© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

Nicht zum Nulltarif
Bundeswehr: Die Aussetzung der Wehrpflicht wird teurer als behauptet
Paul Rosen

Wer heutzutage Soldat ist, kennt keinen anderen Zustand als die „Reform“ oder „Transformation“. Sie ist ein ständiger Begleiter der Bundeswehr seit der deutschen Einheit vor über 20 Jahren. Die Soldaten wissen nicht, wo es hingeht und was sie eigentlich sollen. Mal ist mehr Landesverteidigung angesagt, dann wieder weniger. Mal müssen Fähigkeiten für Einsätze rund um den Globus erworben werden, dann wird der Radius wieder enger gezogen. Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt, lautete ein Schlüsselsatz des früheren Verteidigungsministers Peter Struck (SPD). Der Satz hörte sich gut an; die dahinterstehende Frage, wie eine deutsche Geopolitik aussehen könnte, wurde aber nicht beantwortet.

Da sich die deutsche Politik unabhängig von den politischen Farben der jeweiligen Regierungen um eine genaue Definition deutscher außenpolitischer Interessen herumdrückt, bleibt auch der Auftrag der Bundeswehr unklar, nachdem der Feind von damals, der Ostblock, nicht mehr existiert. Über Einsätze im Innern, die in anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit sind, wird man sich nicht einig. Entsprechend unklar sind die Vorgaben für die Truppe. Selbst die Nato sucht händeringend nach neuen Aufgaben und hat sie nur zum Teil in der Terrorismusbekämpfung gefunden.

Frühere Verteidigungsminister mißbrauchten die Bundeswehr nach der deutschen Einheit als Steinbruch. Die Soldatenzahl wurde verkleinert, Kasernen wurden geschlossen, Schiffe und Flugzeuge aufgegeben, Panzer verkauft. Ein Konzept stand nie dahinter. Mehr Auslandseinsätze sollte es geben und gab es schließlich auch. Die Öffentlichkeit wunderte sich nur darüber, daß eine 280.000 Mann starke Truppe Probleme hatte, ein paar tausend Soldaten in Afghanistan und auf dem Balkan präsent zu halten. Die Erklärung war einfach: Die Truppe hatte sich seit den Tagen eines Verteidigungsministers Franz Josef Strauß nicht wesentlich geändert. Wehrpflichtige wurden eingezogen für einen Krieg, der nicht mehr kam. Die Luftwaffe übt immer noch, fremde Flieger abzufangen und die Marine das Minenlegen in der Ostsee. Nur wenige Kräfte sind mit internationalen Einsätzen befaßt. Außerdem notwendige Experten werden aus den verschiedenen Einheiten herausgefischt, so daß die Bundeswehr im internationalen Einsatz heute mehr an einen zusammengewürfelten Haufen erinnert als an Einheiten, die den Namen „Einheit“ verdienen würden.

Natürlich hat sich einiges verändert. Generäle konnten in Militärdingen unerfahrenen Politikern Thesen schmackhaft machen, daß die Bundeswehr nicht nur drei Teilstreitkäfte, sondern in Gestalt der Streitkräftebasis und der Sanität noch zwei weitere braucht, was zu einer Inflation von Stäben geführt hat. Die Rüstungsindustrie drehte ahnungslosen Politikern teures Gerät an, das keiner braucht wie den Euro-Fighter, den Militärtransporter A400M oder lautlose U-Boote und nicht funktionierende Hubschrauber. Fahrzeuge mit Minenschutz für die Einsatzgebiete hingegen waren und sind Mangelware. Überforderte Politiker suchten nach Wahlgeschenken und schafften die Wehrpflicht ab. Außerdem verlangte der Finanzminister weitere acht Milliarden Euro Einsparungen.

Mit Verlaub: So kann eine Regierung mit einer Armee nicht umgehen. Was fehlt und was auch der neue Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) nicht wird leisten können, ist eine Aufgabenbeschreibung, sozusagen die Militärpolitik. Die Fragen lauten: Was wollen wir mit einer Armee in Deutschland? Soll sie im Land eingesetzt werden und eventuell polizeiliche Aufgaben übernehmen? Was bedeutet heute Landesverteidigung? Was sind die deutschen Interessen und wie weit soll der Einsatzhorizont gehen? Nur Europa oder auch der Rest der Welt? Wenn diese Fragen beantwortet würden, dann könnten daraus Materialbedarf und Truppenstärken entwickelt werden. Beispiele zeigen das: Wenn die Bundeswehr nicht bis ins südliche Afrika vorstoßen soll, braucht sie auch keine Transportflugzeuge, die ohne Zwischenstopp dorthin fliegen können. Und wenn der Schutz vor „dreckigen Bomben“ im ABC-Bereich Polizeiaufgabe ist, braucht man bei der Bundeswehr nur kleine ABC-Komponenten. Und wer von Heimatschutzbataillonen redet, muß die Antwort geben, womit er sie ausrüsten will: Panzer oder Schlagstöcke?

Die Politik ist dabei, das Pferd von hinten aufzuzäumen, indem sie zuerst mit Personalzahlen wie 150.000 bis 180.000 Soldaten operiert und dann die Aufgaben zu beschreiben versucht. Und selbst diese Zahlen werden nicht erreicht werden können, wenn den Zeit- und Berufssoldaten nicht mehr Sold gezahlt und das persönliche Umfeld verbessert wird: Wie in der amerikanischen Armee sind Häuser für die Soldatenfamilien auf dem Kasernengelände, Kindergärten und Schulen erforderlich, um qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Das kostet Geld, genauso wie die für neue Aufgaben zu bauenden Schützenpanzer, Flugzeuge, Hubschrauber und Schiffe (zum Beispiel Truppentransporter) Geld kosten. Die neue Bundeswehr wird, selbst wenn ihre Ziele und Aufgaben wieder nur unvollständig beschrieben werden, viel Geld kosten. Die erhofften Einsparungen muß sich der Finanzminister abschminken. Sonst bekommt er das, was er bezahlt hat: Kreisklasse-Niveau in der Sicherheitspolitik.

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