© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

Des Pastors rotes Netzwerk
Porträt: Als graue Eminenz der Kirche betrieb Angela Merkels Vater eine äußerst SED-freundliche Politik
Hinrich Rohbohm

Der Waldhof liegt gut einen Kilometer außerhalb der brandenburgischen Kleinstadt Templin. Noch immer betreut die Stephanus-Stiftung hier geistig behinderte Menschen. Das war schon zu DDR-Zeiten so, als die in der Schule mit herausragenden Russisch-Leistungen glänzende und an Staatsbürgerkunde interessierte Angela Kasner auf dem Anwesen ihre Jugend verbrachte. Abgeschieden vom kleinstädtischen Leben bewohnen die Kasners ab 1957 den ersten Stock des Hauses Fichtengrund. Bestehend aus mehreren Gebäudekomplexen, wirkt der Waldhof wie ein eigenes kleines Dorf. Die Behinderten betreiben Gartenarbeit, arbeiten in Wäscherei und Werkstätten. Hier befand sich das von Horst Kasner geleitete Pastoralkolleg, eine Bildungsstätte für kirchliche Mitarbeiter.

„Quatsch“, sagt der heutige Waldhof-Leiter, Diakon Jobst Reifenstein auf die Frage, ob Kasners Kolleg in Opposition zur DDR gestanden haben könnte. Reifenstein kennt Kasner als jemanden, der die Grundidee des Sozialismus in der DDR gut fand, nur mit deren Umsetzung haderte. „Kommen Sie ihm nicht mit Politik, da sagt er gar nichts“, meint er. Doch gerade die betrieb der Vater der Kanzlerin intensiver als gemeinhin angenommen.

Kasner wird 1926 als Sohn eines Polizeibeamten in Berlin-Pankow geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg studiert er in Heidelberg und Hamburg Theologie. Was er vor dem Krieg machte, ist nicht bekannt. Er selbst will darüber keine Auskunft geben. Mit seiner dominanten, Menschen beeindruckenden Persönlichkeit und seinen pädagogischen Fähigkeiten prägte er die spätere Bundeskanzlerin entscheidend. Auch politisch. Am Abendbrottisch der Kasners wurde intensiv über Politik gesprochen. Monatlich traf sich auf dem Waldhof der sogenannte „Hauskreis“, in dem Freunde und Bekannte Horst Kasners politische Diskussionen führten und an dem auch Angela Merkel teilnahm.

Freund der Familie Kasner war auch Wolfgang Schnur. Horst Kasner arbeitete mit dem Rechtsanwalt und einstigen Synodalen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR eng zusammen. Jenem Mann, der später Vorsitzender des Demokratischen Aufbruchs (DA) wurde und Angela Merkel als Pressesprecherin beschäftigte, ehe der Jurist als Stasi-IM enttarnt werden sollte.

Auch mit Clemens de Maizière, dem Vater des späteren letzten DDR-Ministerpräsidenten, hatte der Pfarrer eng zusammengearbeitet. Die beiden betrieben in den sechziger Jahren erfolgreich die Spaltung der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgs, die zuvor noch nicht durch den eisernen Vorhang geteilt war. De Maizière senior hatte innerhalb der Block-CDU hohen Einfluß, verfügte über gute Beziehungen zum damaligen Vorsitzenden der Ost-CDU, Gerald Götting, unter dessen Führung die Partei dem SED-Staat treu ergeben war. Die Kontakte zu Götting sollen es auch gewesen sein, die seinem Sohn Lothar das Jura-Studium ermöglichten. Clemens de Maizière war Stasi-Mitarbeiter, Rechtsanwalt und Synodaler der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg. Letztere Position sollte später auf Betreiben von Manfred Stolpe auch sein Sohn einnehmen, zu dem Kasner ebenfalls Kontakte pflegte.

Der heute 71jährige Lothar de Maizière, der nach Informationen des Spiegel als IM „Czerny“ bei der Stasi geführt wurde, war zu DDR-Zeiten als Rechtsanwalt tätig. Er war als Verteidiger für den Militärstrafsenat des Obersten Gerichtshofs der DDR zugelassen, zudem Mitglied im Ost-Berliner Anwaltskollegium, wo er als Stellvertreter des heutigen Linkspartei-Fraktionschefs Gregor Gysi wirkte, zu dem er noch heute eine enge Freundschaft pflegen soll.

