauweiler, richte sich seine Abneigung nicht gegen die europäische Flagge, sondern gegen das „Europa der Brüsseler Apparate“. Wenn auf einem der vier Reichstagstürme die europäische Flagge wehe, sei das in Ordnung. Schließlich sei die Fahne das wenigste, was man der EU vorwerfen könne.

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