© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

„Du Jane“
An der Seite Tarzans: Die irische Schaupielerin Maureen O’Sullivan wäre kommenden Dienstag hundert Jahre alt geworden
Harald Harzheim

Zahllose Tarzandarsteller schwangen sich über die Leinwand, dennoch blieb Johnny Weissmuller bis heute Prototyp des Duschungelhelden: „Tarzan, the Ape Man“ (Tarzan der Affenmensch, 1932) und vor allem „Tarzan and His Mate“ (Tarzans Vergeltung 1934) gelten als Kultklassiker. Dabei stand ihm, der Originaltitel des zweiten Teils verrät es, eine „Mate“ (dt: Gefährtin) namens Jane zur Seite. Hatten damalige Drehbuchautoren die Tarzan-Figur einer 90prozentigen Gehirnamputation unterzogen, daß er nur noch den berühmten Schrei und Satzfragmente („Ich Tarzan, du Jane“) von sich gab, übernahm Jane die verbale Artikulation jener Kulturkritik, die Autor Edgar Rice Burroughs seiner Romanvorlage (1912) einst unterschob. Das erforderte eine erstklassige Interpretin, die man in der irischen Jungdarstellerin Maureen O’Sullivan tatsächlich fand. Sie machte die Jane zur „anderen Kultfigur“ dieses Films; kein Filmliebespaar jener Zeit galt als derart sexy wie Weissmuller und O’Sullivan.

Maureen Paula O‘Sullivan erblickte am 17. Mai 1911 in Boyle, einer irischen Provinzstadt, das Licht der Welt. Deren Wälder und Wiesen erschienen dem phantasiebegabten Kind besiedelt mit Elfen und Kobolden, sich selbst darin integriert: Camille Paglia sollte O’Sullivans späteren Rollentyp als „sylphidenhaft“ bezeichnen. Auf dem streng katholischen Internat in Roehampton verband sie eine enge Freundschaft mit Vivien Leigh, der späteren Scarlett O’Hara aus „Gone with the Wind“ (Vom Winde verweht, 1939). Während die sich streng an die Internatsregeln hielt, rebellierte Maureen gegen sämtliche Vorschriften. Durch die Verachtung ihrer Mutter von starkem Minderwertigkeitsgefühl gepeinigt, wünscht sie sich Autonomie, will Pilotin werden. Dieses anarchisch-trotzige Element wurde fester Bestandteil späterer Rolleninterpretationen, verlieh dem Image der „charmant Süßen“ einen pfeffrigen Kontrast.

1930 siedeln Mutter und Tochter O’Sullivan nach Hollywood über. Beim Pferderennen entdeckt, nimmt der Hollywood-Löwe Metro-Goldwyn-Mayer die 19jährige unter seine Pranken. Maureen O’Sullivan brillierte zwischen 1930 und 1940 in über vierzig Prestigefilmen der Firma, beispielsweise im Gangsterklassiker „The Thin Man“ (Der dünne Mann, 1934), der Marx- Brother-Komödie „A Day at the Races“ (Das große Rennen, 1937) dem Tolstoi-Epos „Anna Karenina“ (1935) und in zwei Meisterwerken nach Erich von Stroheim-Drehbüchern. Ihre Spielpartner: Größen wie Greta Garbo, Charles Laughton und Orson Welles.

Trotzdem blieb der erste irische Filmstar „forever Jane“ (auf alle Zeiten Jane), wie sie selbst früh ahnte. Ganze sechs Mal gab sie die Rolle der englischen Lady, die der Zivilisation abschwört, um im Dschungel ein Aussteigerleben zu führen. Ihr Typ und ihre Darstellungsform verliefen nicht nur zeitlich parallel zum europäischen Vitalismus, zur Existenz- und Lebensphilosophie – einer Richtung, die der Philosoph Ernst Bloch vor allem beim Natur- und Seelenmystiker Ludwig Klages als „komplette Tarzan-Philosophie“ attackierte; wenngleich er das utopische Potential der Dschungelabenteuer durchaus erkannte.