Dessen Vater Klaus Gysi arbeitete ebenfalls mit Kasner zusammen. Das ehemalige KPD-Mitglied war Staatssekretär für Kirchenfragen in der DDR und somit Kasners Verhandlungspartner. Daß dabei reichlich Kircheninterna an das SED-Regime übermittelt wurden, lassen Akten der DDR-Kirchenbehörden vermuten, aus denen hervorgeht, daß das Staatssekretariat erstaunlich tiefgehende Kenntnisse über die evangelische Landeskirche hatte. Und die belegen, daß Kasner an der Abspaltung der Ostkirche vom Westen maßgeblich mitwirkte. „Wir können einschätzen, daß progressive Synodale sowohl von der Quantität als auch von der Qualität ihres Auftretens her breiter wirksam werden konnten. Professor Müller, Rechtsanwalt de Maizière, Pfarrer Kasner und Landesjugendpfarrer Günther erreichten durch taktisch kluges Auftreten, daß die Synode die feindlichen Konzeptionen nicht beschloß und in der Frage der Eigenständigkeit der Kirche Berlin-Brandenburg auf dem Territorium der DDR mit echten Kompromissen zustimmte“, heißt es in Aufzeichnungen vom März 1970.

Mit Professor Müller ist dabei Han-fried Müller gemeint, der gemeinsam mit Kasner zum stasigelenkten Weißenseer Arbeitskreis gehörte. Müller lehrte als Theologie-Professor an der Humboldt-Universität Berlin. Seine Fakultät galt als „Hort des Stalinismus“. Wie Kasner gehörte er der von Moskau gesteuerten Christlichen Friedenskonferenz (CFK) an, war als IM „Hans Meier“ für die Stasi tätig und pflegte freundschaftliche Kontakte zu Mitgliedern des SED-Politbüros.

Ebenfalls im Weißenseer Arbeitskreis arbeitete Kasner mit Gerhard Bassarak zusammen, der von 1978 bis 1990 als CFK-Vizepräsident wirkte. Als IM „Buss“ stand auch er im Dienst der Stasi. Nach seinem Tod im Jahr 2008 hielt der ehemalige PDS-Bundestagsabgeordnete Heinrich Fink die Trauerpredigt. Fink ist noch heute Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Als IM „Heiner“ war der Theologe in der Stasi-Hauptabteilung XX/4 für die Bespitzelung der Kirchen zuständig. Auch Fink war Mitglied in der CFK sowie im Weißenseer Arbeitskreis.

Ebenfalls CFK-Mitglied war Thilo Steinbach. Der heutige Geschäftsführer der Unternehmensberatung MULT-Consult überzeugte 1989 CDU-Präsidiumsmitglieder von einer Kandidatur de Maizières zum Parteivorsitz. Zuvor hatte der damalige stellvertretende Vorsitzende der DDR-CDU, Wolfgang Heyl, de Maizière für das Amt vorgeschlagen, um die Blockpartei auf Perestroika-Kurs zu bringen. Heyl soll ebenfalls für die Stasi-Hauptverwaltung tätig gewesen sein.

Kasners Verbindungen reichten auch zu Manfred Stolpe. Der wegen seiner Stasi-Kontakte zeitweise ebenfalls in der Kritik stehende spätere brandenburgische Ministerpräsident hatte nicht nur Lothar de Maizière zum Amt des Kirchensynodalen verholfen, sondern wohl auch Angela Merkel die Karrierechancen gewahrt. Als die spätere Kanzlerin in ihrer Klasse 12b an der Erweiterten Oberschule (EOS) anläßlich eines Kulturwettbewerbs verkündete, ihre Klasse habe 300 Mark für die marxistischen Frelimo-Rebellen in Mosambik gesammelt, statt wie von der Schule erwartet für Vietnam, kam es zum Eklat und Merkel lief Gefahr, von der Schule verwiesen zu werden. Ihr Vater verfaßte darauf einen Brief, den seine Tochter zum damaligen Konsistorialrat Stolpe nach Berlin bringen sollte. Gleichzeitig wendet sich Kasner an seinen Förderer, Bischof Albrecht Schönherr, der ebenfalls Mitglied in der CFK und im Weißenseer Arbeitskreis ist. Resultat: Ein Schulverweis bleibt aus, der erfolgte Tadel erscheint nicht im Zeugnis und der Klassenlehrer Charly Horn wurde strafversetzt. Merkel hingegen kann 1973 ihr Abitur machen und anschließend an der Karl-Marx-Universität von Leipzig Physik studieren.

Foto: Pfarrer Horst Kasner: Der Vater der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel bei einem Gottesdienst anläßlich der Hubertus-Andacht in einem Waldstück in der Nähe von Templin (Brandenburg) am 7. November 2004

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