Tatsächlich praktizieren Tarzan und Jane eine lebensreformerische Existenz, die sich ganz dem Elementaren verschreibt. Als in „Tarzan and His Mate“ Janes ehemalige Freunde sie im Urwald aufsuchen, mit Erinnerungen an Zivilisation und Nächte in Londoner Tanzclubs traktieren, ihr Seidenkleider mitbringen, Musik vorspielen, kann sie, nach anfänglicher Schwäche, nur müde lächeln. Nein, sie will das pure Leben, keinen Wohlstandsknast. Man muß ihren Dschungel als „symbolischen Raum“ eines élan vital auffassen, als innere Wildheit, in der Jane sich bewegt.

Aber die Rechnung wäre nicht aufgegangen, hätte Maureen O’Sullivan all das nicht verkörpert: Ihre Augen, ihre Stimme und Bewegung verströmen endlose Energie, überschäumende Lust und andererseits – man erinnere sich an Janes Gebet am Grab ihres Vater – die Fähigkeit zur tiefsten Trauer, meditativer Versenkung. Maureen O’Sullivan ist neben Fay Wray („King Kong“, 1932) eine Schwester europäischer Lebensphilosophen. Sie spielte auf der Leinwand, was jene in der Theorie entwarfen.

Daß der damalige Zensor aus „Tarzan and His Mate“ manche Nudität entfernte, war vor diesem Hintergrund nur Symptombehandlung: In Maureen O’Sullivans Interpretation war Jane für die Zivilisation unrettbar verloren. Dafür erhielt sie massenweise Drohbriefe aufgebrachter Zuschauerinnen, und ein Asylangebot in San Francisco. Die Zensur verschärfte ihre Vorschriften und MGM drehte fortan nur noch jugendfreie Tarzan-Filme.

Obwohl von Publikum wie Kritik gleichermaßen gefeiert, hielt Maureen sich für unattraktiv, wenig originell und ohne Ehrgeiz. Ihre erfolgreiche Arbeit? – Pure Selbstverteidigung, weil das Leben sie in die Ecke dränge, darin perfektes Abbild ihrer irischen Heimat. Ein frühes PR-Foto der Schauspielerin, gefesselt und mit Strick um den Hals, spricht Bände.

Auch ihr literarisches Werk, ein Essay über Frauen, deren Männer im Krieg kämpfen, „Sundays are the worst“ (Sonntage sind am schlimmsten, 1942), oder Kurzgeschichten wie „The Umbrella“ und „Getting the Message“ thematisieren Verlustangst und Einsamkeit.

Nach Affären wie mit dem Schriftsteller Erich Maria Remarque heiratete Maureen O’Sullivan 1936 den Regisseur und Papst-Biographen John Farrow. Sieben Kinder gingen aus dieser Verbindung hervor, darunter Prudence Farrow, für die John Lennon 1968 seinen Hit „Dear Prudence“ schrieb, und die Schauspielerin Mia Farrow, seit „Rosemarys Baby“ (1967) ein Weltstar. Als Mia den Regisseur Woody Allen heiratet, besetzt der „Hannah and Her Sisters“ (Hanna und ihre Schwestern, 1986) mit seiner neuen Schwiegermutter.

Noch im gleichen Jahr holte Francis F. Coppola, ein O’Sullivan-Fan auf Lebenszeit, sein Idol für „Peggy Sue Got Married“ (Peggy Sue hat geheiratet, 1986) vor die Kamera. Als 75jährige Großmutter der Heldin Peggy Sue (Kathleen Turner) strahlt der Altstar freundliche Gelassenheit aus, zeigt Verständnis für den Irrsinn des Lebens, hilft der verwirrten Enkelin bei der Suche nach dem eigenen Weg.

Die gläubige Katholikin Maureen O’Sullivan starb am 23. Juni 1998 in Scottsdale, Arizona. Fast siebzig Jahre bannten Kameras ihren Lebensprozeß auf Zelluloid, vom dynamischen Auf- bis zum würdevollen Ausblühen. Im Schatten der Ängste trotzte sie dem Leben Erfüllung und ein großes Werk ab.

Foto: Maureen O’Sullivan als Jane an der Seite von Tarzan (Johnny Weissmueller) in dem Film „Tarzan Finds A Son“ (1939): In Deutschland wurde der Film erst 1950 in den Kinos gezeigt

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